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Kommentar zu Unternehmerlohn  Unsere Geduld mit der Regierung ist am Ende

Gestern Abend im ZDF: WISO-Moderator Marcus Niehaves versucht mehrfach, einen Monolog von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu unterbrechen, in dem Scholz lang und breit ausführt, was seine Regierung alles für Unternehmen getan hätte. Schließlich geht Niehaves (bei Minute 19:20) die Geduld aus:

Auch WISO-Moderator Marcus Niehaves geht beim Gespräch mit Olaf Scholz die Geduld aus
"Herr Scholz (...) ich muss Sie unterbrechen: Mit welcher Sicherheit können die Unternehmerinnen und Unternehmer rechnen? Die müssen ja jetzt planen für die nächsten Monate. Können Sie sich einen solchen Lohn vorstellen? Ja oder nein?"

Ja oder nein? – Scholz bleibt unverbindlich

Bundesminister der Finanzen und Vizekanzler Olaf Scholz;

Scholz bleibt unverbindlich, für ihn ist die Novemberhilfe, also eine umsatzabhängige "pauschalierte Kostenerstattung" (die auch für private Zwecke verwendet werden darf), EU-rechtlich am ehesten umsetzbar. Die Regierung würde diese oder nächste Woche eine gemeinsame Lösung präsentieren.

Dabei bleibt unklar, ob es bei dieser Lösung lediglich um weitere Details zur Novemberhilfe geht oder auch um eine um einen Unternehmerlohn ergänzte Überbrückungshilfe. Offenbar soll auch diese Überbrückungshilfe dann auf bestimmte Branchen begrenzt bleiben, was bei der geplanten Novemberhilfe absehbar zu immenser Bürokratie und Ungerechtigkeit führen wird.

Zuvor hatte das ZDF (ab Minute 13:00) am Beispiel zweier Betroffener gezeigt, warum die Novemberhilfe keine wirkliche Lösung darstellt: Die gezeigte Choreografin kann zwar auf finanzielle Unterstützung für den November hoffen, fragt sich aber, wie es danach weitergeht. Die Hilfe ist ja nur für einen Monat, seit März hatte sie aber nur zwei Aufträge, schätzt sich damit noch glücklich im Vergleich zu anderen.

Der im Anschluss befragte Eventtechniker geht dagegen voraussichtlich leer aus. Zwar hatte er seit Frühjahr gar keine Aufträge mehr, wird aber aufgrund der (vom VGSD frühzeitig gegenüber den Verantwortlichen kritisierten) Branchenabgrenzung wohl bei der Novemberhilfe erneut nicht berücksichtigt.

Hubert Heil fordert Selbstständige auf, Hartz IV zu beantragen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil

Nicht nur dem ZDF-Moderator geht mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Geduld aus. Auch den Selbstständigen fehlt jedes Verständnis dafür, dass offenbar die SPD-Minister Scholz und Heil weiterhin wirksame Hilfen verhindern.

Am Freitag erst hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Selbstständigen aufgerufen, sie sollten doch Hartz IV in Anspruch nehmen.

Wir Selbstständigen sollen also endlich Arbeitslosengeld II beantragen, dankbar sein und Ruhe geben? Wollte die SPD nicht bis vor kurzem Hartz IV hinter sich lassen und nach neuen Wegen suchen? Wäre jetzt nicht die Chance, solche neuen Wege auszuprobieren? Mit der Union als Koalitionspartner, die das in dieser Situation nun mittragen würde? Nein, halt, für Selbstständige ist die Grundsicherung ja genau das richtige Instrument!

Keine ehrliche Diskussion

Wir Selbstständigen hätten schließlich nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt. Kein Wort davon, dass selbst die, die trotz einer Vervierfachung des Beitrags und weiterer Verschlechterungen bis freiwillig Mitglieder in der Arbeitslosenversicherung blieben, aber nun trotzdem kein Kurzarbeitergeld erhalten – und oft noch nicht einmal Arbeitslosengeld 1. Weil sie mehr als 15 Stunden in der Woche versuchen, ihr Unternehmen zu retten und deshalb nicht als arbeitslos gelten – zugleich aber für den Arbeitslosengeld 2-Anspruch  gesperrt sind. Kein Wort auch davon, dass seit dem Herbst das Kurzarbeitergeld aus dem Bundeshaushalt finanziert wird und keineswegs mehr aus Beiträgen von Versicherten.

