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Arbeitsagenturen bewegen sich bei Ablehnung von Gründungszuschuss-Anträgen auf dünnem Eis

In der juristischen Fachzeitschrift "Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht" ist unter dem Titel "Der abgemagerte Gründungszuschuss" ein erster ausführlicher Kommentar zum neuen Gründungszuschuss-Recht erschienen. Die Autorin Ute Winkler nimmt in einer in solchen Veröffentlichungen selten gesehenen Eindeutigkeit Stellung zum Thema Ermessensleistung:

"Auf den Zuschuss besteht auch für die ersten sechs Monate kein Rechtsanspruch mehr. (...) Welche Gesichtspunkte – außer der Haushaltssituation der Bundesagentur für Arbeit – hierbei maßgeblich sein sollen, sagt die Gesetzesbegründung nicht.

Da der Gründungszuschuss eine Versicherungsleistung mit gesetzlich exakt benannten Voraussetzungen ist, bleibt für eine Ermessenserwägung wenig Raum. Die BA hat von Quasi-Pflichtleistungscharakter gesprochen (BT-Drs. 17(11)594 S. 60).

Zulässig ist es künftig, auf den Vermittlungsvorrang (§ 4 SGB III) zu verweisen, nicht dagegen auf die Haushaltssituation der BA, die Eigenleistungsfähigkeit der antragstellenden Person oder das Verschulden an der Arbeitslosigkeit; auch darf zwischen mehreren Personen nicht nach der vermuteten Erfolgsaussicht ausgewählt werden."

Was bedeutet das für die Praxis?

Zunächst einmal kritisiert die Autorin, dass der Gesetzgeber zwar beschlossen hat, viel Geld einzusparen (5,2 Mrd. Euro bis 2015), den Arbeitsagenturen als ausführenden Stellen aber keinerlei Orientierung an die Hand gegeben hat, wie sie dabei verfahren sollen.

Ohne entsprechende Auswahlkriterien ist es sehr schwierig, Aufträge aufgrund einer Ermessenentscheidung abzulehnen, denn es handelt sich beim Gründungszuschuss um eine Versicherungsleistung, deren Anspruch auf (meist langjährigen) Beitragszahlungen beruht. Ermessensentscheidungen, dem einen die Leistung zu geben, dem anderen nicht, sind in einem solchen Fall nur in engen Grenzen möglich. Deshalb haben Vertreter der Bundesagentur für Arbeit selbst mit Bezug auf den neuen Gründungszuschuss von einer "Quasi-Pflichtleistung" gesprochen.

Der "Vorrang der Vermittlung" in § 4 SGB III ist nicht neu, den Paragraphen gab es schon vorher. Neu ist, dass er auch auf den Gründungszuschuss angewendet wird. Dies ist auch legitim. Allerdings kann nicht, wie dies momentan geschieht, jedem Gründungswilligen unabhängig von den persönlichen Umständen erzählt werden, er habe doch wunderbare Vermittlungschancen, wenn er nur flexibel genug sei, weit genug pendelt oder umzieht oder ausreichend hohe Gehaltseinbußen in Kauf nimmt. Hierfür gibt es klar definierte Grenzen der Zumutbarkeit.

Nach unserer Erfahrung hat jeder unserer Kunden seine eigenen, guten Gründe für seine Gründungsentscheidung - die ja nicht von einem Tag auf den anderen zustande gekommen ist, sondern nach meist monatelangen Überlegungen. Wenn es von der Qualifikation her passende, gut bezahlte, sichere Tätigkeiten als Angestellter in Hülle und Fülle geben würde, hätte er sich häufig gar keine Gedanken über eine Selbständigkeit gemacht. Die Vermittelbarkeit muss deshalb von dem Berater bei der Arbeitsagentur sorgfältig geprüft und dokumentiert werden, sonst wird eine Ablehnungsentscheidung vor dem Sozialgericht keinen Bestand haben.

