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Arbeiten 4.0 Abschlussveranstaltung und Weißbuch / jetzt mit Videodokumentation

(Update vom 13.01.17) Das BMAS hat gerade eine umfassende, siebenteilige Videodokumentation der Abschlusskonferenz bereit gestellt, so dass ihr die für Euch interessanten Teile anschauen könnt.

Thomas Andersen, Dirk Hermanns und Andreas Lutz bei der Arbeiten 4.0-Abschlussveranstaltung

Unter dem Titel "Arbeiten 4.0 – das Weißbuch" fand am Dienstag in Berlin die Abschlusskonferenz zum gleichnamigen Dialogprozess statt. Der VGSD war durch die Mitglieder Thomas Andersen, Dirk Hermanns sowie Vorstand Andreas Lutz vertreten.

Fast 800 Teilnehmer hatten ihr Kommen zugesagt und der große Saal in einer umgebauten Lagerhalle am Westhafen war zeitweise bis auf den letzten Platz besetzt. Ein großer Teil der Anwesenden hatten an einem oder mehreren Stellen an dem Prozess mitgewirkt.

Bilanz des Dialogprozesses - aus unserer Sicht unbefriedigend

Großer Andrang, 800 Teilnehmer hatten sich angemeldet. Hier ein Blick auf die Bühne.

Es ging dem Ministerium darum, eine Bilanz des Dialogprozesses zu ziehen und das Erreichte zu feiern. Wie bekannt, hätten wir uns eine stärkere Sichtbarkeit und Einbindung von Selbstständigen(vertretern) im gesamten Prozess gewünscht: Bei der Abschlussveranstaltung hatte man zum Beispiel neben all den Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern erneut keinen einzigen Selbstständigenvertreter auf das Podium eingeladen. Und natürlich hätten wir uns gewünscht, wir hätten mehr Verständnis für unsere Argumente zum Thema Scheinselbstständigkeit und gegen eine Rentenversicherungspflicht gefunden. Immerhin konnten wir erreichen konnten, dass es ein klares Verständnis und auch Commitment seitens Ministerin Nahles gibt, die GKV-Mindestbeiträge für Selbstständige senken zu wollen.

Positiv war, dass der Dialogprozess als Katalysator wirkte und Anlässe bot, sich unter den Selbstständigeverbänden zu verständigen, mit Politikern und Beamten zu vernetzen und gemeinsam an Sichtbarkeit mindestens unter den Fachpolitikern zu gewinnen. Insofern war die Veranstaltung auch ein „Klassentreffen“ mit inzwischen vertraut gewordenen Menschen - trotz oft erheblicher inhaltlich abweichender Positionen, die bei solchen Gelegenheiten auch offen thematisiert werden. Entsprechend lebendig lief der Austausch in den Pausen ab. Ein wichtiges Gesprächsthema dabei: Die Einschätzungen der Rentenpläne von Andrea Nahles und die Positionen dazu in den verschiedenen Parteien, bei Verbänden, der Deutschen Rentenversicherung usw.

Weißbuch: Im Selbstständigen-Kapitel viel Raum für Crowd-Worker

Grußwort von Myriam El Khomri, Ministerin für Arbeit, Beschäftigung und sozialen Dialog, Frankreich

Gespannt waren alle Teilnehmer auf das Weißbuch als Ergebnisdokument. Jeder Teilnehmer fand ein gedrucktes Exemplar auf seinem Platz (es steht auch eine PDF-Version zum Download bereit). Seite 166 bis 176 beschäftigen sich mit den Selbstständigen. Hauptthemen: Rentenversicherungspflicht und Scheinselbstständigkeit. Überraschend: Das Thema Crowdworker macht einen großen Teil des Kapitels aus, obwohl die Ministerin einräumen hatte müssen, dass es sich dabei um ein Randphänomen handelt.

Es steht im Weißbuch zum Beispiel , dass über das Internet vermittelte Aufträge - auch aufgrund des geringen persönlichen Kontakts zum Auftraggeber und zu dessen anderen Mitarbeitern - nach heutiger Rechtsprechung recht eindeutig selbstständig ist, zugleich wird aber nach Kriterien gesucht, wie man auch in einem solchen Fall eine Scheinselbstständigkeit begründen könnte.

