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Fragen und Antworten zum Gesetzesentwurf „gegen den Missbrauch von Werkverträgen“

Nach mehreren Ankündigungen liegt jetzt Andrea Nahles' Gesetzesentwuf vor

Wann soll das neue Gesetz in Kraft treten?

Laut Artikel 7 des Gesetzesentwurfs soll es am 1. Januar 2017 in Kraft treten.

Wo finde ich den Gesetzesentwurf?

In einem getrennten Beitrag haben wir die Teile des Gesetzesentwurfs veröffentlicht, die das Thema Scheinselbstständigkeit betreffen und zwar den neuen § 611a BGB sowie eine Version mit den Begründungen des Arbeitsministeriums und Anmerkungen von uns. Gerne könnt ihr dort mit der Kommentarfunktion zu einzelnen Kriterien Stellung nehmen.

Was muss ich tun, um weitere Informationen zu erhalten?

Bitte meldet Euch an, wenn wir Euch weiter informieren sollen. Wir haben zudem eine eigene Arbeitsgruppe "Scheinse" zum Thema, die über einen erweiterten Arbeitsgruppen-Verteiler verfügt.

Was ist der Status des Gesetzes, wie geht es weiter?

Der Gesetzesentwurf, den Ministerin Nahles zunächst für Mai und dann für Ende Oktober 2015 angekündigt hatte, wurde am 16. November 2015 an das Bundeskanzleramt geschickt. Noch am selben Tag berichteten erste Medien darüber. Heute, am 17. November wurde der Entwurf uns und anderen Verbänden bekannt. Nach Abschluss der „Frühkoordinierung" / "Vorabstimmung mit dem Bundeskanzleramt“ wird der Gesetzesentwurf offiziell in die Ressort-, Länder- und Verbändeabstimmung gegeben sowie den Fraktionen übersandt.

Was sind die wichtigsten Neuregelungen?

Für uns besonders relevant ist der neue, aus acht Punkten bestehende Kriterienkatalog für Scheinselbstständigkeit (siehe unten). Der Gesetzesentwurf enthält aber weitere wichtige neue Regelungen:

  • Die sogenannte „Vorratsverleiherlaubnis“ wird abgeschafft. Wenn ein von einer Agentur vermittelter Selbstständiger nachträglich (z.B. durch Statusfeststellungsverfahren) als Arbeitnehmer eingeordnet wurde, aber eine solche Erlaubnis vorlag, konnte das Auftrags- bisher in ein Leiharbeitsverhältnis umgewandelt werden und so "geheilt" werden. Das ist künftig nicht mehr möglich.
  • Die Informationsrechte der Betriebsräte werden erweitert: Sie erhalten das Recht, über die Anzahl der und die vertragliche Ausgestaltung der eingesetzten Werkvertragsnehmer im eigenen Betrieb informiert zu werden. (Anmerkung: Damit werden diese - so fürchten wir - zum Gegenstand von Verhandlungen und Deals mit dem Betriebsrat, der vorrangig die Interessen der Angestellten vertritt.)
  • Der Zoll erhält die Zuständigkeit für die Kontrolle und Ahndung von Scheinselbstständigkeit und unzulässiger Leiharbeit.
  • Leiharbeit wird auf 18 Monate befristet, danach müssen Leiharbeiter automatisch eingestellt werden. Tarifpartner (Gewerkschaften und Arbeitgeber) können sich auf eine längere Überlassung einigen. (Anmerkung: Bei kleinen Unternehmen ohne Betriebsrat sind dementsprechende Ausnahmen also wohl nicht möglich.)
  • Equal pay, also gleiche Bezahlung wie Angestellte, gilt nach 9 Monaten. Wenn Zuschlagstarife zwischen Branchengewerkschaft und Zeitarbeitsbranche bestehen, die spätestens nach sechs Monaten Zuschläge vorsehen, kann von diesem Grundsatz abgesehen werden.
  • Der Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher wird verboten.

Welche Abgrenzungskriterien für Scheinselbstständigkeit sind geplant?

Zentrale Merkmale von Scheinselbstständigkeit sind auch künftig die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die Weisungsgebundenheit. Bisher sprach man aber in diesem Zusammenhang von „Anhaltspunkten für eine Beschäftigung“, jetzt handelt es sich um Definitionsmerkmale von abhängiger Beschäftigung.

Mit den folgenden acht Abgrenzungskriterien konkretisiert das Arbeitsministerium, was mit Weisungsgebundenheit und organisatorischer Einbindung gemeint ist: Für eine Scheinselbstständigkeit spricht , wenn der Auftragnehmer ...

  1. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen,
  2. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,
  3. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,
  4. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind,
  5. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,
  6. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu erbringen,
  7. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,
  8. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

Eine ausführlichere Darstellung der Kriterien, ihre Begründung durch das Ministerium und unsere Anmerkungen findet ihre in einem getrenten Beitrag.

Wie viele Kriterien müssen gegeben sein, damit von einer Scheinselbstständigkeit auszugehen ist?

Weder die Erfüllung eines einzelnen Kriteriums, noch die Erfüllung mehrerer Kriterien führt automatisch zur Annahme eines Arbeitsvertrages. Auch kann den Kriterien je nach Fallgestaltung unterschiedliches Gewicht zukommen. - Durch eine wertende Gesamtbetrachtung soll den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden.

Umgekehrt heißt das aber: Auch wenn die meisten Kriterien für Scheinselbstständigkeit nicht gegeben sind, bedeutet dies keineswegs, dass es sich um eine echte Selbstständigkeit handelt.