Autorin sieht in Haushaltssituation keinen zulässigen Ablehnungsgrund

Ganz deutlich stellt die Autorin fest, dass die Haushaltssituation der Arbeitsagenturen, also auch eine begrenzte Zuweisung durch das Ministerium kein zulässiger Ablehnungsgrund ist. Das gleiche gilt für die Eigenleistungsfähigkeit. Ute Winkler versteht darunter u.E., dass jemand zum Beispiel über ausreichende Ersparnisse verfügt und die Gründungsphase aus diesen finanzieren könnte. Dies ist kein legitimer Ablehnungsgrund, wenn es um Versicherungsleistungen geht. Ansonsten dürfte man auch das Arbeitslosengeld I demjenigen verweigern, der gut gewirtschaftet und für Notzeiten vorgesorgt hat.

Versteht man unter Eigenleistungsfähigkeit dagegen, dass es in der Anfangsphase (speziell in den ersten sechs Monaten) keine Deckungslücke bzw. keinen Finanzierungsbedarf gibt, weil der Gründer von Anfang an einen Gewinn erzielt, der zur Deckung der Lebenshaltungskosten und Sozialversicherung ausreicht, so wäre dies ein legitimer Ablehnungsgrund. Das war allerdings bisher schon so. Ohnehin stellen solche Businesspläne bei realistischer Wahl der Annahmen die Ausnahme dar.

Ob man selbst gekündigt hat oder gekündigt wurde – auch das darf bei der Entscheidung über eine Versicherungsleistung keinen Unterschied machen, zumal Gründungswillige dafür ja bereits durch eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld I-Bezug hinlänglich "bestraft" wurden.

Einzig die Tragfähigkeit wäre legitim

Interessant ist auch, dass eine Abwägung nach der Höhe der Erfolgsaussichten, also zum Beispiel des zu erwarteten Gewinns nicht legitim wäre. Zulässiges Kriterium ist hier einzig, ob die Gründung tragfähig ist, also dass bei konsequenter Umsetzung des Businessplans nach einer Übergangszeit die Einnahmen ausreichen, um davon leben zu können.

Der Kommentar von Ute Winkler interpretiert das Gesetz, er drückt eine Meinung aus. Die Vertreter von Arbeitsagenturen können durchaus auch anderer Meinung sein, wie die neue Rechtslage umzusetzen ist. Wer Recht hat, wird letztlich vor den Sozialgerichten entschieden werden. Die Richter werden dazu neben den Argumenten beider Seiten inbesondere auch Kommentare wie den hier zitierten berücksichtigen.

Wir glauben, dass die Arbeitsagenturen sich bei Ablehnungsentscheidung rechtlich gesehen momentan häufig auf dünnem Eis bewegen und viele Ablehnungsbescheide aufgrund mangelnder Sorgfalt bei der Begründung die Sozialgerichte nicht überzeugen werden.

Wir glauben, dass dies den Arbeitsagenturen auch bewusst ist, weshalb sie versuchen, Gründungsinteressierte durch teilweise irreführende Behauptungen ("Sie bekommen den Gründungszuschuss sowieso nicht") davon abzuhalten, überhaupt einen Antrag zu stellen. Denn wer den Antrag nicht stellt, verzichtet freiwillig auf den Zuschuss und kann hinter her nichts mehr unternehmen.

Deshalb: Kommen Sie möglichst schon vor dem ersten Gespräch mit der Arbeitsagentur zu uns. Stellen Sie die Weichen schon bei diesem Gespräch in die richtige Richtung und vermeiden Sie so langwierige Auseinandersetzungen. Mit den richtigen Argumenten, einem gut durchdachten Businessplan und einem fehlerfreien Antrag haben Sie dann beste Chancen, den Gründungszuschuss zu erhalten – entgegengesetzte Aussagen der Agenturmitarbeiter werden Sie als Abschreckungstaktik durchschauen.

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