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SPD-Papier beschlossen Rentenpflicht bis zur Beitragsbemessungsgrenze für alle Selbstständigen

Am 18. Oktober hat die SPD-Bundestagsfraktion ihr Papier zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für Selbstständige beschlossen, nachdem eine Entscheidung beim Fraktionskongress Anfang September zunächst zurückgestellt worden war.

Im Mai war der VGSD zusammen mit zahlreichen anderen Selbstständigenverbänden bei der SPD-Fraktion im Reichtstag zu Gast. Erkennbar wurden eine ganze Reihe unserer Anregungen im Konzept berücksichtigt, worüber wir uns freuen. Dazu zählt zum Beispiel die Forderung, die hohen Mindestbeiträge für Selbstständige in der GKV abzuschaffen.

Projektleiter MdB Dr. Martin Rosemann hat viele Anregungen von VGSD und anderen Verbänden dankenswerterweise aufgenommen. Zufrieden sind wir mit dem Papier jedoch trotzdem - in zentralen Punkten - nicht. (Foto: spdfraktion.de)

Zufrieden sind wir mit den Beschlüssen trotzdem keineswegs, weil sie unseres Erachtens im Falle einer Umsetzung zu einer Überforderung der Selbstständigen und zu einem starken Rückgang der Zahl der Selbstständigen führen werden. Im Folgenden erläutern und bewerten wir die wichtigsten Inhalte des Papiers.

Nicht nur Solo-, sondern alle Selbstständigen sind betroffen

„Unbedingt vermeiden wollen wir die Errichtung einer neuen scharfen Trennlinie im Absicherungsstatus zwischen Soloselbstständigen einerseits und Selbstständigen mit Mitarbeitern andererseits. ... Wir wollen Lösungen, die für alle Selbstständigen gelten.“ (S. 3)

Dass die neuen Regelungen nicht nur die 2,35 Millionen Soloselbstständigen, sondern auch die 1,9 Millionen Selbstständige mit Mitarbeitern betreffen werden, war zu erwarten. Ansonsten wären die Regelungen durch Beschäftigung eines Mitarbeiters mit 451 Euro Gehalt oder mehr relativ leicht zu umgehen. Auch GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer, die bisher von der Rentenversicherung befreit sind, sind betroffen. Von den neuen Regelungen sind also in Summe rund vier Millionen Selbstständige betroffen. Viele von ihnen wissen noch nicht, was hier auf sie zukommt. Hier müssen wir Aufklärung betreiben.

Hohe Mindestbeiträge zur GKV werden abgeschafft, privat Versicherte werden jedoch nicht entlastet

„Die hohen Mindestbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Selbstständige sowie die mit zunehmendem Alter oftmals stark ansteigenden Beiträge in der privaten Krankenversicherung (über-)beanspruchen für viele Selbstständige das monatlich insgesamt verfügbare Vorsorgebudget. ... Wir wollen daher die Beitragsbemessung für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung analog zu abhängig Beschäftigten einkommensabhängig ausgestalten und die Mindestbeiträge entsprechend absenken.“

Bei Angestellten beginnt die einkommensabhängige Bemessung der Beiträge bei 450 Euro (statt bei 2.178,75 Euro wie momentan bei Selbstständigen). Durch die entsprechende Absenkung der Mindestbeiträge würden (Teilzeit-)Selbständigen mit niedrigem Einkommen bis zu 315 Euro pro Monat einsparen.

Nicht von dieser Änderung profitieren würden allerdings privat Krankenversicherte, da ihr Beitrag unabhängig vom Einkommen ist. Die SPD sieht die Absenkung der Mindestbeiträge zwar als Schritt hin auf eine umfassende Bürgerversicherung, bei der die private Krankenversicherung ohnehin aufgelöst würde. Bis dahin käme es allerdings bei privat versicherten Selbstständigen mit niedrigem Einkommen zu einer Überforderung durch die im folgenden beschriebene Rentenversicherungspflicht.

