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Ergebniskonferenz Minister Heil bietet uns "offenen Dialog" zum Thema Statusfeststellung an – Wortlaut

Bei der Ergebniskonferenz des BMAS-Zukunftsdialogs am Freitag letzter Woche stellte ich (Andreas Lutz) gefolgt von meinem BAGSV-Kollegen Marcus Pohl (ISDV) im Rahmen des "Townhall"-Meetings am Nachmittag mehrere Fragen an Bundesarbeitsminister Heil.

Minister Hubertus Heil beim Beantworten von Fragen der Teilnehmer

Ich wies darauf hin, dass aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit jedes siebte bis achte größere Unternehmen in Deutschland (Beispiel: Vodafone) keine Aufträge mehr an Selbstständige vergeben und Projekte ins Ausland verlagern. Dass die Kriterien zur Statusfeststellung gleich geblieben seien, sich aber die Arbeit geändert habe. Deren immer strengere Auslegung freiwillig Selbstständigen schaden, prekär Selbstständigen aber keinen Schutz bringen würde.

Ich fragte, ob man nicht die überkommenen Kriterien ändern müsse. Ob dazu nicht zwingend eine Gesetzesänderung nötig sei (dies war in dem an diesem Tag vorgestellten Ergebnisbericht verneint worden). Schließlich wollte ich wissen, warum nicht nach der Honorarhöhe (relativ zum Verdienst vergleichbarer Angestellter) differenziert werden könnte. Ob nicht fair zahlende Auftraggeber geschützt werden sollten und die Verfolgung durch die DRV sich auf solche Auftraggeber fokussieren sollte, die Selbstständigkeit zum Beispiel dazu nutzen, um den Mindestlohn zu umgehen.

Minister Heil antwortete – an mich gewandt - ausführlich und gut präpariert. Wir geben im Folgenden den Wortlaut seiner Antwort wieder. Als Vereinsmitglied kannst du auch den Audio-Mitschnitt anhören.

Weitere Berichte über die für uns sehr wichtige Konferenz und den dort veröffentlichten Ergebnisbericht folgen in den nächsten Tagen. Darin werden wir auch den Ergebnisbericht unter die Lupe nehmen und die Entwicklung differenziert bewerten.

Heil: "Ich bin Ihnen dankbar für die beiden Fragen aus dem Bereich Selbstständigkeit, weil das ein großes Thema ist und weil ich in diesem Dialog auch sehr viel über Differenzierung gelernt habe. Das Spektrum von Selbstständigkeit in Deutschland ist riesig groß und unterschiedlich.

"Ich habe sehr viel über Differenzierung gelernt"

Moderatorin und Minister

Und dahinter steckt ja die Frage: Was ist selbstständig? Am Anfang hab ich mal gelernt: Es ist unternehmerisches Freiheitsstreben und unternehmerisches Risiko. Deshalb ist man nicht abhängig beschäftigt, hat Freiheit und trägt bestimmte Risiken, die andere nicht haben. Und das Abgrenzungskriterium ist im Arbeitsrecht immer die Weisungsgebundenheit. Jetzt wird's aber schon schwierig. Also bei Solo-Selbstständigen insbesondere.

Und ich erlebe, dass es zweierlei Selbstständige gibt. Ich sag es jetzt mal schematisch. Damit Sie mich richtig verstehen, das ist kein wissenschaftlicher Vortrag. Ich hab erlebt, dass wir ganz prekäre Formen von Selbstständigkeit mittlerweile haben, die zum Teil wahrscheinlich auch nach heutiger Rechtsordnung schon richtig, zu Recht, rechtswidrig sind. Und ganz agile und neue Formen, wo Menschen sehr gerne selbstständig sind, aber sie an rechtliche Grenzen stoßen dessen, was wir an Rechtsrahmen haben.

"Und darüber müssen wir reden, wenn es um das Thema Statusfeststellung geht."

Und darüber müssen wir reden, wenn es um das Thema der Statusfeststellung geht. Dazu werden wir noch mal ein bißchen detaillierer als der Report auch das Gespräch mit Ihnen suchen.

Ich glaube, dass politisch sich die Debatte ein bißchen entspannen kann, wenn wir das Thema Einbeziehung der Selbstständigen in das System der Alterssicherung lösen. Ich habe jetzt nicht Rentenversicherung gesagt, weil der Koalitionsvertrag da vorsieht, dass wir Alterssicherung haben. Weil das eine universelle Form wäre zu sagen, das ist ein Lebensrisiko, das ist inzwischen für alle ein Thema und wir haben auch zig Selbstständige in Deutschland, die nicht vernünftig abgesichert sind und am Ende des Tages nicht mehr haben als Grundsicherung, die dann andere übrigens mit ihren Steuern bezahlen. Deshalb gibt es eine sehr große Gruppe von Selbstständigen, die sehr dafür ist, nämlich das deutsche Handwerk, da was zu machen – beispielsweise. Das ist eine Frage, die haben wir noch zu klären.