Kommentare von VGSD-Mitgliedern abgedruckt

In den Randspalten sind Kommentare abgedruckt, die auf der Website Arbeiten 4.0 hinterlassen wurden, darunter auch solche, die im April letzten Jahres zum Dialogauftakt von VGSD-Mitgliedern gepostet wurden.

Beim Lesen des folgenden Kommentars musste ich an den Vortrag von Andrea Nahles beim Themenlabor denken. Dort hatte sie uns Selbstständige mit ihrer kleinen Tochter verglichen, die neugierig und innovativ sei, aber auch schutzbedürftig:

„Eine RV-Pflicht für Selbstständige kommt einer wirtschaftlichen Entmündigung verantwortungsbewusst handelnder Individuen gleich. Man kann es auch Entmündigung durch den Nanny-Staat nennen.“ (S. 167)

Fazit von VGSD-Mitglied Dirk Hermanns: "Auch wenn eingeräumt wurde, dass es gut verdienende Selbstständige gibt, auch solche die für einen späteren Ruhestand Vorsorge betreiben, steht im Vortragsprogramm, dem Weißbuch und der Ausstellung die teilweise prekäre Einkommenssituation und die Schutzbedürftigkeit von (Solo-) Selbstständigen im Vordergrund."

Eröffungsrede: Neuer Flexibilitätskompromiss

Andrea Nahles hält die Eröffnungsrede

In ihrer Eröffnungsrede sprach Nahles von der Notwendigkeit eines neuen Flexibilitätskompromisses, der zunehmende Flexibilität (hier sieht sie Vorteile daraus bei den Arbeitgebern) mit Sicherheit verbindet (die also die Arbeitgeber im Gegenzug bieten müssten). Sie möchte sehr starke individuelle Arbeitnehmer-Rechte einführen, erklärt sie ihre Strategie. Die Arbeitgeber könnten sich dann zusätzliche Flexibilität im Rahmen von Tarifvereinbarungen von den Gewerkschaften bzw. Betriebsräten "erkaufen". (Das könnte allerdings dazu führen, dass die Flexibilität kleiner Unternehmen, bei denen ein Betriebsrat nicht vorhanden und auch nicht sinnvoll möglich ist, und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit begrenzt werden gegenüber größeren Unternehmen. Vgl. FAZ-Interview mit Nahles: "Wer tariflich gebunden ist, wird privilegiert.")

Digitalisierung führt nicht zu weniger Arbeit, aber zu einem Strukturwandel

Die in letzter Zeit wieder häufiger zu hörende Befürchtung, dass uns Computer und Roboter demnächst die Arbeit abnehmen könnten, hält Nahles für absurd, zum Nachweis wurden von den Moderatoren Spiegel-Titelbilder der letzten Jahrzehnte gezeigt, die immer wieder das „Ende der Arbeit“ prophezeiten, das aber nie eingetreten ist. Tatsächlich würden in manchen Branchen Arbeitsplätze verloren gehen. Dafür würden in anderen neue entstehen. Ergebnisse einer vom BMAS dazu beauftragten Studie sind auf Seite 52 des Weißbuchs abgebildet.

Erfreulich dabei: Ein sehr großer Teil der VGSD-Mitglieder arbeitet in den "Gewinner"-Branchen des Strukturwandels. Das liegt daran, dass die meisten von uns Dienstleistungen für Unternehmen erbringen und dafür viel spezifisches Wissen einbringen. (Eine ähnliche Untersuchung in Hinblick auf die Auswirkungen der Digitalisierung gibt es übrigens auch vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB. Dabei wurden alle in Deutschland angeboten Lehrberufe auf ihre Zukunftstauglichkeit untersucht.)