Rentenversicherungspflicht für alle Selbstständigen – kammerpflichtige Freiberufler ausgenommen

„Wir wollen daher künftig auch für Selbstständige eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. Ausnahmen gelten nur bei Mitgliedschaft in einem bestehenden Versorgungswerk. Diese Lösung geht deutlich über eine bloße Verpflichtung zum Abschluss einer individuellen Altersvorsorge hinaus. Letztere gäbe allerdings entweder keinerlei Gewähr, dass später zumindest ein der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbares Leistungsniveau (insbesondere auch hinsichtlich der Absicherung von Erwerbsminderung und Hinterbliebenen) erreicht würde, oder aber Anlass für einen hohen bürokratischen Prüfaufwand, ob ein entsprechendes Sicherungsniveau in jedem individuellen Fall auch tatsächlich gewährleistet ist.“ (S. 5)

Die SPD will eine zeitlich unbegrenzte Rentenversicherungspflicht für Selbstständige. Überlegungen, die Verpflichtung ähnlich wie bei Handwerkern auf eine bestimmte Zahl von Jahren zu begrenzen, wurden nicht aufgenommen.

In berufsständischen Versorgungswerken pflichtversicherten Freiberuflern (wie Ärzten, Apothekern, Architekten usw.) dagegen soll – ebenso wie Beamten und Abgeordneten – eine Rentenversicherungspflicht erspart bleiben. Somit haben diese Berufsgruppen Zugang zu einer deutlich privilegierten Altersvorsorge. Das Versprechen von Andrea Nahles, eine Versorgungswerk-Lösung auch für die anderen Selbstständigen ernsthaft zu prüfen, wurde nicht umgesetzt.

Beim oberflächlichen Lesen entsteht der Eindruck, als wäre durch die Rentenversicherungspflicht eine Mindestsicherung garantiert. Das ist aber keineswegs der Fall, denn die Höhe der Rente hängt von der Höhe der Beiträge und damit des Einkommens ab. Eine alternative Vorsorge z.B. in Form einer Rüruprente wäre ohne all zu hohen bürokratischen Prüfaufwand sicherzustellen.

Statt 565 Euro Regelbeitrag bis zu 1.160 Euro einkommensabhängiger Beitrag

„Die Beitragserhebung soll von der Geringfügigkeitsgrenze an bis hin zur Bemessungsgrenze einkommensbezogen sein.“

Bisher gibt sich die Rentenversicherung bei Pflichtversicherten (z.B. Handwerkern) mit einem Regelbeitrag von 565 Euro pro Monat zufrieden, der bei Nachweis eines geringeren Einkommens als den zugrunde liegenden 3.022,25 Euro ermäßigt werden kann. Damit begnügt sich die SPD-Fraktion allerdings nicht, künftig soll der Rentenbeitrag bis zur Bemessungsgrenze von zurzeit 6.200 Euro ansteigen, was in einem Rentenbeitrag von bis zu 1.160 Euro pro Monat resultiert.

Dadurch werden auch Selbstständige mit mittlerem Einkommen überfordert, da sie neben der entsprechend hohen Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, sowie ggf. Kirchensteuer und Gewerbesteuer (Grenzbelastung von in Summe bis zu 51 Prozent) sowohl den Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung (insgesamt rund 40 Prozent) bezahlen müssen.

Auch wenn die Sozialversicherungsbeiträge zum Teil steuerlich absetzbar sind, ergibt sich je nach Einkommen und genauer Konstellation eine Grenzbelastung von mehr als 60 Prozent. Das ist leistungsfeindlich und viele Selbstständige haben unter diesen Umständen praktisch keinen Spielraum mehr für ergänzende private Altersvorsorge.

Gewinn als Bemessungsgrundlage wird nach unten korrigiert

„Die Höhe des Beitrags bemisst sich am (Gewinn. Dieser ist) noch in zwei Schritten zu korrigieren: Zunächst einmal wird der Gewinn um einen Pauschalbetrag für Werbungskosten erhöht – denn auch bei abhängig Beschäftigten mindern die Werbungskosten nicht die Beitragsbemessungsgrundlage. Anschließend ist das Ergebnis dann um einen Korrekturfaktor nach unten zu korrigieren, weil der Gewinn dem Arbeitgeberbrutto entspricht, die Bezugsgröße des Rentenbeitrags bei abhängig Beschäftigten aber das Arbeitnehmerbrutto ist.“

