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Erst Beratungsförderung versprochen, dann nicht gehalten Gespräch mit betroffener Unternehmerin

Melanie Struve ist Inhaberin der Krefelder Tanzschule "Doctor Beat". Wir haben sie gefragt, wie es ihr in der aktuellen Krise ergangen ist. Die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben ihr Unternehmen hart getroffen. Zunächst musste sie die Tanzschule komplett schließen und auch nun, nach erneuter Öffnung, hat sie mit Problemen wie Kündigungen und wegfallenden Aufträgen zu kämpfen.

Melanie Struve (links) betreibt mit ihrem Mann seit 2011 die Tanzschule "Doctor Beat"

Melanie hat auf die Hilfe des Corona-Förderungsprogramms der BAFA gehofft - dieses wurde nach langen Verzögerungen Ende Mai gestoppt (vgl. auch Interview mit Dagmar Schulz, das die Hintergründe erklärt). Nach der plötzlichen Schließung ihrer Tanzschule haben Melanie und ihr Team an Überbrückungslösungen gefeilt, um weiterhin Geld zu verdienen. Hierbei wäre ein fachkundiger Berater, dessen Honorar staatlich bezuschusst wird, sicherlich eine große Hilfe gewesen.

Melanie, wie stellt sich deine aktuelle Situation dar?

Als Bankerin und Diplom-Betriebswirtin habe ich 2011 mit meinem Mann eine Tanzschule für erwachsene Paare gegründet. Dabei haben wir ganz bewusst unser eigenes Konzept in einer ehemaligen Kaserne realisiert und nicht einfach einen bestehenden Betrieb übernommen. Wir wollten unser Ding machen, und 2020 hätte das beste Jahr in unserer Geschichte werden können. Dann kam Corona, und damit eine Zwangspause von zwei Monaten.

Die finanziellen Einbußen ab Mitte März waren dramatisch, da Hochzeitstanzkurse, Veranstaltungen und Getränkeumsatz komplett weggefallen sind. Viele Clubmitglieder haben uns aus Solidarität zwar durch die Zeit der Schließung getragen, aber seit wir die Wiedereröffnung der Tanzschule für Mitte Mai kommuniziert hatten, kamen paradoxerweise Kündigungen (wegen Kurzarbeit, wegfallender Aufträge oder Angst vor einer Ansteckung). Und das Neugeschäft liegt brach – ohne Hochzeiten keine Tanzkurse, und im Sommer ist die Nachfrage grundsätzlich geringer als in den ersten fünf Monaten des Jahres.

Nach der Wiedereröffnung: Umsatz runter, Kosten gehen weiter

Zunächst zwei, jetzt 1,50 Meter: Melanie nutzt Cartoons wie diese, um an die Regeln zu erinnern

Wie wirken sich die Kontaktbeschränkungen auf euer bisheriges Geschäftsmodell aus?

Die aktuellen Auflagen lassen wegen des geforderten Mindestabstands nur noch zehn Paare in einem großen Saal zu. Normalerweise arbeiten wir im Parallelbetrieb, d.h. zwei Kurse laufen gleichzeitig, und die Kursteilnehmer können flexibel tanzen kommen.

Jetzt müssen sich alle auf einen Tag festlegen, und wir halten genau fest, wer wann in welchem Tanzbereich getanzt hat, damit mögliche Infektionsketten nachvollzogen werden können. Kindertanzkurse für Kitakids liegen auf Eis (weil die Kleinsten kaum Abstand halten können). Die Auslastung beträgt also nur noch 50 Prozent bei gleichen Kosten für Miete, GEMA, Steuerberater, Nebenkosten und so weiter.

Der Getränkeausschank fällt gerade flach, da unsere Gäste gerne vor und nach dem Kurs an der Theke sitzen und miteinander reden. Jetzt sind feste Sitzplätze an Tischen vorgeschrieben. Veranstaltungen sind bis mindestens August nicht möglich, und es gibt auch keine Untervermietung für private Feiern wie Hochzeiten und Geburtstage.

Wie lange könntest du ohne eine Neuausrichtung noch bestehen?

Wir haben immer sehr vorsichtig gewirtschaftet und Rücklagen gebildet, dennoch möchte ich langfristig natürlich nicht nur die Kosten decken, sondern auch ein Einkommen generieren. Ich hoffe bzw. hoffte auf ein Konjunkturpaket auch für kleine Unternehmen.

Es war relativ schnell abzusehen, dass es für dich keinen schnellen Weg zurück zur geschäftlichen Normalität geben würde. Wie bist du mit dieser Herausforderung umgegangen?

Bereits am ersten Tag der Schließung haben wir uns als Team zusammengesetzt und überlegt, welche anderen Leistungen wir unseren Kunden anbieten können. Daher drehten wir über 100 Videoclips, experimentierten mit Online-Unterricht, stellten Musiklisten auf Spotify zusammen und schrieben Pressemitteilungen und Newsletter für die Kunden. Wir haben uns intensiv mit Kollegen ausgetauscht und an solidarischen Aktionen (z.B. „Bierchen daheim“) teilgenommen.

