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Sechs Lösungsansätze zur Überwindung der bestehenden Rechtsunsicherheit – Welche bringen am meisten?

Wie lässt sich die bestehende Rechtsunsicherheit in Bezug auf Scheinselbstständigkeit und Statusfeststellungsverfahren überwinden? Wie lässt sich die immer weiter zunehmende Verunsicherung unter den Auftraggebern und deren immer massiveren Konsequenzen für Selbstständige, Unternehmen und Volkswirtschaft stoppen?

Welche der der folgenden Ideen bringt am schnellsten mehr Rechtssicherheit?

Seit Frühjahr 2015, also seit viereinhalb Jahren, beschäftigen wir uns beim VGSD intensiv mit dem Themenfeld, haben zahllose Diskussionen geführt, Positionspapiere geschrieben, Experten befragt, Lösungsideen diskutiert. Zuletzt hatten wir euch darum gebeten, auf der Seite des BMAS Feedback zu geben und Verbesserungsvorschläge zu machen.

Vielzahl von Ideen zum folgenden Lösungskatalog verdichtet

Wir haben all diese Quellen ausgewertet und unsere Überlegungen aus vielen Jahren der Auseinandersetzung zu den folgenden sechs Lösungsansätzen verdichtet. Anlass dafür war das Treffen mit Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg am 26.08.2019.

Weitere Gespräche mit Staatssekretär Schmachtenberg, der Deutschen Rentenversicherung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, Vertretern von Auftraggebern und Auftragnehmern und anderen Betroffenen sollen folgen. Bei diesen haben wir die Chance, für unsere Lösungsideen zu werben und sie zielgerichtet mit Entscheidern zu diskutieren. Deshalb ist uns eure Meinung dazu wichtig: Welche Vorschläge haltet ihr für besonders geeignet? (Gerne erläutern wir einzelne Ideen. Nutzt gerne die Kommentarfunktion, wenn ihr eine Frage habt.)

Einige der folgenden sechs Lösungsansätze wären relativ schnell umsetzbar, andere würden eine Gesetzesänderung erfordern. Wir glauben, dass mit Sofortmaßnahmen versucht werden sollte, den Markt zu beruhigen, die rechtlichen Möglichkeiten unterhalb von Gesetzesänderungen genutzt werden sollte, um schnell erste Verbesserungen zu erreichen, um dann mit der nötigen Sorgfalt durch Gesetzesänderungen eine längerfristige wirksame Lösungen zu erreichen.

Sechs Lösungsansätze und viele Ideen zur Umsetzung im Detail

1) Sofortmaßnahmen 

a) Ansetzen von Fachgesprächen analog den Fachgesprächen zur Ausgestaltung der  Altersvorsorgepflicht für Selbstständige - ähnlicher Teilnehmerkreis

b) Statements/Klarstellungen, die zu einer Beruhigung der Auftraggeber beitragen

2) Branchenübergreifende Positivkriterien

Mit Positivkriterium ist gemeint, dass die Erfüllung eines oder mehrerer Kriterien für Selbstständigkeit spricht

a) Honorarhöhe – nicht: (Jahres-)Einkommenshöhe! – als zentrales neues Kriterium. – Muss bei gleicher Tätigkeit/Qualifikation höher sein als das vergleichbarer Angestellter und natürlich als Mindestlohn (Aufschlag für Arbeitgeberanteil zur SV, Urlaubs-, Krankheitszeiten, Auslastungsrisiko, Betriebsausgaben sowie Aufwand für Akquise und Administration)

"Besonderes Gewicht kommt der Honorarhöhe als Kriterium zu. Bei allen Überlegungen, Diskussionen und Befragungen zu diesem Thema sind wir immer wieder bei diesem Merkmal angekommen. Auch das Bundessozialgericht hat dieses Kriterium ja zuletzt gestärkt (um dann später wieder etwas zurück zu rudern). Zusammen mit unseren weiteren Vorschlägen hätte es unseres Erachtens das Potenzial, sowohl die Bezahlung als auch die Altersvorsorge von Selbstständigen deutlich zu verbessern, was ja unser gemeinsames Ziel ist."

b) Altersvorsorge

i) bei künftigen Selbstständigen nach Einführung der geplanten Altersvorsorgepflicht einfach überprüfbar

ii) bei Bestandsselbstständigen ist flächendeckende Prüfung (im Sinne der Dauerüberwachung einer Pflicht) dagegen extrem aufwändig – im Einzelfall im Sinne eines weiteren Positivkriteriums aber durchaus vorstellbar – z.B. Bewertung durch fachkundige Stelle, Verband etc.

iii) Anerkennung des freiwilligen Regelbeitrags zur Deutschen Rentenversicherung bzw. einkommensgerechter Beiträge als Positivmerkmal

iv) Exkurs – Motto: Anreize zur Altersvorsorge statt immer mehr Zwang, z.B.