Die SPD reagiert damit auf den vom VGSD im Mai vorgebrachten Hinweis, dass die Sozialversicherungsbeiträge von Selbstständigen bei einer Bemessung nach dem Gewinn um ca. 20 Prozent höher ausfallen als bei Angestellten, weil der Gewinn im Gegesatz zum Arbeitnehmer-Brutto den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung enthält. Darüber freuen wir uns, hätten uns aber gewünscht, dass diese Klarstellung auch in Bezug auf die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung vorgenommen wird, denn dort besteht das gleiche Problem. Die Erhöhung der Bezugsgröße um die Werbungskostenpauschale halten wir für kleinlich und unsachgemäß: Sie unterstellt, dass die Werbungskostenpauschale vom Selbstständigen voll in Anspruch genommen würde, was gerade bei Selbsttändigen mit niedrigem Einkommen häufig nicht der Fall sein dürfte.

Bemessung der monatlichen Abschlagszahlungen bei Einkommensschwankungen

„Grundlage für die monatlichen (Voraus-)Zahlungen wäre (der letzte Steuerbescheid). Eine Anpassung der laufenden Vorauszahlungen kann bei Nachweis (etwa auf Basis der Umsatzsteuervoranmeldungen) erheblich abweichender laufender Einnahmen vorgenommen werden. Sind dann im nachfolgenden Einkommensteuerverfahren die tatsächlichen Einkünfte des betreffenden Jahres ermittelt, werden die geleisteten laufenden Zahlungen durch eine einmalige Abschlusszahlung angepasst.
(...) Zu prüfen wäre ebenfalls, ob langfristig die für die Beitragsberechnung erforderlichen Informationen durch einen automatischen Datenaustausch zwischen Finanzverwaltung und Rentenversicherung übermittelt werden können. “

Hier würden wir uns Klarstellungen wünschen, dass eine Korrektur der Vorauszahlungen möglichst informell möglich sein soll und ohne hohe Hürden seitens des Finanzamts, dass die entsprechende Anpassung auch für die anderen Sozialversicherungsbeiträge gelten soll und vor allem, dass zu viel bezahlte Beiträge erstattet werden. Ansonsten drohen bei der Rentenversicherung dieselben Probleme in Bezug auf die Beitragsbemessung wie sie schon bei der Kranken- und Pflegeversicherung bestehen.

Übergangsregelung: Über 50 Jährige bleiben außen vor, Basisrente begünstigt

„Für den Übergang in das System einer verpflichtenden Altersvorsorge wollen wir neben der Pflichtversicherung für alle neuen Selbständigen für die bereits selbständig Tätigen eine Altersgrenze (z. B. 50 Jahre), unterhalb derer ebenfalls die Verpflichtung greift. (...) Selbständige, die diese Altersgrenze noch nicht erreicht haben, können eine persönliche Ausnahme erhalten, sofern sie bereits Alterssicherungsansprüche – z.B. aus einer staatlich geförderten ‚Rürup-Rente’ - erworben haben, die eine ausreichende Absicherung zumindest oberhalb des Grundsicherungsniveaus erwarten lassen. Wir werden zudem prüfen, ob für Selbständige, die ausreichend Ansprüche unter den Bedingungen der ‚Rürup-Rente’ erwerben, eine solche Ausnahme auch über die Übergangsregelung hinaus gewährt werden.“

Über 50-Jährige, die bereits selbstständig sind, wären von der Rentenversicherungspflicht ausgenommen. Auch Jüngere, die mit der Basis-Rente vorgesorgt haben, könnten sich befreien lassen. Andere Formen der Altersvorsorge wie z.B. Immobilien werden jedoch ebenso wenig berücksichtigt wie bestehende laufende Zahlungsverpflichtungen aus Versicherungsverträgen oder für die Tilgung von Immobilienkrediten. Allenfalls werden wohl solche Selbstständigen befreit, die Verpflichtungen im Rahmen eines Basis-Rentenvertrags eingegangen sind.