Nahles wären bei Gesprächen mit Selbstständigen "die Tränen gekommen"

Über uns Selbstständige sprach Nahles nur ganz kurz. Kollegen eines anderen Verbands wollten die Passage als Video aufzeichnen. Bevor sie den Startknopf drückten, sei Nahles aber schon wieder mit dem Thema fertig gewesen. Ihr seien, so Nahles, beim Gespräch mit Selbständigen die Tränen gekommen, wie wenig manche verdienen würden. Es folgten die bekannten Argumente, drei Millionen Selbstständige sorgten nicht verpflichtend vor, der Anteil an den Grundsicherungsempfänger sei hoch (vgl. unser Beitrag dazu) und auch wenn Crowdworker momentan kein großes Problem seien, könnten sie sich doch zu einem entwickeln. Deshalb sei eine Rentenpflicht nötig. Weiter ins Detail ging Nahles nicht, was nachvollziehbar ist, da es bei der Abschlusskonferenz um eine Vielzahl von Themen ging und Nahles bereits bei der Vorstellung ihres „Gesamtkonzepts Altersvorsorge“ am Freitag zuvor einiges zu der von ihr geplanten Pflichtversicherung verraten hatte.

Seitenhieb des Arbeitgeberpräsidenten

Ingo Kramer, Chef der Arbeitgeberverbände (BDA)

Die Ministerin kündigte ein „persönliches Erwerbstätigenkonto“ an – inspiriert durch ein ähnliches Projekt der französischen Regierung. Das Konto solle jeder, der ins Arbeitsleben startet, mit einem Startguthaben gefüllt erhalten. Das Guthaben darauf könne er für Fortbildungen, Experimente mit einer Selbstständigkeit etc. nutzen.

Nahles musste gleich auf der Bühne bleiben – für ein Gespräch mit Arbeitgerchef Ingo Kramer und IG-Metall-Boss Jörg Hofmann. Kramer konnte sich – gefragt was er von der Idee eines Erwerbstätigenkontos halte - einen Seitenhieb nicht verkneifen. Mit Bezug auf die Finanzierung der Nahleschen Rentenpläne sagte er, ein Erwerbstätigenkonto sei sicher eine schöne Sache, wenn Nahles dafür einen Finanzierungstopf finden würde. Man müsse nur aufpassen, dass dieser Finanzierungstopf dann nicht wieder einmal einseitig die Jungen belaste.

Werkverträge: Fast einig gewesen und dann doch nicht geklappt

Nahles revanchierte sich mit einem Seitenhieb in Bezug auf Leiharbeit und Werkverträge: Hier sei man sich mit Union und Arbeitgebern fast einig gewesen und dann hätte sie das Gesetz nach Protesten der Arbeitgeber wieder „aufdröseln“ müssen. Interessanterweise hatte sie am Freitag ihre Verhandlungen mit der CDU/CSU zur Zukunft der Rentenversicherung ähnlich beschrieben: Sie sei sich mit der Union fast einig gewesen und für sie überraschend habe die - laut ihr: in sich untereinander zerstrittene – Union dann doch in vielen Punkten unüberbrückbare Differenzen angemeldet. Es scheint hier also häufiger Missverständnisse zu geben. Woran liegt das wohl?

"Die Stammkunden haben Sie überzeugt"

Jörg Hofmann, IG-Metall-Chef

Immer wieder kam Applaus für gewerkschaftsfreundliche Positionen aus dem Publikum, insbesondere aus den vorderen Sitzreihen. Der Moderator kommentierte das so: „Die Stammkunden haben Sie überzeugt. Jetzt müssen wir nur noch nach die anderen Kunden überzeugen.“

Die Diskussionspanels, die den Rest der Veranstaltung dominierten (unterbrochen von einem Poetryslam-Vortrag und Grußwort-Videos ausländischer Politiker), beschreiben wir nicht im Einzelnen. Ihr findet aber in der Galerie unten Fotos der vielen bekannten Gesichter, die auf die Bühne eingeladen waren. Wir gehen davon aus, dass ein Video der Veranstaltung online gestellt wird. Anhand des Programms könnt ihr dann herausfinden, wann die Panels „dran“ waren, für die ihr Euch am meisten interessiert und sie gezielt anschauen.

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