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Gründungsinteresse auf Tiefpunkt Was sind die Gründe? Was müsste man ändern?

Vor wenigen Tagen ist der IHK-Gründungsreport 2016 erschienen, ein rund 20-seitiger Bericht, in dem der DIHK als Dachverband der Industrie- und Handelskammern Kennzahlen der Einzel-IHKs verdichtet.

Die Ergebnisse sind brisant: Zum vierten Mal in Folge berichtet der Report von Rückgängen beim Gründungsinteresse, gemessen an der Zahl der geführten Informationsgespräche: 10 Prozent Rückgang allein gegenüber dem Vorjahr, vierter Negativrekord in Folge, vor 12 Jahren war das Gründungsinteresse noch doppelt so groß. Noch dazu seien die Gründer schlechter vorbereitet: Nur 65% haben sich genügend Gedanken zum Kundennutzen ihrer Geschäftsidee gemacht.

Die Zahlen bestätigen die Statistik des Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn, wonach die gewerblichen Gründungen nicht nur von Jahr zu Jahr abnehmen, sondern seit vier Jahren sogar zu einem negativen Gründungssaldo führen: Auch die Gesamtzahl der bestehenden Unternehmen ist rückläufig.

Was sind die Gründe für den starken Rückgang der Gründungszahlen?

Mantraartig wiederholt der DIHK, der Rückgang des Gründungsinteresses läge vor allem an der guten Konjunktur: „Das nachlassende Gründungsinteresse ist Spiegelbild der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.“ Durch den großen Einfluss der Kammern hat sich dieses Erklärungsmuster auch bei vielen Politikern verfestigt.

Dabei gibt es noch eine ganz andere, viel offensichtlichere Erklärung für den Rückgang: Ende 2011, also vor fünf Jahren, wurde der Rechtsanspruch auf Gründungszuschuss abgeschafft, die Berater bei den Arbeitsagenturen müssen seitdem einen Großteil der Gründungswilligen zurückweisen - und zwar insbesondere die mit guter Qualifikation und aussichstreichen Projekten. Die Zahl der geförderten Gründungen ging von einem Jahr auf das andere um 85% zurück.

Der enge Zusammenhang zwischen dem vom DIHK gemessenen Gründungsinteresse (rot) und der Zahl der geförderten Gründungen (grün) zeigt sich in der folgenden Abbildung: Die Linien verlaufen fast parallel. Zur Überprüfung haben wir die Differenz (lila) errechnet. Sie verläuft fast konstant um den Wert von 200.000. (Bei der Zahl geförderter Gründungen haben wir den Gründungszuschuss (GZ) und das Vorgängerinstrument Überbrückungsgeld (ÜG) berücksichtigt.)

Trotz des eindeutigen Zusammenhangs zwischen Förderung und Gründungsinteresse fordert der DIHK noch immer keine Umkehr bei der Förderpolitik (vgl. dazu unten). Handelt es sich um politische Rücksichtnahme gegenüber der Regierung, die den Rückgang des Gründungsinteresses durch ihre Kürzungen in der letzten Legislaturperiode verursacht hat? Oder liegt es daran, dass der DIHK die massiven Kürzungen seinerzeit selbst mitgetragen hat?

Der DIHK brandmarkt geförderte Gründugen nämlich seit vielen Jahren als „Notgründungen“, also Gründungen zweiter Klasse mit geringer volkswirtschaftlicher Relevanz. Aber: Kann es nicht sein, dass auch geförderte Gründungen innovativ sind? Dass jemand, der mit vielen Jahren Berufserfahrung nach einer Kündigung aus einem Anstellungsverhältnis aussteigt und nach einer kurzen Phase der Arbeitslosigkeit gründet, sich erfolgreich und nachhaltig selbstständig macht? Und dass aus einer Vielzahl „kleiner“ Gründungen dann das Potenzial für größere und anspruchsvollere Unternehmensgründungen entsteht? Warum spricht man solchen Gründern pauschal „unternehmerischen Antrieb“ ab?

Kalkül des DIHK nicht aufgegangen

Das implizite Kalkül des DIHK, durch den massiven Abbau der geförderten Gründungen würde die Zahl der „guten, chancenorientierten Gründungen“ zunehmen, hat sich jedoch nicht bestätigt – im Gegenteil. Dies räumt das DIHK nun widerwillig ein:

„Die Anzahl derjenigen, die vornehmlich aus unternehmerischem Antrieb ein Unternehmen gründen wollen, ist seit 2003 zumindest kaum gesunken (...). Zusätzliches unternehmerisches Potenzial konnte in den letzten Jahren allerdings nicht erschlossen werden. Bedenklich stimmt, dass sich der Trend zur besseren Vorbereitung nicht hält, den man in diesem Zusammenhang erwarten würde.“

Und warum nimmt die Qualität der Gründungsvorhaben ab?

Nicht nur die Zahl der Gründungen nimmt ab, die vergleichsweise wenigen verbleibenden Gründer sind auch noch schlechter vorbereitet – und das in jeder Hinsicht:

  • Die kaufmännischen Defizite (z.B. Preiskalkulation etc.) haben 2015 auf 40% (+8% ggü. Vorjahr) zugenommen.
  • Die Finanzierung ist nicht gründich durchdacht in 37% (+3%) der Fälle
  • Der Umsatz wird unrealistisch hoch eingeschätzt: 36% (+10%)
  • Die Gründer haben sich zu wenig Gedanken über den Kundennutzen gemacht: 35% (+5%)
  • Sie äußern unklare Vorstellungen zur Kundenzielgruppe: 30% (+3%),
  • können ihre Produktide nicht klar beschreiben: 26% (+3%)
  • und haben unzureichende Fach- und Branchenkenntnisse: 23% (+6%)

Beim Vergleich mit dem Jahr 2013 fallen die Zahlen noch extremer aus. Gegenüber dem vorletzten Jahr haben zum Beispiel die kaufmännischen Defizite sogar um 16% zugenommen und sich damit von 24 auf 40% fast verdoppelt.