Auch eine Hygieneschulung haben wir absolviert und vorausschauend an einem Konzept mit Schutzmaßnahmen gefeilt, ohne die Auflagen zu kennen. Kurzarbeit wurde beantragt und genehmigt, auch die Soforthilfe NRW ist zügig geflossen. Im Grunde haben wir aber zwei Monate ohne Unternehmerlohn geschuftet, um unsere Bestandskunden zu halten. Die Lernkurve war sehr steil, leider gab es nur wenig Unterstützung. Aktuelle Projekte sind eine Außen-Tanzfläche unter freiem Himmel und ein Mini-Biergarten vor der Tanzschule.

Hoffnung auf Unterstützung durch die Politik hat sich zerschlagen

Eine geförderte Beratung wäre eine gute Unterstützung in der Krise gewesen

Die Politik hatte schnelle und unbürokratische Hilfen angekündigt. Dazu gehörte auch eine 100-prozentige Kostenübernahme für Krisenberatung, für die du dich entschieden hattest. Haben dich diese Hilfen erreicht?

Leider nein, weil das Förderprogramm vorzeitig gestoppt wurde. Und das halte ich für einen schlechten Scherz, da uns ausgerechnet diese sinnvolle Kostenübernahme für Beratung richtig gut geholfen hätte. Wir sind ja bereit, hart zu arbeiten, Risiken zu tragen und viel alleine zu kämpfen in dieser Krise, aber jetzt lässt man die Selbstständigen komplett im Regen stehen.

Wie hast du die Zeit bis hin zur Absage erlebt? Wie hat sich deine geschäftliche Situation in dieser Zeit entwickelt?

Das Programm wurde ja Anfang April angekündigt, ich habe den Antrag am 18. Mai gestellt. Am 26. Mai kam die Info meiner Beraterin, dass daraus nichts wird. Insofern war es für mich – anders als für andere Antragsteller – keine Hängepartie, aber natürlich eine herbe Enttäuschung. Die Tanzschule fahren wir seit Mitte Mai wieder hoch, und die Kunden, die tanzen kommen, sind zum Glück entspannt. Aber es sind längst noch nicht alle wieder an Bord. Wir müssen uns auf eine sehr lange Durststrecke einstellen.

Aufgeben ist keine Option

Denkst du ans Aufgeben oder ist Aufgeben trotz Corona keine Option für dich?

Aufgeben ist für mich definitiv keine Option, weil ich eher der Typ bin, der sich an einer Aufgabe festbeißt. Herausforderungen gehören ja dazu, aber diese Lage kostet sehr viel Kraft, denn die psychische Belastung ist hoch, und es gibt keine Freizeit zum Abschalten. Daher hatte ich ja auch auf Hilfe durch die Beratung gehofft, um das Ganze nicht alleine, sondern mit einem Sparringspartner durchzustehen – jemand mit objektivem Blick auf die Sache.

Welche Unterstützung wünschst du dir von der Politik in deiner konkreten Situation?

Die Politik hat leider nur geringe Kenntnisse davon, was in kleinen Unternehmen oder gar einzelnen Branchen passiert. Für Tanzkurse sind beispielsweise keine Partnerwechsel erlaubt gemäß Coronaschutz-Verordnung NRW – als ob das heute in einer modernen Tanzschule überhaupt noch ein Thema wäre. Sie sollte sie sich erst mal Sachverstand an Bord holen.

Und es kann einfach nicht sein, dass es für Angestellte Kurzarbeit gibt, aber Selbstständige alle persönlichen Reserven sowie ihre Altersvorsorge aufbrauchen sollen, obwohl der Staat doch ihr Geschäftsmodell zum Schutz aller untersagt bzw. einschränkt. Auch wir zahlen unsere Steuern, Krankenversicherung und Altersvorsorge. Besonders ärgert mich, dass getroffene Maßnahmen nicht erklärt werden. Statt dessen gibt es Durchhalteparolen und Versprechen, die dann nicht gehalten werden.

Anstelle von Krediten und Stundungen (die Umsätze der letzten zwei Monate sind ja eh verloren, was soll ich mit einer Verschiebung des Problems) wünsche ich mir vernünftige Zuschüsse ohne Rückzahlung und sinnvolle Förderprogramme, um kleine Unternehmen für die Zukunft auf eine solide Basis zu stellen. Immerhin: Die Mehrwertsteuersenkung sehe ich positiv.

Als GbR wundere ich mich auch, dass die aktuelle Soforthilfe NRW nur einmal gezahlt wird, nur wegen der Rechtsform sind ja nicht die Kosten halbiert. Auch die Vermieter von Gewerbeimmobilien sollten jetzt ihren Beitrag leisten, denn es ist ohne solidarische Maßnahmen mit vielen Leerständen zu rechnen – und das vielleicht langfristig. Dafür sollte eine rechtliche Grundlage geschaffen werden.

Das Interview ist Anfang Juni entstanden. Aufgrund der mit unserer Bundestagspetition verbundenen Arbeitsbelastung konnten wir es erst jetzt redigieren und veröffentlichen. Danke für euer Verständnis!

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