Hinzu kommt, dass die neuen gesetzlichen Kriterien unbestimmte Begriffe wie „überwiegend“ und „regelmäßig“ benutzen, so dass allein schon von daher die Einordnung eines Auftragsverhältnisses sehr schwierig bleibt und Auftraggeber und –nehmer auch weiterhin oft nicht wissen können, worum es sich handelt.

Wer entscheidet künftig darüber, ob es sich um eine Scheinselbstständigkeit handelt? Was hat es mit der Vermutungsregelung auf sich?

Wie bisher entscheidet die Deutsche Rentenversicherung (DRV) darüber, ob es sich bei einem Auftragsverhältnis um echte oder Scheinselbstständigkeit handelt und diese Entscheidung kann anschließend in einem (sehr langwierigen) Sozialgerichtsverfahren überprüft werden.

Der Unterschied zu bisher: Wenn die DRV in ihrem Statusfeststellungsverfahren eine abhängige Beschäftigung feststellt, wird widerleglich vermutet, dass ein Arbeitsvertrag vorliegt. Das heißt nach unserem Verständnis: Mit dem Bescheid entsteht rückwirkend ein Arbeitsvertrag mit allen damit verbundenen Verpflichtungen.

Eine ähnliche Regelung wurde vor Jahren bereits einmal eingeführt, erwies sich damals aber als unpraktikabel.

Mit welchen Sanktionen ist bei Feststellung von Scheinselbstständigkeit zu rechnen?

Grundsätzlich bestehen die selben Sanktionen wie bisher, so sind also u.a. durch den Auftraggeber die Rentenversicherungsbeiträge für das aktuelle und die vier zurückliegenden Jahre nachzuzahlen.

Neu ist die Durchsetzung der Sanktionen durch den Zoll und die Vermutungsregelung, durch die unmittelbar ein Arbeitsvertrag begründet wird. Damit sind weitere Nachteile und Kosten verbunden.

Obwohl Auftraggeber anhand der vagen neuen Kriterien eine Scheinselbstständigkeit nicht sicher ausschließen können, werden sie zudem gesellschaftlich als „unehrlich“ gebrandmarkt. Aus dem „Faktenpapier“ zum Gesetz: „Für ehrliche Arbeitgeber schaffen wir aber gleichzeitig mehr Rechtssicherheit. (...) Wer hier schon wieder mit der „Bürokratiekeule“ winkt, der will in Wahrheit den Schutz von Arbeitnehmer/-innen und ehrlichen Arbeitgeber unterwandern. (...) Prekäre Beschäftigung wird zurückgedrängt, Stammarbeitsplätze geschützt, ehrliche Arbeitgeber bestärkt und Tarifverträge und Betriebsräte gestärkt.

Wie beurteilt der VGSD den Gesetzesentwurf?

Das Gesetz entspricht unseren schlimmsten Erwartungen. Es schreibt die zweifelhafte Praxis fest, die die DRV seit 2009 entwickelt hat und die im Widerspruch zur Entwicklung unserer Arbeitswelt steht (z.B. zunehmende Bedeutung von Projekt- und Wissensarbeit).

Die neuen Kriterien sind unbestimmt. Sie führen zu keiner größeren Rechtssicherheit. Es gibt keine Hinweise zur Gewichtung der Kriterien. Zudem handelt es sich ausschließlich um Negativkriterien, es gibt keine konkreten Kriterien dafür, unter welchen Umständen eine echte Selbstständigkeit vorliegt.

Auch weiterhin können weder Auftraggeber/-nehmer noch ihre (Steuer-, Rechts-)Berater ohne eine langwierige Prüfung durch die DRV sicher beurteilen, ob es sich um eine echte Selbstständigkeit handelt oder nicht. Damit wird das Rechtsinstitut des selbstständigen Dienstvertrags in Frage gestellt – und damit den Auftraggebern und –nehmern ihre Arbeitsgrundlage entzogen.

Das Arbeitsministerium behauptet, mit dem Gesetz lediglich den aktuellen Stand der Rechtsschreibung festzuschreiben. Tatsächlich kommt es durch das Gesetz nach Auskunft eines in diesem Bereich führenden Juristen zu massiven rechtlichen Änderungen, die der bisherigen Entscheidungspraxis der Gerichte widersprechen. Bei gleichen Sachverhalten dürften die Gerichte künftig nicht mehr für Selbstständigkeit, sondern müssten auf abhängige Beschäftigung urteilen.

Die Grenze zwischen Arbeitsvertrag und Selbstständigkeit wird weit in den bisherigen Bereich der Selbstständigkeit verschoben. Viele Soloselbstständige und Wissensarbeiter - ganz besonders solche, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit in Projekten und bei Kunden verbringen - müssen um ihre Selbstständigkeit bangen.

Betroffen sind zum Beispiel IT-Spezialisten, Interimsmanager, Honorarärzte, Urlaubsvertreter (z.B. Physiotherapeuten), Bürodienstleister und viele weitere Berufsgruppen. Die Scheinselbstständigkeit besteht unabhängig davon, ob die Tätigkeit gut und fair bezahlt wird und ob die Selbstständigen bereits angemessen für ihr Alter vorsorgen.

Was kann ich tun? Wie kann ich aktiv werden?

Durch den Gesetzesentwurf erhält unsere Kamapagne „Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber“ neue Aktualität. Bitte zeichne unsere Petition mit, nehme an unseren Aktionen und Veranstaltungen teil und informiert Freunde, Bekannte und Kollegen. Vielen Dank!

Zur Petition / Kampagne

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