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Wirtschaftsforum der SPD fordert Rechtssicherheit beim Einsatz freier Digitalisierungsexperten und warnt vor Abwanderung

Das Wirtschaftsforum der SPD fordert eine Überarbeitung der in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen stärkeren Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen.

„Für die digitale Transformation von Industrie und Mittelstand sind selbstständige Digitalisierungsexperten essenziell“, erklärte gestern dessen Vizepräsident Robert M. Maier (Gründer und Geschäftsführer der Visual Meta GmbH, einem Berliner Internet-Unternehmen mit 200 Mitarbeitern).

Robert M. Maier, Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD e.V.

„Die neuen Regeln erschweren den Einsatz externer Experten in den Betrieben. Ohne Reform werden wir im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe weiter an Boden verlieren. Schon heute ist erkennbar, dass IT- und Digitalisierungsexperten ins Ausland abwandern und ihr Spezialwissen dort anbieten.“

Kein April-Scherz!

Beim Lesen obiger Pressemitteilung mussten wir uns kneifen: Nein, wir träumen nicht. Und es handelt sich auch um keinen April-Scherz, obwohl die Mitteilung am 1. April veröffentlicht wurde. Anlass für dieses Veröffentlichtungsdatum war vielmehr die gestrige Eröffnung der Hannover-Messe 2019.

Frank Specht vom Handelsblatt hat die Pressemitteilung des SPD-Wirtschaftsforums bereits aufgegriffen und getitelt: „Der Einsatz von freiberuflichen IT-Spezialisten soll erleichtert werden – Die SPD möchte die bisherige Regelung zu Werkverträgen und Leiharbeit wieder lockern. Sie sieht den Wettbewerb gefährdet.“

Nun ist das SPD-Wirtschaftsforum nicht DIE SPD, sondern „nur“ ein von Wirtschaftsunternehmen getragener, SPD-naher Verband. Auch sind wir als VGSD nicht mit allen Forderungen des Forums einverstanden.

Trotzdem freut wir uns natürlich riesig, dass das Forum die von uns immer wieder – zuletzt mit einer Studie empirisch belegte – Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und die Gefahr der Abwanderung von IT-Experten aufgreift. Wir hoffen, dass die Forderungen des SPD-Wirtschaftsforums dazu beitragen, dass das BMAS dem Thema Rechtssicherheit mehr Gewicht einräumt und zeitnah sachgerechte Lösungsvorschläge präsentiert.

Sechsseitiges Positionspapier des Wirtschaftsforms

Den Forderungen des SPD-nahen Wirtschaftsverband liegt ein sechsseitiges Positionspapier zugrunde, in dem die Mitgliedsunternehmen deutlich mehr Flexibilität und Rechtssicherheit beim Rückgriff auf selbstständige IT-Experten einfordern. Denn die Wirtschaft fürchte Risiken: Man gerate leicht in den Verdacht, Scheinselbstständige zu beschäftigen, wenn man externe Dienstleister zeitweise eng in ein Projektteam einbinde.

Die Anstellung der Experten sei aber auch keine Lösung, heißt es in dem Papier: „Freelancer hängen häufig an ihrem Status und haben ihr Leben auf die Selbstständigkeit ausgerichtet. Sie schlagen daher lukrative Angebote einer Festanstellung zumeist aus, auch weil sie als Freelancer in Zeiten von Fachkräftemangel deutlich höhere Tagessätze fordern können.“

Forum fordert Einbeziehung von Selbstständigen(-gruppen) in gesetzliche Sozialversicherungszweige

Um Abhilfe zu schaffen, sprechen sich die Mitgliedsunternehmen unter anderem für die Einbeziehung von einzelnen Selbstständigengruppen in die gesetzliche Sozialversicherung aus.

In der Pressemitteilung (im Positionspapier sind dazu keine weiteren Details zu finden, vgl. unten) wird Barbara Loth zitiert. Sie ist Leiterin des Fachforums Arbeitswelt, Tarifpartnerschaft und Integration des Wirtschaftsforums: „Für externe Digitalisierungsexperten mit bestimmter Einkommenshöhe könnten Ausnahmetatbestände mit Positivkriterien eingeführt werden. Bei Nachweis einer angemessenen Altersvorsorge wäre das Interesse der Solidargemeinschaft an der Absicherung der Sozialversicherung erfüllt und damit der rechtssichere Einsatz für die Unternehmen ermöglicht.“

Das Positionspapier unter der Lupe

Ausgangspunkt des Positionspapiers ist die wachsende Bedeutung agiler Methoden und deren Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Zunächst wird erklärt, was „agile Methoden“ (1.) und was „Externe“ (2.) sind.

