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Engagiertes SPD-Mitglied Offener Brief von Michaela Mellinger an Bundesarbeitsminister Heil

Wir veröffentlichen hier einen offenen Brief von Michaela Mellinger an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sowie den SPD-MdB Bernd Rützel (Wahlkreis Main-Spessart, Mitglied des Bundestagsausschusses  für Arbeit und Soziales).

Michaela Mellinger ist engagiertes SPD-Mitglied, im Vorstand der AGS (Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD) Oberbayern und stellvertretende Vorsitzende der AGS Bayern.

SPD-Fahne über der Parteizentrale in Berlin

Noch ist sie Mitglied, denn Sie hat mit Wirkung zu Ende Juli ihre Ämter in der Partei niedergelegt und ihren Austritt aus der SPD erklärt.

Die Vorgeschichte: Am 10. Mai hatte sie Bernd Rützel, den sie auf einer SPD-Veranstaltung kennengelernt hatte, eine ausführliche Mail zur aktuellen Situation soloselbstständiger Experten und Lösungsmöglichkeiten geschrieben. In ihrer Mail hatte sie ein rechtssicheres Statusfeststellungsverfahren, eine stärkere Berücksichtigung der Honorarhöhe als Abgrenzungskriterium sowie bei Einführung der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige Vertrauensschutz und den Erhalt der bestehenden Altersabsicherung gefordert.

Rützel hatte ihr am 22. Mai geantwortet und u.a. geschrieben, dass für eine Neuregelung im Sinne der SPD keine ausreichenden Mehrheiten vorhanden seien, die Union eine bessere Regelung verhindert habe und es eine Ausschussnotiz gebe, dass die Gesetzesänderungen dem Projektgeschäft nicht entgegenstehen sollten. Er sei klar gegen eine Berücksichtigung der Honorarhöhe als Abgrenzungskriterium im Statusfeststellungsverfahren. Er befürworte die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung: Man dürfe nicht ignorieren, "dass aktuell rund drei Millionen Selbstständige im Alter nicht abgesichert sind".

In ihrer Antwortmail an Rützel und Minister Heil bezieht sich Michaela Mellinger auf das "Freelancer-Verbot" von Vodafone, über das wir Anfang dieser Woche berichtet haben.

Wir bedauern den Austritt von Michaela Mellinger aus der SPD sehr, denn sie hat sich als AGS-Mitglied mit viel Herzblut dafür eingesetzt, dass die Partei ihre Position zu den oben genannten Themen überprüft und an die heutige Arbeitswelt anpasst. Sie hat dazu 2018 und 2019 mehrere Veranstaltungen (vgl. Bericht) veranstaltet und dazu mehrfach auch uns eingeladen.

Hier der Text ihres offenen Briefs bzw. ihre E-Mail:

Offener Brief: "Aktuelle Situation und Lösungsmöglichkeiten soloselbstständiger Experten"

Sehr geehrter Arbeitsminister Hubertus Heil,

lieber Bernd,

vielen Dank für die Beantwortung meiner Email. Anlässlich der heutigen Nachricht, dass auch Vodafone nun den eigenen Lieferanten den Einsatz von Freelancern verbietet, schreibe ich erneut. Erfolgreiche IT Projekte und die Transformation der Unternehmen in agile Arbeitsformen wird durch die aktuelle Politik massiv behindert. Dies liegt am Unverständnis, dass selbstständige Experten einen wesentlichen Beitrag zur Innovationskraft in Deutschland leisten. Leider kann ich dies über meine bisherige Partei nicht sagen.

Ein weiteres großes Unternehmen, das ignoriert wurde und nun Konsequenzen zieht. Vodafone verbietet den Einsatz selbstständiger BeraterInnen und Freelancer.  Bernd, du erinnerst Dich vielleicht an mich, ich bin bis Ende des Monats Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD für Oberbayern. Der Umgang mit Experteers ist u.a. ein Grund, warum ich aus der SPD zum Monatsende ausscheide, da die Partei m. E. nicht in der Lage ist, zeitgemäß auf aktuelle Themenstellungen zu reagieren und stattdessen lieber ideologische Politik für die Mitglieder, über die Köpfe der Betroffenen macht. M. E. verstößt das Vorgehen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Recht auf Berufsfreiheit. Da das Thema so wichtig für den Wirtschaftsstandort ist, möchte ich in Form eines offene Briefes antworten. Auch sollte darüber eine öffentliche und konstruktive Diskussion geführt werden. Wie wollen wir in Zukunft arbeiten, welche Chancen liegen in den neuen Arbeitsformen für die Menschen?

Aktuell wünscht sich die gesamte IT Branche einfach nur noch, dass die SPD keine Regierungsverantwortung mehr hat. Mein Gesicht kann ich für eine solche Politik nicht mehr in der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Es wird mir auch zum erstem Mal in meinem Leben schwerfallen, weiterhin eine Wahlempfehlung in Richtung SPD zu geben, da hier ich und viele Menschen, die ich kenne, in Ihrer freien Berufswahl gehindert werden und z. T. in ihrer Existenz betroffen sind.

