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Interview mit der Werner-Bonhoff-Preisträgerin 2015 Sabine Schmuck

Sabine Schmuck (51) hat es geschafft: Die Hebamme und Inhaberin des Geburtshauses Ingolstadt hat den mit 50.000 Euro dotierten „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2015“ erhalten. Wir hatten bereits über ihre Nominierung sowie über die des Chemnitzer Familienunternehmers Hilmar Steinert berichtet.

Tim gratuliert Sabine Schmuck

Unmittelbar nach der Preisverleihung haben Tim Wessels und ich (Andreas Lutz) Sabine Schmuck gratuliert. (Weitere Fotos findet ihr auf unserer Facebook-Seite).

Wir haben der seit 1988 selbstständigen Hebamme anlässlich dieser Gelegenheit die folgenden Fragen zu ihren Zielen, Motiven und weiteren Plänen gestellt:

VGSD: Seit wann engagieren Sie sich für die Rechte von selbstständigen Hebammen und was war dafür der Auslöser?

Sabine Schmuck: Mein Engagement begann mit der ersten Bundestagspetition 2010. Damals habe ich zusammen mit Kolleginnen angefangen, Unterschriften zu sammeln, Vorträge in der Region zu halten und sogar Demos zu organisieren, damit genügend Unterschriften zusammenkommen. Die Petition stammte von Martina Klenk, der Präsidentin des Deutschen Hebammen-Verbandes (DHV), der vor allem die klinisch arbeitenden Hebammen organisiert.

Dann war ein wenig Ruhe, bis die ganze Geschichte Ende 2013, Anfang 2014 eskaliert ist, als rauskam, dass wir beim Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BFHD) keine Berufshaftpflichtversicherung mehr bekommen werden. Über die Petitionsplattform change.org sammelten wir zusammen mit anderen Organisationen 432.000 Unterschriften. Ende März letzten Jahres reichte ich dann eine E-Petition beim Deutschen Bundestag ein - mit noch mal über 50.000 Mitzeichnern und in der Petition dann gehört zu werden.

VGSD: Wie gelang es Ihnen, über 50.000 Mitzeichner zu mobilisieren? Welche Tipps haben Sie für andere Aktive?

Sabine Schmuck: Das geht fast nur noch über die soziale Netzwerke, insbesondere über Facebook und Twitter. Eine wichtige Rolle spielte der Verteiler, den wir über die Change.org-Petition aufgebaut hatten. Die Plattform hat auf unsere Bitte hin die damaligen Mitzeichner angeschrieben und dazu aufgefordert, auch beim deutschen Bundestag mitzumachen. Leider ist die Petitionsplattform des Deutschen Bundestags sehr umständlich und technisch mangelhaft. An drei Tagen hat der Server nicht funktioniert, weil er überlastet war, man konnte in der vierwöchigen Zeichnungsfrist teilweise gar nicht, teilweise nur quälend langsam mitzeichnen, sonst wären es noch weitaus mehr Unterschriften als 52.000 gewesen.

50.000 Mitzeichner sind die Voraussetzung für eine Anhörung vor dem Petitionsausschuss. Diese fand in meinem Fall am 23. Juni 2014 statt. Ich hatte sieben Minuten Zeit, um die wichtigsten Argumente und Forderungen vorzutragen (hier meine Vortragsnotizen als PDF). Seitdem habe ich nichts mehr vom Bundestag gehört... Entscheidend ist aber ohnehin das Presseecho, das eine solche Petition hervorruft und der Druck der davon auf die Politik ausgeht.

VGSD: Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrer Petition?

Sabine Schmuck: Es geht mir um Transparenz über die Situation, um eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe und was die Voraussetzung dafür ist: Dass Hebammen zu erschwinglichen Kosten ihre Berufshaftpflicht absichern können – auch unabhängig von Verbänden, dass man z.B. auch Verhandlungen mit ausländischen Versicherungen führen kann oder mit dem fortschrittlichen englischen Hebammenverband.

VGSD: Warum erhöhen die Krankenkassen nicht einfach die Erstattung, die die Hebammen erhalten? Die ist doch unverhältnismäßig niedrig.

Sabine Schmuck: Gesundheitsminister Gröhe hat einen Haftpflicht- und einen Sicherstellungszuschlag eingeführt. Sie sollen bei der Finanzierung der Berufshaftpflicht helfen. Letztlich sollen also schon die Krankenversicherungen für die hohen Haftpflichtprämien aufkommen. Die gesetzlichen Krankenversicherungen wehren sich aber dagegen nach allen Kräften, verstecken sich hinter willkürlichen, nicht evidenzbasierten Kriterien, die in der Praxis nur schwer zu erfüllen sind.

Unser Eindruck ist, dass die Krankenkassen keine freiberuflichen Hebammen mehr wollen. Momentan wird alles zentralisiert. Das führt zu Fließbandgeburten, dazu dass immer mehr Geburten mit Kaiserschnitt durchgeführt werden und Mütter ihre Kinder weit entfernt vom Vater und der Familie auf die Welt bringen müssen.

Damit wird aber auch ein ganzer Berufsstand und die damit verbundene Erfahrung vernichtet. Momentan weiß keiner genau, wie viele freiberuflich praktizierende Hebammen es überhaupt noch gibt. Dabei machen andere Länder es uns vor: Mit der Empfehlung, dass gesunde Frauen zuhause gebären sollen, erzielen sie deutlich bessere Ergebnisse als wir.

VGSD: Was sind Ihre nächsten Ziele?

Sabine Schmuck: Vor allem möchte ich erreichen, dass wir uns weiter versichern können, denn das ist die Voraussetzung, um den Beruf ausüben zu können. Da brauchen wir Unterstützung von allen Seiten wo es geht. Unser Ziel ist, dass mittelfristig wie in Österreich und der Schweiz ein Haftungsfonds eingerichtet wird, der Schäden abdeckt, die für Versicherungen unkalkulierbar und damit extrem teuer sind.

Aktuell gilt eine Nachhaftungszeit von 30 Jahren. Wenn man das Abitur nicht schafft, kann man zugespitzt gesagt immer noch die Hebamme anzeigen. Wir schlagen vor, dass diese Nachhaftung auf zehn Jahre begrenzt wird. Das ist wirklich genügend Zeit, um einen Geburtsschaden zu entdecken und würde es den Versicherungen ermöglichen, erschinglichere Versicherungsprämien zu kalkulieren.

VGSD: Der Bonhoff-Preis beträgt 50.000 Euro und ist für Sie ganz persönlich bestimmt, auch als Ausgleich für die in der Verganneheit investierte Zeit. Wissen Sie schon, was Sie mit dem Geld machen werden?

Sabine Schmuck: Ich prüfe gerade mit einem Anwalt, wie aussichtsreich es ist, den Rechtsweg zu beschreiten, notfalls bis zum Verfassungsgericht zu gehen. Wenn das sinnvoll ist, werde ich einen Großteil des Geldes dazu brauchen, diesen Klageweg zu beschreiten. Als allererstes werde ich mit dem Geld aber die sündhaft teure Allianz-Police bezahlen, das ist die einzige Versicherung, die für uns noch zugänglich ist.

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