Zum Nachhören: Audio-Mitschnitt der Antwort von Arbeitsminister Heil

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"Ich habe den Titel von 'brand eins' gesehen"

Aber das beantwortet noch nicht Ihre Fragen. Ich weiß, dass es inzwischen ne Riesenwelle von Themen gibt.

Ich habe den Titel von "brand eins" gesehen, dem Magazin – im Stile von "Wir haben abgetrieben" – von Leuten, die sich als Selbstständige bekennen und sagen: 'Ich fürchte aufgrund der Arbeitsrechtspolitik von Herrn Heil und seiner Vorgängerin um unsere Existenz.'

Ich biete Ihnen an, dass wir das sehr vertieft miteinander diskutieren. Aber auch sehr offen und ich Ihnen sagen kann, was ich machen kann und was ich nicht machen kann.

Die Idee, die Sie haben, sozusagen eine feste Einkommensgrenze vorzuschlagen und zu sagen: 'Dann ist das fair und nicht mehr prekär' – das würde voraussetzen, dass wir nicht nur einen Mindestlohn haben, sondern so was wie Mindestselbstständigenvergütung. Ich sage das jetzt mal so. Was rechtlich ein Problem ist, weil wir hier im Bereich der Vertragsfreiheit von Vergütung sind in diesem Bereich. Ich kenne diese Diskussion, wir haben die ja auch geführt. Björn [gemeint ist der beamtete Staatssekretär Björn Böhning], du hast die Workshops dazu zum Teil auch mitgemacht.

"Ich glaube, dass es auch um die Länge des Verfahrens geht"

Die Antworten von Minister Heil wurden auch in Gebärdensprache übersetzt

Ich biete Ihnen jetzt einfach an, dass wir jetzt bei der Frage der Umsetzung der Ideen da rangehen. Und ich glaube trotzdem, dass es richtig ist, die Frage der Statusfeststellung und die Frage, wie lange so etwas dauert, dass man Rechtssicherheit hat – ich glaube, dass es auch an der Frage der Länge dieses Verfahrens hängt – miteinander zu führen.

Aber was ich sagen will, ist: Auch da sind wir noch nicht vollständig fertig, weil es für das Thema Selbstständigkeit keine 'Same size fits all-Geschichte' gibt. Kein – ich darf das sagen, mit meiner Figur - also kein Anzug, der jedem passt, ne? Da müssen über Rechtsrahmen und Sozialschutz reden.

Aber was umgekehrt auch richtig ist: Wir müssen natürlich auch mal die Frage – andere Baustelle, aber ich muss es ganz offen ansprechen - der Tragfähigkeit von sozialen Sicherungssystemen reden. Auf wie vielen Schultern stützen wir das ab? Machen wir das mit Steuern? Rente zum Beispiel? Wie ist das mit Einbeziehung bestimmter Gruppen in Sicherungssysteme? Also die Idee von Bürgerversicherung in der Krankenversicherung, die Sie alle kennen oder die Frage langfristig die Idee der Erwerbstätigenversicherung in der Alterssicherung – bezogen auf die Alterssituation, die es in Deutschland gleichzeitig gibt.

"Ich wache nicht jeden Morgen ... auf und überlege mir: Wie ärgere ich die Selbstständigen ... am meisten?"

Und trotzdem: Ich wollte Ihnen einfach nur sagen: 'Ich wache nicht jeden Morgen im Arbeitsministerium auf und überlege mir: Wie ärgere ich die Selbstständigen in Deutschland am meisten?' Weil ich weiß, wie viele Arbeitsplätze Sie schaffen und es ganz wichtig ist, dass wir übrigens ein paar Leute hinbekommen, die sich auch noch mal selbstständig machen demnächst. Und das geht übrigens gerade zurück in Deutschland. Manchmal aufgrund der guten Arbeitsmarktlage, weil es dann doch risikofreier ist, abhängig beschäftigt zu sein. Aber wir wollen ja Leute ermutigen, Unternehmen zu gründen, weil wir seit 1972 keine Unternehmensgründung in Deutschland mehr hatten, die zu einem Riesenunternehmen geführt hat.

Insofern: Lassen Sie uns das fair miteinander besprechen und die These, die Sie sagen, dass gerade alles ins Ausland fährt, prüfen und angucken, was wir am Statusfeststellungsverfahren miteinander machen können."

Moderatorin: "Hoffentlich wachen Sie vor allem auch nicht immer im Bundesarbeitsministerium auf..."

Heil: "Ist schon passiert."

Moderatorin: "Ok... Wir haben jetzt vier Meldungen..."

Heil: "Also morgens meine ich, tagsüber nicht."

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