1. Größter Verdruss, die aktuell laufenden Feststellungsverfahren

Leider habe ich dazu keine Antwort erhalten, wie die Regierung hier gerechte Verfahren sicher stellen will. Ich würde gerne irgendeine vernünftige Antwort den Betroffenen geben. Bekomme aber keine brauchbare Rückmeldung. Eine Kommunikationshilfe, den Vorschlag einer direkten Anhörung wäre z. B. hilfreich gewesen. Mit Kommunikationshilfe meine ich eine echte Hilfe, die berücksichtigt, dass auf der anderen Seite ein halbwegs intelligentes Gegenüber sitzt.

Daher wiederhole ich meine Frage: Was wird das Arbeitsministerium unternehmen, um die Qualität der laufenden Feststellungsverfahren zu sichern? Ist es gewollt, dass mit der Rentenversicherung als subjektiv Beteiligte im Verfahren gleichzeitig die Feststellungsverfahren leitet? Je länger die SPD das Arbeitsministerium hält, desto mehr gehen diese Verfahren zu Ungunsten der Selbstständigen aus.

2. Rechtsunsicherheit beseitigen durch eine eigene Tätigkeitsgruppe der soloselbstständigen Experten

Es gab bereits Gerichtsurteile dazu, dass die Höhe des Tagessatzes ein geeignetes Kriterium ist, um auf eine selbstständige Tätigkeit zu schließen. Ein Mensch, der mehr verdient, als ein Festangestellter, ist nicht abhängig. Offensichtlich wird das Fachwissen entsprechend hoch eingeschätzt. Um wirklich ausgebeutete Paketzusteller und ähnliche Personen zu schützen, ist Euer Änderungsvorschlag zu § 611a BGB gut. Aber er ist absolut nicht zielführend in modernen Arbeitswelten. Die Arbeit in komplexen Projekten macht eine enge Zusammenarbeit immer notwendig. Wenn dem nicht Rechnung getragen wird, dann wird Soloselbstständigkeit in Zukunft in Deutschland nicht mehr möglich sein. Dies wird dazu führen, dass die Werte der SPD in Sachen Wirtschaftskompetenz noch mehr abnehmen und große Wählergruppen für immer verloren sind. Würde die SPD wider Erwarten in Regierungsverantwortung bleiben, wird die Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts Deutschland dadurch stark gefährdet.

3. Absicherung im Alter:

Die Prüfung, ob eine ausreichende Absicherung im Alter besteht, kann durch eine gesonderte Prüfung erfolgen. Diese Kriterien könnten gesellschaftlich diskutiert und festgelegt werden. Dabei ist auf Gleichbehandlung ggü. anderen Berufsgruppen wie Ärzten, Anwälten, Künstlern etc. zu achten. Ein gewisser Grundbetrag, der von ALLEN beruflich Tätigen gezahlt wird, ist denkbar.

Alternativ könnte auch eine ähnliche Abgabe wie die der Künstlersozialkasse erfolgen. Es gäbe hier also viele kreative und moderne Ansatzpunkte, soziale Verwerfungen im Alter zu vermeiden. Leider verweisen in diesem Zusammenhang SPD Politiker, auch Du Bernd, hier auf eine Fake Zahl, die durch Andrea Nahles etabliert wurde. Es gibt keine 3 Mio. Soloselbstständigen, die im Alter auf Grundsicherung angewiesen wären! Es gibt 3 Mio. Selbstständige, die aktuell nicht in einer Kammer und auch nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Diese haben aber entweder in der Vergangenheit bereits Rentenansprüche erworben, die über die Grundsicherung hinaus gehen und/oder privat fürs Alter vorgesorgt. Das haben Selbstständige schon immer getan, es wäre schön, wenn dies weiterhin möglich wäre. Immerhin haben die meisten auch laufende Verpflichtungen, die man nicht so einfach beenden kann. Wie Allensbach und DIW beweisen, ist überwiegend eine gute Alterssicherung vorhanden.

Die Folgen dieser Ignoranz:

Viele Unternehmen verbieten den Einsatz von Freelancern. Das kann langfristig viele ältere Experteers, die sich in diesem Berufsleben erfolgreich eingerichtet haben, in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Aktuell sind Aufträge fast nur noch mit dazwischen geschalteten Vermittlern möglich. Diese halten die Vermittlungsgebühr geheim. Üblich ist aber ein Aufschlag von 20 – 35 %. Dass die SPD eine solche Branche fördern will, kann ich mir nicht vorstellen. De Facto verhindert diese Politik Chancengerechtigkeit.

Ich hoffe weiterhin, dass die SPD hier umschwenkt und zur Vernunft kommt. Es wäre sehr schmerzhaft, dass der Teil der Bevölkerung, der die Zukunftssicherung für Deutschland mit realisiert, hofft, dass die Regierungsverantwortung der SPD bald endet. Ich war bis vor kurzem eine sehr loyale und engagierte Genossin, die den größten Teil ihrer Freizeit, Geld und Engagement gerne der Partei zur Verfügung gestellt hat. Für mich endet dies mit diesem Monat. Mein Austritt wird voraussichtlich nicht der letzte aus der Branche sein.

Gerne stehe ich aber für Rückfragen und weiteren Input in dieser Sache zur Verfügung. Bitte benehmt Euch in dieser Hinsicht wie eine Volkspartei und nicht wie der linke Flügel der Linken.

Beste Grüße

Michaela Mellinger

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