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Hat das Arbeitsministerium eine listige Hintertür ins Werkvertragsgesetz eingebaut?

Als Hintertür, Backdoor oder auch Trapdoor bezeichnet man laut Wikipedia den (oft vom Autor selbst) eingebauten Teil einer Software, der es Benutzern ermöglicht, unter Umgehung normaler Zugriffssicherung Zugang zum Computer oder einer sonst geschützten Funktion eines Computerprogramms zu erlangen.

Rechtsanwalt Bodo Blanke ist im AIMP-Vorstand für das Thema Recht zuständig / von Professor Rieble haben wir leider kein Foto

Eine Art Hintertür hat Professor Dr. Volker Rieble vom Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR), zugleich Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, im neuen Werkvertragsgesetz identifiziert. Die Konsequenzen dieser „Hintertür“ könnte insbesondere IT-Selbstständige treffen, so Rieble

Von Interim-Management-Providern organsiert, aber spannend auch für IT- und andere Branchen

Anlass für seinen Vortrag war die sehr gut besuchte Veranstaltung des AIMP (Arbeitskreis Interim Management Provider) gestern in München. Titel der Veranstaltung: „Die Zukunft des Interim-Management – Expertendialog zum Thema Rechtssicherheit / Scheinselbstständigkeit“ . Neben Rieble hielten Dr. Marei Strack, RA Bodo Blanke und Dr. Anselm Görres weitere Vorträge. An der anschließenden Podiumsdiskussion nahm auch Andreas Lutz vom VGSD als Redner teil. Wir hatte hatten vor einigen Wochen bereits auf die Veranstaltung hingewiesen.

Rieble sagte, das Arbeitsministerium hätte wohl zu keinem Zeitpunkt damit gerechnet, seinen Kriterienkatalog in Gänze „durchzubekommen“, sei aber von dem Umfang der Proteste überrascht worden und hätte sicher nicht erwartet, auf den Kriterienkatalog ganz verzichten zu müssen. Es würde durch die Formulierung des neuen § 611a BGB (Referentenentwurf vom Februar 2016) aber die Rechtslage insoweit verändert, dass anders als bisher nicht mehr das Weisungsrecht das alleinige Hauptkriterium sei. Die Eingliederung in den Betrieb – bisher ein untergeordneter Aspekt – würde durch die Formulierung an Bedeutung zunehmen. Das könne laut Rieble vor allem IT-Experten schaden. Diese sind aufgrund der Notwendigkeit zur intensiven Abstimmung mit den festen und freien Mitarbeitern des Kunden und zur Verwendung von Arbeitsmitteln typischerweise stark integriert.

"Da dreht man an den Schräubchen"

Die Hintertür sei aber nicht alleine im § 611a BGB installiert, sondern an einer Stelle, an der viele nur an den Auswirkungen auf Werk- und Dienstverträge interessierte Experten gar nicht schauen würden, nämlich dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Dort heißt es gleich im ersten Absatz des §1 AÜG künftig:

„Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen.“

„Da dreht man an den Schräubchen“ kommentiert Rieble diese spitzfindige Formulierung. Es wird spannend sein, wie andere Experten das einschätzen und ob sie das ebenfalls als Problem sehen. Bei den Experten-Telkos mit RA Dr. Benno Grunewald und RA Michael Felser werden wir entsprechend nachfragen.

Selbst ohne Gesetz: Immer weitere Ausdehnung des Begriffs Scheinselbstständigkeit

Professor Rieble kommt zum Schluss: Am besten wäre es, wenn das Gesetz gar nicht käme – aber selbst dann dürfe es keine Entwarnung geben, wie manche offenbar denken würden. Denn dann gelte der Status quo und die schwammigen Scheinselbstständigkeits-Kriterien würden sehr wahrscheinlich von der Deutschen Rentenversicherung und den Sozialgerichten der bisherigen Tendenz folgend immer weiter ausgelegt.

Als Indiz dafür sieht er den in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt gebliebenen Versuch, sogar die Syndikusanwälte in die Rentenversicherung zu zwingen. Wer sich traue, sich auf einem solchen Rechtsgebiet mit Anwälten anzulege, müsse schon unter erheblichem Erfolgsdruck stehen. Die Syndikusanwälte hätten daraufhin ihre Berufsordnung geändert und sich der Einordnung als Angestellte auf diese Weise dauerhaft entzogen.