(1)  Mix aus privater und gesetzlicher Altersvorsorge bei AV-Pflicht anerkennen

(2)  Möglichkeit zum Nachholen von in Gründungsphase verpasster Beitragszahlungen

(3)  Gleichbehandlung freiwilliger Beitragszahlungen,

(4)  Einführung eines Altersvorsorgekontos nach US-Vorbild als Option im Rahmen der Altersvorsorgepflicht (pfändungssichere Anlage in Investmentfonds und ETFs, Auszahlungen bzw. Verrentung im Renteneintrittsalter)

(5)  Generell: Gleichbehandlung privater Altersvorsorge (z.B. Rüruprente) mit gesetzlicher Rentenversicherung in Hinblick auf Insolvenzsicherheit

c) Arbeitgebereigenschaft: Mindestens ein sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter

d) Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft mit bestimmtem Mindestanteil (z.B. 50 Prozent)

e) Vorhandensein einer Berufshaftpflichtversicherung (in Großbritannien ein zentrales Kriterium)

f) Freiwilligkeit (im Gegensatz zu ausbeuterischen Vertragsverhältnissen)

i) Wege, Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit zu dokumentieren und/oder Informationspflichten

ii) Mitgliedschaft in Berufsverbänden, "Selbstständigen-Gewerkschaft", Genossenschaften u.ä., die Information, Beratung und Unterstützung bieten

iii) Ab bestimmter Dauer der Selbstständigkeit bzw. Zusammenarbeit ist von Freiwilligkeit auszugehen

iv) Keine "Knebelverträge" mit z.B. sehr weitgehenden Kundenschutz- und Lizenzvereinbarungen, die Akquise anderer Auftraggeber stark erschweren

g) Bestimmte Vertragstypen

i) Werkverträge

ii) Verträge mit überwiegend erfolgsabhängiger Bezahlung (Vertrieb! Aber z.B. auch Autorenhonorare bei Büchern)

h) Ganz pragmatisch in Hinblick auf Anzahl und Größe der Aufträge

i) Bestimmte Anzahl von Auftraggebern,

ii) kleinteilige Aufträge (Bagatellgrenze) bzw.

iii) Umsatzanteil weiterer Kunden (5/6-Regelung)

3) Branchenspezifische Konkretisierung

z.B. in Form eines Rundschreibens, unter Nutzung des Know-hows von Berufs- und Branchenverbänden, dabei auch Auftraggeberseite einbinden

a) Welche Kriterien sind sachlogisch bei bestimmten Tätigkeiten notwendig – unabhängig davon, ob selbstständig oder angestellt – und können somit nicht als Merkmal für oder gegen eine Selbstständigkeit herangezogen werden? Beispiele:

i) Trainer muss Zeit, Ort und Thema des Trainings kennen ... kann kein Negativkriterium sein

ii) IT-Projekte haben lange Projektdauer und Einarbeitungszeit, hohen Kommunikationsbedarf ...

iii) Bei agilen IT-Projekten sind bestimmte Meetings und Formen der Aufgabenstellung (Backlog) durch die Methode vorgegeben ...

b) Konkretisierung des Positivkriteriums "Honorarhöhe": Wie werden bestimmte Tätigkeiten in einer Branche typischerweise bezahlt? Wie lassen sich Zeilen-, Seiten-, Stückpreise in Zeiteinheiten umrechnen? Welche Aufschläge sind in Abhängigkeit von der Branche angemessen? Welche Honorare liegen somit eindeutig unter Mindestlohn bzw. unter dem Verdienst vergleichbarer Angestellter?

4) Statusfeststellungsverfahren

a) Personen- bzw. tätigkeitsspezifische, nicht auftragsspezifische Statusfeststellung

b) Bindung an Statusentscheidungen für Zukunft (“Forwardbescheid”), keine rückwirkende Statusänderung, Ausnahme: Vorsätzlich falsche Darstellung des Sachverhalts (Vorbild: Schweiz)

c) Fragebogen kürzer, weniger missverständlich

d) Durchführungsanweisungen veröffentlichen

e) Prozess online bringen, drastische Verkürzung der Bearbeitungszeit

f) Selbst-/Schnelltest

g) Realitätsnahe, besser erfüllbare Voraussetzungen für befreiende Wirkung des Statusfeststellungsverfahrens (damit während Prüfung keine Scheinselbstständigkeit eintritt)

h) Controlling über Statusfeststellungsverfahren einrichten und mehr Transparenz schaffen (Anzahl, Branchen, Initiator, Ziel, Ergebnis)

5) Sanktionen

verhältnismäßig ausgestalten - angesichts schwer vorhersehbarer und oft widersprüchlicher Entscheidungen

a) Vorratserlaubnis wieder ermöglichen

b) Keine Rückwirkende Statusänderung (vgl. 4b)

c) Nettolohnfiktion abschaffen (momentan uneinheitliche Anwendung)

d) Sozialversicherungsbeiträge zwischen Auftraggeber und -nehmer teilen

e) Verzugszinsen der heutigen Zinssituation anpassen, ggf. Basiszinssatz plus Aufschlag

6) Interessenkonflikt entschärfen

Die Deutsche Rentenversicherung ist mit der dort angesiedelten Clearingstelle Richter und Nutznießer in einem

a) Entscheidung über Statusfeststellung durch andere Stelle z.B. Finanzamt

b) Einrichtung eines Beirats bzw. anderen informellen Gremiums zur Clearingstelle (schnelles Eskalieren und Entscheiden von Problemfällen, weil Rechtsweg zu langwierig, Einbringen von Praxiswissen der Auftraggeber und -nehmer)

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