Sind die Gründer schlechter geworden?

Es findet aber keine rasante Dequalifizierung der Gründer statt? Vielmehr gibt es auch für die schlechtere Vorbereitung einfache und naheliegende Erklärungen:

  • Ende 2013 wurde das KfW-Gründercoaching für Gründungen aus Arbeitslosigkeit abgeschafft - mit ihm wurden bis zu 40 Stunden Beratung bei einem Eigenanteil von nur 10% gefördert. Der Eigentanteil wurde 2014 auf 50% erhöht und das Programm seitdem mehrfach umstrukturiert, was jeweils mit großen Unsicherheiten über die Fortführung verbunden war. Zuletzt sollte sogar die KfW-Beraterbörse abgeschafft werden, die für Markttransparenz sorgte. Die Zahl derer, die Beratung in Anspruch nehmen, dürfte dadurch seit 2013 massiv abgenommen haben.
  • Angesichts kontinuierlich zurückgehender Gründungszahlen und wegfallender Förderung haben sich viele selbstständige Berater aus der Gründungsberatung ganz oder teilweise zurückgezogen und sich auf andere Zielgruppen ausgerichtet. Traditionell spielten diese selbstständigen Berater eine wichtige Rolle bei der fundierten Vorbereitung der Gründungsvorhaben. Die Mitarbeiter der IHKs können die resultierenden Defizite feststellen, ihnen fehlt aber die Zeit und meist auch die Selbstständigkeits- und Beratungserfahrung, um dieses Vakuum zu füllen.

Dieser Prozess und damit der Rückgang gut vorbereiteter Gründungen dürfte sich auch 2016 fortsetzen: Ende 2015 wurde vom Bundeswirtschaftsministerium auch die Bafa-Förderung für Gründerseminare eingestellt - mit dem Hinweis, die Gründer könnten sich ja im Internet informieren.

 

DIHK fordert "Gründungspolitik aus einem Guss statt punktueller Werbe-Aktionen"

Marketingaktionen für mehr Gründergeist, wie etwa die jährliche Gründerwoche, können diesen Mangel an Substanz nicht ersetzen, wie der DIHK in seiner Pressemitteilung einräumt: „Offenbar hätten die zahlreichen politischen Kampagnen der letzten Jahre für mehr Gründergeist ‚kaum Früchte getragen’, konstatiert der DIHK-Präsident, und er forderte: ‚Für den Mittelstand von morgen brauchen wir dringend eine Gründungspolitik aus einem Guss statt punktueller Werbe-Aktionen.’“ Diesen Worten von Eric Schweitzer können wir nur zustimmen.

Wie sieht eine solche Gründungspolitik nach Ansicht des DIHK aus?

  • Eine bessere Förderung kleiner Gründungen gehört für den DIHK leider noch immer nicht nicht zu den nötigen Maßnahmen. Statt dessen ist unter dem Forderungspunkt „Finanzierung erleichern“ vor allem die Rede von privatem Beteiligungskapital und Venture Capital für innovative Startups. Wir würden uns wünschen, dass der DIHK hier umdenkt.
  • Einen Hinweis auf das Thema Scheinselbständigkeit bzw. die Forderung nach mehr Rechtssicherheit vermissen wir bei den Forderungen. Auch auf die Diskussion zu einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige geht die Dachorganisation nicht ein. Hier sollte die IHK unseres Erachtens Position für ihre Mitglieder beziehen.
  • Der DIHK sieht viel Potenzial für Unternehmensgründungen bei Frauen. 42% der Infogespräche werden mit Frauen geführt, aber nur 29% von ihnen gründen schließlich ein Unternehmen. Der DIHK sieht die Gründe vor allem in der noch immer schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf und fordert – sicherlich mit Recht – bessere Betreuungsmöglichkeiten durch Kindertagesstätten oder Ganztagesplätze in Schulen. Könnten ein wichtiger Grund aber nicht auch die hohen Mindestbeiträgen zur Krankenversicherung bei Selbstständigen sein, die die von Frauen häufig angestrebte Selbstständigkeit in Teilzeit unattrativ werden lassen?
  • Vielen Forderungen können wir zustimmen: Unternehmertum flächendeckend an Schulen zu bringen, Bürokratie abbauen, Hochschulgründungen attraktiver machen.
  • Schließlich fordert der DIHK One-Stop-Agenturen und macht Werbung in eigener Sache: Diese Agenturen seien von der Bundesregierung bereits angekündigt und müssten jetzt umgesetzt werden. Hierfür „bieten sich die IHKs an, die bereits einen passgenauen Gründerservice aus einer Hand bieten – von Erstauskunft über Businessplan-Check bis zur Unterstützung bei Finanzierung, Förderanträgen und Gewerbeanzeigen.“ Dies sehen wir kritisch, denn auf diese Weise würde die ohnehin schon monopolartige Stellung der IHKs im Gründermarkt noch weiter ausgebaut.

Fazit: Der DIHK ist von der Entwicklung der Gründerzahlen zunehmend alarmiert, zieht daraus unserer Meinung nach aber nicht die richtigen Schlussfolgerungen. Er fordert energische Maßnahmen von der Politik, seine Vorschläge klingen aber nach einem "weiter so".

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