Gebot der Stunde: Risikomanagement

Den Rest seines gehaltvollen und zugleich kurzweiligen Vortrags widmete Rieble dem Risikomanagement für die Vermittler von Interimmanagern - dort spricht man auch von „Providern“. Er wies auf die geplante Abschaffung der Vorratserlaubnis hin und betonte die Bedeutung eines Qualitätsmanagements. Die Einhaltung der Compliance und die zuverlässige Abhaltung von Risiken vom Einsatzbetrieb würden künftig weiter an Bedeutung im Wettbewerb zwischen Vermittlern gewinnen.

Für die Vermittler gelte es Gefahren, insbesondere auch die Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen (die dem Vermittler bei Vorsatz drohe) so weit als möglich auszuschließen. Dazu hatte Rieble in einem Gutachten für das AIMP im vergangenen Jahr diejenigen Einsatzfelder identifiziert, die unproblematisch sind. Wichtig sei aber, dass die (unproblematische) Natur der  Tätigkeit  sich  auch im Vertrag und in der Dokumentation der Zusammenarbeit wiederspiegle.

Den Providern riet er, die Zusammenarbeit mit den Compliance-Abteilungen der Kudenunternehmen zu suchen und im Rahmen eines Controlling auch die tatsächliche Einsatzpraxis der vermittelten Interim-Manager zu hinterfragen, um so zu verhindern, dass sich eine an sich unproblematische Beauftragung durch übermäßige Einbindung des Interim-Managers ins Tagesgeschäft in eine problematische wandle. Hilfreich wäre auch, den selbstständigen Charakter der Zusammenarbeit stärker zu betonen, indem man mehr Zeit vom Homeoffice aus arbeitet oder aus einem Büro heraus, das man in Kundennähe anmietet.

Unter bestimmten Umständen könnten Statusfeststellungsverfahren aus Providersicht sinnvoll sein, sagt Rieble

Die größte Gefahr für Provider, die es unbedingt zu vermeiden gelte, bestehe in strafrechtlichen Konsequenzen. Wenn einen vor Gericht die Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen vorgeworfen würde, seien ab einem Betrag von 200 bis 250 Tausend Euro Strafen nicht mehr zur Bewährung aussetzbar. Dazu käme die massive Rufschädigung durch die Untersuchungen im Vorfeld. Sie erfolgten durch die bewaffnet in Uniform auftretende Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Bundeszollverwaltung.

Bei Einsätzen, die rein oder überwiegend der Vakanzüberbrückung dienten, sei die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit vorhanden. Hier empfiehlt Rieble den Vermittlern die Durchführung einer freiwilligen Statusfeststellung innerhalb eines Monats ab Einsatzbeginn. Während deren Laufzeit sei man vor strafrechtlichen Konsequenzen geschützt, schlimmstenfalls müsse man die Sozialbeiträge nachzahlen. Unter bestimmten Umständen (eine der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechende Absicherung ist vorhanden, was aber nicht ganz trivial nachweisbar ist) bleibt der Vermittler von nachträglichen Beitragszahlungen ganz verschont. Außerdem stelle sich angesichts der langen Dauer von Statusfeststellungsverfahren (häufig deutlich über ein Jahr) und der begrenzten Einsatzdauer bei Interim-Manager (meist unter einem Jahr) die Frage, ob die Verfahren von der DRV in solchen Fällen überhaupt zu Ende gebracht würden.

(Unabhängig von diesen Empfehlungen raten wir als VGSD unseren Mitgliedern zu großer Vorsicht im Umgang mit Statusfeststellungsverfahren. Bitte beratet euch mit einem erfahrenen Anwalt, bevor ihr ein solches Verfahren einleitet bzw. einer Einleitung zustimmt.)

Zeitverträge als letzter Ausweg?

Eine Alternative zum freiwilligen Statusfeststellungsverfahren bestehe für Vermittler darin, im Zweifelsfall die Sozialversicherungspflicht anzuerkennen und im Rahmen zeitlich befristeter Verträge Mitarbeiter einzusetzen. Auf den Einwand einer Vermittlerin, große Kunden hätten oft einen Einstellungsstopp für Mitarbeiter reagierte Rieble, die Unternehmen müssten da etwas mehr Flexibilität entwickeln, wenn sie weiterhin gute Experten finden und zugleich Risiken vermeiden wollten.

Ob die Selbstständigen bereit sind, sich im Rahmen von Zeitverträgen oder Arbeitnehmerüberlassung beschäftigen zu lassen, ist noch einmal eine andere Frage...

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