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Besserverdiener oder Kümmerexistenz - wie ist DIW-Studie zu Selbstständigen-Einkommen zu interpretieren?

Vor einigen Tagen haben wir bereits ausführlich über die DIW-Studie "Verdienen Selbstständige tatsächlich weniger als Angestellte?" berichtet und die Ergebnisse zusammengefasst. Wir haben mit Prof. Alexander Kritikos darüber gesprochen, welche Schlußfolgerungen aus der Studie zu ziehen sind.

VGSD: Eigentlich widersprechen Sie in Ihrer Studie dem weit verbreiteten Vorurteil, Selbstständige verdienten generell weniger als Angestellte. In ihren Berichten haben die Medien jedoch ein Ergebnis hervorgehoben, das dem zu widersprechen scheint: 18% der Solo-Selbständigen erzielten im Untersuchungsjahr (2009) einen Stundensatz unterhalb des Mindestlohns. Bei Angestellten und Selbstständigen mit Mitarbeitern waren es je 10%. Wie passt das zusammen?

Prof. Alexander Kritikos: Ein zentrales Ergebnis unserer Studie ist, dass die Streuung des Einkommens bei Selbstständigen sehr breit ist, ganz besonders bei Solo-Selbstständigen. Viele verdienen sehr gut - weitaus mehr als Angestellte. Es gibt aber auch nicht wenige, die schlecht verdienen. Einige Medien haben diesen negativen Aspekt hervorgehoben, was ihr gutes Recht ist. Unser Ziel als Forscher ist es, ein Gesamtbild aufzuzeigen, das so objektiv wie möglich ist. Die Solo-Selbstständigen bestehen aus extrem heterogenen Teilgruppen und wir haben eben herausgefunden, dass es große Einkommensunterschiede gibt.

Frage: Während Arbeitnehmer einkommensabhängig Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bezahlen, gelten für Selbstständige hohe Mindestbeiträge (ca. 350 Euro/Monat). Könnte das die Ursache dafür sein, dass das Nettoeinkommen von Solo-Selbstständigen am unteren Einkommensende unter dem von Angestellten liegt?

Antwort: Ja, das kann sein, wir wissen es aber nicht. Bei dem von uns verwendeten Mikrozensus werden Nettoeinkommen abgefragt.

Frage: Im Durchschnitt verdienen Solo-Selbstständige pro Stunde netto 3 Euro bzw. 25% mehr als Arbeitnehmer. Selbständige mit Mitarbeitern erzielen sogar 6 Euro (50%) mehr als Angestellte. Allerdings verzerren Gutverdiener den Mittelwert nach oben. Nimmt man den typische "Median"-Solo-Selbstständigen ...

Antwort: ... der uns ja mehr interessiert, dann kommt man auf ein Nettoeinkommen pro Arbeitsstunde, das 6% unterhalb eines sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt.

Frage: Das ist nicht dramatisch weniger. Aber müssten Solo-Selbstständige angesichts des höheren Risikos, das sie eingehen, nicht eigentlich mehr verdienen? Warum bleiben sie trotzdem selbstständig?

Antwort: Nicht-monetäre Vorteile wie zeitliche Flexibilität, Vereinbarkeit mit der Familienarbeit, Unabhängigkeit können dazu führen, dass man mit einem niedrigeren Stundensatz zufrieden ist, so die Interpretation verschiedener Ökonomen. Die erhebliche Fluktuation weist darauf hin, dass mancher die Verdienstmöglichkeiten überschätzt und den Markt mit einiger Zeitverzögerung wahrscheinlich gerade wegen der geringen Einkommen wieder verlässt.

Frage: Überraschenderweise verdienen Verheiratete signifikant weniger, Kinder wirken sich dagegen positiv auf das Einkommen aus. Könnte die Erklärung darin bestehen, dass in einer Ehe mit einem gut verdienenden Partner die eigene Selbstständigkeit nicht demselben wirtschaftlichen Druck unterliegt wie bei Alleinstehenden, ich also zum Beispiel nicht so hart mit dem Auftraggeber verhandeln muss? Müsste man die Lebenssituation und Motivation des Einzelnen nicht stärker berücksichtigen?

Antwort: Ja, absolut richtig. Wir haben uns deshalb für die Zukunft unter anderem vorgenommen, das Einkommen auch nach Geschlechtern und weiteren Merkmalen getrennt zu analysieren. Wir rechnen dabei mit aussagekräftigen Ergebnissen, die es uns ermöglichen, die unterschiedlichen Gruppen von Solo-Selbständigen besser zu unterscheiden.

Frage: IT-Experten verdienen eher gut, Journalisten eher schlecht. Wird es auch eine Auswertung der Einkommen nach Branche geben?

Antwort: Ja, das haben wir vor. Der Mikrozensus liefert die nötigen Daten. In dem Zusammenhang sei auch auf den Wochenbericht des DIW-Kollege Karl Brenke verwiesen.

Frage: An die Politik gerichtet fordern Sie eine höhere Durchlässigkeit zwischen den Beschäftigungsformen und bessere Beratung hinsichtlich der Sozialversicherung. Wie hängen diese Forderungen mit den Ergebnissen der Studie zusammen?

Antwort: Man kann als Selbstständiger deutlich mehr verdienen oder auch deutlich weniger als in der Anstellung. Das sollte man ohne all zu hohe Hürden ausprobieren können - und wenn es nicht passt, auch wieder ohne große Nachteile in eine Anstellung zurückkehren können. Insbesondere im Bereich der Sozialversicherung gibt es aber beim Wechsel Kosten, Inkonsistenzen und großen Informationsbedarf. Diese Hürden sollten abgebaut werden.

VGSD: Vielen Dank für das Gespräch!

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