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Fachanwalt warnt vor rechtlichen Fallstricken in Projektangeboten

Die Diskussion über das Thema Scheinselbstständigkeit hat viele Auftraggeber verunsichert – sie beschäftigen im Extremfall gar keine Freelancer mehr. Andere Unternehmen ignorieren offenbar die Rechtsunsicherheit und schreiben Aufträge zu Bedingungen aus, die Indizien für eine Scheinselbstständigkeit enthalten.

Günther Werner arbeitet in München als Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Der Münchener Arbeitsrechtler Günther Werner kommentiert für uns zwei Beispiele. Übrigens: Eines dieser beiden Angebote stammt von der Deutschen Rentenversicherung!

Beispiel 1: "Gesucht: Technische Redakteure in freier Mitarbeit"

Die online veröffentlichte Offerte enthält folgende Passage:

Das bieten wir Ihnen:
  • leistungsgerechte Bezahlung auf Basis Stundensatz
  • einen modernen, bestens ausgestatteten Arbeitsplatz
  • ein gesundes und freundliches Betriebsklima
  • nette Kollegen für ein angenehmes Arbeiten im Team
  • Unterstützung durch unsere Spezialisten

Und das sagt Rechtsanwalt Werner dazu:

"Das Angebot spricht prima vista für eine Scheinselbständigkeit: Die Arbeit erfolgt vor Ort, also insbesondere unter Einsatz der Betriebsmittel des Auftraggebers. Der Auftragnehmer wird zeitlich und räumlich einsortiert in den Unternehmensablauf, und das ohne zeitliche Obergrenze. Hinzu kommen das Anpreisen des Betriebsklimas und der netten Kollegen sowie der Hinweis aufs Arbeiten im Team.

Hier spricht viel dafür, dass der Dienstleister möglichst viel vor Ort sein soll, dass er eingebunden in die täglichen Abläufe konkret weisungsabhängig arbeitet und insbesondere auch keine Aufträge ablehnen kann.

Vorbehaltlich einer Prüfung der konkreten Umstände muss sich der Dienstleister immer die Frage stellen: Wodurch unterscheidet sich der angestellte Redakteur von mir – wenn ihm da nicht viel einfällt, spricht schon mal einiges für eine Scheinselbständigkeit. Hier also eher Finger weg."

Beispiel 2: "Gesucht: IT-Fachmann für die Server-Betreuung"

Ein VGSD-Mitglied erhielt von einem Personalvermittler ein Angebot mit folgenden Formulierungen:

Der Kunde betreibt eine Vielzahl von Verfahren auf Applikationsservern in verschiedenen Umgebungen. Zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Vor-Ort-Betreuung wird ein Kandidat gesucht, der insbesondere zu Beginn eines Arbeitstages die Einsatzbereitschaft der Systeme sicherstellt.

Daneben werden Kenntnisse zum Betrieb von Kommunikationssystemen und Content Management Systemen (CMS) gefordert. [...]

Umfang: 880 Personentage in 48 Monaten fulltime vor Ort, remote nicht möglich

Mindestabnahmemenge 440 Personentage

Der Einsatz beginnt regelmäßig ab 6:00 Uhr (Frühdienst)

An ausgewählten Wochenenden ist ebenfalls ein Einsatz erforderlich.

Und das sagt Rechtsanwalt Werner dazu:

"880 Personentage, also 7.080 Arbeitsstunden in vier Jahren, sind ein Vollzeitjob. Denn: Man spricht in der Regel ab 36 Stunden pro Woche von Vollzeit. Unter dieser Prämisse scheint es mir kaum möglich, die gewünschte Leistung als Einzelner im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit zu erbringen. Es ist davon auszugehen, dass der Mitarbeiter von diesem Job lebt, organisatorisch eingebunden ist und letztlich auch nicht über diese Verpflichtung hinaus ernsthaft auf dem Markt als Dienstleister auftreten kann. Wenn die Leistung beim Auftraggeber üblicherweise durch Angestellte erbracht wird oder bisher erbracht wurde, spricht dies auch für Scheinselbständigkeit. Wichtig für die Beurteilung ist darüber hinaus, ob es für den Dienstleister ein Unternehmerrisiko gibt, also ob er z.B. Termine ablehnen darf."

"DRV sieht so gut wie immer Versicherungspflicht"

Rechtssicherheit schafft laut Anwalt Werner nur das Statusverfahren nach § 7a SGB IV durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Aber er warnt: "Richtig ist, dass die DRV dazu neigt, so gut wie jede Anfrage so zu entscheiden, dass Versicherungspflicht besteht."

Wenn der Kunde trotzdem eine Statusfeststellung wünscht, sollte er von Anfang an einen Anwalt einschalten. Ein Grund: Das Kostenrisiko und das strafrechtliche Risiko trägt er als Auftraggeber. Eine Regressmöglichkeit gegenüber dem Dienstleister besteht laut Günther Werner nur ganz begrenzt. "Wird der Antrag auf Statusfeststellung binnen eines Monats nach Beschäftigungsbeginn gestellt, beginnt eine mögliche Versicherungspflicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der DRV. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Dienstleister eine Absicherung zu Krankheit und Altersvorsorge hat, die der Art nach den gesetzlichen Leistungen entspricht." Aber: Hält die Absicherung des Selbstständigem diesem Vergleich nicht stand, können trotzdem Nachzahlungen fällig werden.

Nach Aussage des Anwalts haben Widerspruch und Klage gegen die Entscheidung der DRV aufschiebende Wirkung. Das heißt, dass die Entscheidung der DRV nicht sofort wirkt. Erst, wenn ein Gericht rechtskräftig entscheidet, dass eine Versicherungspflicht besteht, müssen die aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. "Der Auftraggeber kann also monatlich Rücklagen bilden in der entsprechenden Höhe und trägt insbesondere kein strafrechtliches Risiko", so der Fachanwalt.

Fazit: Freelancer sollten Projektangebote mit verdächtigen Formulierungen nur mit spitzen Fingern anfassen. Tipps für die kluge Gestaltung eines Vertrags und die korrekte Umsetzung im Projektalltag haben unsere Experten in mehreren Telkos gegeben. Zuletzt hat Rechtsanwalt Dr. Philipp Byers zu diesem Thema referiert, die Aufzeichnung können VGSD-Mitglieder nachträglich anhören. In jedem Fall sollten Freelancer am Markt als Unternehmer auftreten, also z.B. aktiv um Neukunden werben und diese Bemühungen auch dokumentieren.

Weitere Informationen über Günther Werner gibt's auf seiner Website: www.fragwerner.de

Wie oben angedeutet, stammt eins der oben untersuchten Angebote von der DRV. Wer errät, um welches es sich handelt?

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