Kein Hinweis des Weiteren darauf, dass die große Mehrzahl der betroffenen Selbstständigen bisher keine Chance auf Hartz IV hatte, weil sie ja privat für ihr Alter vorgesorgt hat, dies aber als verwertbares Vermögen gewertet wurde. Mit der Folge, dass sie ihre Altersvorsorge aufbrauchen mussten, weil ihnen zum Gesundheitsschutz der Gesamtbevölkerung ein Sonderopfer aufgebürdet wurde, das bei vielen quasi einem Berufsverbot gleich kommt.

Corona – Umerziehungslager für Selbstständige?

Wollen Olaf Scholz und Peter Altmaier uns Selbstständige umerziehen? Der Öffentlichkeit vorführen, dass wir allesamt prekär sind? Und das auch uns selbst auf die harte Tour zeigen – wer nicht hören will muss fühlen? Damit wir anschließend dankbar sind, wenn sie uns zu Pflichtmitgliedern in der Arbeitslosen-, Renten- und Berufsunfallversicherung machen? Auch dann mit höheren Bemessungsgrundlagen und Beiträgen, dafür niedrigeren Leistungen, weil bei uns ja immer ein Betrugsrisiko besteht? Weshalb man jetzt auch Soforthilfe-Antragsteller kriminalisiert?

Glauben diese Politiker und die ihnen nahe stehenden Gewerkschafter wirklich, dass sie die Selbstständigen mit dieser Strategie als Wähler und Mitglieder gewinnen können? Diejenigen, denen sie aus "erzieherischen Gründen" jede Hilfe verweigern? Wie auch immer: Jemand muss ja die für andere Zwecke geleerten Kassen wieder auffüllen. Dafür sind die Selbstständigen dann wieder gut.

Es ist ein zynisches Spiel mit der Verzweiflung und Notsituation der Betroffenen.

#Alarmstufe Rot sieht Novemberhilfe als Etikettenschwindel

Die im Verbändebündnis #AlarmstufeRot der Veranstaltungswirtschaft organisierten Unternehmer, die über Wochen in intensivem Kontakt mit den verantwortlichen Politikern und Beamten war, bezeichnen heute in einer Pressemitteilung die Novemberhilfe der Bundesregierung als "10 Milliarden Euro teuren Etikettenschwindel". Fast 90 Prozent der Betriebe der deutschen Veranstaltungswirtschaft würde jede Hilfe verwehrt, indem mit detailreichen Formulierungen der Kreis der antragsberechtigten Unternehmen bewusst klein gehalten werde.

Die Regierung betriebe gerade eine kolossale "Triage". Also das, was im Frühjahr Ärzte in Bergamo vornahmen, als sie aufgrund zu weniger Beatmungsgeräte entscheiden mussten, wen sie behandelten, wer also in der Folge überleben durfte und wer nicht. Die Novemberhilfe sei das Todesurteil für die Veranstaltungswirtschaft. Als nicht überlebenswert würde ihr der schwarze Zettel umgehängt: "Opfer, sterben lassen."

"Hohe Rettungsbeträge schaffen zwar den Weg in die Pressekonferenzen und Abendnachrichten. Nicht aber zu den notleidenden Beschäftigten, zehntausenden Soloselbstständigen und mittelständischen Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft.“ kritisiert Nico Ubenauf, einer der Initiatoren des Bündnisses.