Keine Ausweitung des KSK-Modells

„Wir wollen keine dauerhafte Bezuschussung der Beitragszahlungen Selbständiger aus öffentlichen Mitteln zum Ausgleich des fehlenden Arbeitgeberbeitrags. (...) Die Sondersysteme der Künstlersozialkasse und der landwirtschaftlichen Alterskasse, die heute bereits solche Bezuschussung aus Steuermitteln vorsehen, sollen allerdings als Ausnahmen erhalten bleiben. Daneben halten wir es für sinnvoll für die Startphase der Selbständigkeit einen zweckgebundenen steuerfinanzierten Zuschuss zur Beitragszahlung zu gewähren.“

Die KSK soll bestehen bleiben, das Modell der Steuer- und Auftraggeberzuschüsse aber nicht auf andere Selbstständige ausgedehnt werden. Für Gründer soll es einen Beitragszuschuss geben. Dies ist bei Gründungszuschuss-Empfängern bereits der Fall.

Demografiereserve soll Vorbehalte der Selbstständigen reduzieren

„Viele Selbständige haben Vorbehalte gegen eine Einbeziehung in die gesetzliche Ren- tenversicherung. Diese speisen sich vor allem auch aus der Sorge heraus, mit den ei- genen Beiträgen nur eine kurzfristige Beitragsstabilisierung ermöglichen zu sollen. Um eine solche bloße Lastenverschiebung in die Zukunft aber zu vermeiden, sollte die Ein- beziehung von Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung mit der Abschaf- fung der Obergrenze der so genannten Nachhaltigkeitsreserve einhergehen. Damit könnte diese Nachhaltigkeitsreserve zu einer echten Demografiereserve ausgebaut werden. Die Einbeziehung von Selbständigen könnte damit genutzt werden, um Leis- tungen und Beiträge der gesetzlichen Rentenversicherung für alle Versicherten auch nach dem Jahre 2030 zu stabilisieren.“

Unsere Sorge, dass die zusätzlichen Beiträge zur kurz- und mittelfristigen Stabilisierung sowie Finanzierung von Wahlgeschenken an heutige Rentner verwendet werden könnte, hat Eingang in das Papier gefunden, was uns freut. Eine Lösung könnte in der Tat eine Demografiereserve sein. Wir bleiben aber misstrauisch, so lange Politiker über diese Reserve verfügen können und es keine klaren, regelbasierten Mechanismen gibt, die Aufbau und Verwendung dieser Reserven regeln.

Arbeitslosenversicherung für Selbstständige

„Auch (bei der Arbeitslosenversicherung) soll die Beitragserhebung künftig einkommensbezogen anstelle des jetzigen Pauschalsatzes erfolgen. Auf der Leistungsseite soll die jetzige Leistungsbemessung nach Qualifikationsklassen durch eine ebenfalls beitrags- und damit einkommensbezogene Leistungsgewährung im Falle von Arbeitslosigkeit ersetzt werden. Zudem könnten im Falle einer für alle Versicherten wirksamen Erweiterung der Rahmenfrist auch Selbständige einen verbesserten Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung erhalten.“

Grundsätzlich ist ein stärker einkommensabhängiger Beitrag und damit eine einkommensabhängige Leistung zu begrüßen. Die bestehende Bemessung des Arbeitslosengelds nach formaler Qualifikation ist angesichts identischer Beiträge ungerecht. Allerdings ginge damit wohl eine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung einher, die die Selbstständigen zusätzlich finanziell belastet. Außerdem wird nicht berücksichtigt, dass Selbstständige die Arbeitslosenversicherung vermutlich deutlich seltener in Anspruch nehmen als Angestellte.

Fazit

Wir begrüßen ausdrücklich die geplante Entlastung von Selbstständigen mit niedrigem Einkommen bei der Krankenversicherung.

Für sich genommen sind auch viele andere SPD-Forderungen nachvollziehbar, wir hätten uns aber gewünscht, dass einer der Beteiligten einen Strich darunter gemacht hat und die sich ergebende Gesamtbelastung für Selbstständige ausrechnet. (Beim Gesprächen mit der SPD hatten wir unsere Unterstützung bei solchen Modellrechnungen angeboten.)

Dann hätte man unseres Erachtens erkennen müssen, dass die Summe der Mehrbelastungen viele Selbstständige – auch und gerade mit mittlerem Einkommen - überfordern werden. Leistung lohnt sich unter diesen Umständen nicht mehr.

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