Veranstaltungswirtschaft werde zugunsten anderer Branchen geopfert

Politiker von Regierung und Opposition hätten zwar auf zwei Bundesdemos, zahlreichen Landeskundgebungen und in drei Sitzungen des Rettungsdialogs mit der Veranstaltungswirtschaft glaubwürdig versichert, dass sie die Situation dieser Branche verstanden hätten und das von ihr erbrachte Sonderopfer. Finanzminister Scholz habe öffentlich signalisiert, dass genügend Geld für den Sektor bereitstehe.

Während aber anderen Wirtschaftszweigen, die seit Jahrzehnten in der Lobby von Parlament und Ministerien Bedarfslisten präsentieren, im Rahmen der Novemberhilfe Mittel zugesprochen worden seien, verweigere man der Veranstaltungswirtschaft weiterhin eine wirksame Hilfe.

Blick bewusst auf Kulturveranstaltungen gelenkt, die nur 12 Prozent der Veranstaltungen ausmachen?

Mit Aussagen wie: „Party und Kirmes müssen halt mal ausfallen“ werde bewusst der Blick fehlgelenkt. Dabei entfielen nur 12 Prozent der Veranstaltungen auf die Bereiche Kultur und Soziales. 88 Prozent der Veranstaltungen in Deutschland hätten vielmehr wirtschaftliche Anlässe wie Messen, Vollversammlungen, Fachkongresse und Technologieschauen. Hier sichere der Exportweltmeister Deutschland seinen Rekordabsatz.

Das Bündnis sieht die die Novemberhilfe als Milliardensubvention für Hotellerie und Gastronomie. Das gönne man dieser zwar, im Unterschied zu ihr habe die Veranstaltungsbranche aber keine Chance gehabt, im Sommer verloren gegangene Umsätze mindestens teilweise nachzuholen und sie würde jetzt erneut bei den Hilfen ausgeschlossen. Zu der Novemberhilfe sei es gekommen, weil die Regierung die von den Gaststättenverbänden angedrohte Klagewelle verhindern wollte – ein Eindruck den wir beim VGSD teilen und der die Erklärung für die komplizierte Konstruktion der Novemberhilfe sein dürfte.

Das Rettungsprogramm der Regierung vergleicht #AlarmstufeRot in der Pressemitteilung mit einem Eisberg. Für die breite Öffentlichkeit gut sichtbare Bereiche wie Theater, Kinos und Gastronomie würden jetzt Hilfen erhalten, die riesige Zahl nicht sichtbarer Zulieferer und Dienstleister hinter den Kulissen ertrinke indessen unter der Wasseroberfläche.

Weiterer Vertrauensverlust gegenüber Regierung

Das alles sind drastische Vergleiche, sie künden von wachsender Verweiflung und einem starken Vertrauensverlust gegenüber den Regierungsvertretern, mit denen man sich nun über Wochen getroffen hat. Die signalisiert hätten, dass sie die Problematik verstanden hätten, dann aber doch nicht halfen.

Auch wir beim VGSD verstehen nicht, warum die Novemberhilfen EU-konform sind, ein pauschaler Unternehmerlohn aber nicht möglich sein soll, obwohl er von Bundesländern wie Baden-Württemberg seit vielen Monaten ausgezahlt wird und auch von anderen EU-Ländern wie Belgien oder den Niederlanden. Warum ist die EU denn dann dort bisher nicht eingeschritten? Es wäre nicht das erste Mal, dass die EU als Ausrede für ein Versagen auf Ebene nationaler Politik herhalten muss.

Geduld am Ende: Olaf Scholz und Peter Altmaier müssen jetzt eine Lösung finden

Olaf Scholz und Peter Altmaier haben im Kontext der Novemberhilfe erneut hohe Erwartungen geweckt, die sie dabei sind, ein zweites Mal zu enttäuschen. Sie müssen nun schnell eine Lösung finden. Für alle besonders hart von der Corona-Krise betroffenen Soloselbstständigen mit hohen Umsatzausfällen, unabhängig von der Branche – und für mehr als einen Monat.

Das zynische Spiel mit dem Hin- und Herschieben von Verantwortung muss aufhören. Unsere Geduld ist am Ende.

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