Anschließend stellen die Autoren die aus der Rechtsunsicherheit resultierenden Probleme (3.) dar: Die klassischen Kriterien der Deutschen Rentenversicherung (DRV) für die Eingliederung in Betriebsabläufe und damit für Scheinselbstständigkeit berücksichtigten nicht die Sachzwänge und Besonderheiten agiler Methoden.

Für agile Methoden typische Sachverhalten würden deshalb von der DRV als Indizien für Scheinselbstständigkeit gewertet, z.B.

  • arbeitsteiliges Zusammenwirken mit internen Mitarbeitern,
  • Tätigkeiten, die auch von Internen erledigt werden,
  • Tätigkeit beim Auftraggeber vor Ort,
  • Zugriff auf Systeme des Auftraggebers sowie dessen Betriebsmittel sowie
  • Dauer und Umfang der Tätigkeit, die erheblich sind.

Unter 4. fasst das Papier die umfangreichen Sanktionen zusammen, falls ein agiles Projekt als Eingliederung bewertet wird.

Rechtsunsicherheit führt zu strengen Compliance-Richtlinien, die IT-Projekte in Deutschland behindern

Die Folgen der Rechtsunsicherheit (5.) seien sehr strenge interne Compliance-Vorgaben in den Unternehmen, um so eine Eingliederung und damit Scheinselbstständigkeit der Externen zuverlässig zu verhindern. In der Konsequenz könnten die internen Mitarbeitern aber mit den Externen nicht so eng zusammenarbeiten, wie dies für den Projekterfolg nötig wäre:

Einige Unternehmen hätten gemischte Teams verboten oder umfangreiche Leitfäden eingeführt, die bei der Zusammenarbeit zu beachten seien. „Wieder andere Unternehmen verzichten bei manchen Projekten gar ganz auf die Anwendung agiler Methoden mit Externen oder haben derartige Aktivitäten ins Ausland verlagert.“

Erfolgreiche Digitialsierung Deutschlands gefährdet

Der fehlende Know-how-Transfer von Externen zu internen Mitarbeitern beeinträchtige „die Entwicklung des Produktes und die der Mitarbeiter. IT-Projekte können nicht oder nur mit zeitlichem Verzug fertiggestellt werden.“ Dies sei jedoch entscheidend für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die erfolgreiche Digitalisierung in Deutschland. Hinzu komme, dass das hohe Innovationspotenzial der Externen, welches für die Unternehmen von höchster Bedeutung sei, nicht voll ausgeschöpft werden könnte.

Keine Alternativen zum Einsatz von Selbstständigen, ANÜ ungeeignet

Unter 7. diskutieren die Autoren mögliche Alternativen, um sie dann zu verwerfen: Weder die Anstellung noch die Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) wären geeignete Auswege. Auch könnten agile Projekte nicht in Form eines Werkvertrages durchgeführt werden, weil der Erfolg ja im Vorhinein nicht definiert werden könne. Dies wird durch eine tabellarische Gegenüberstellung der Merkmale eines Werkvertrags mit denen agiler Methodik erläutert.

Ausführlich gehen die Autoren darauf ein, warum die Durchführung von Statusfeststellungsverfahren keine Lösung bietet. Sie führten häufig zu unsachgemäßen Ergebnissen, eine Überprüfung vor den Sozialgerichten ziehe sich viele Jahre hin, zudem müsse für jedes Auftragsverhältnis ein eigenes Verfahren angestrengt werden.

Eigentlich sei nötig, dass der Status der Selbstständigen vorab geprüft und das Verfahren in einer Dreieckskonstellation mit einem Vermittler auch direkt vom Auftraggeber angestoßen werden könne. All das sei aber bei der DRV nicht möglich.

Vorschläge des Wirtschaftsforums für mehr Rechtssicherheit

Die vom Forum vorgeschlagenen Lösungsansätze geben wir im Folgenden wörtlich wieder (Hervorhebungen durch uns):

  • "Gesetzliche Anpassungen und Einführung von Ausnahmetatbeständen mit

    Positivkriterien, z.B. Einkommenshöhe und Nachweis einer angemessenen Altersvorsorge. Vor allem durch fixe Einkommensgrenzen könnte Rechtssicherheit geschaffen werden. Die Anwendbarkeit des SGB IV durch Freigrenzen (Einkommenshöhe) einzuschränken, ist ein Vorgehen, das es für die gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) bereits gibt.

  • Harmonisierung der gesetzlichen Regelungen in verschiedenen Rechtsbereichen und daran anknüpfender Prüfkriterien.
  • Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzlichen Sozialversicherungszweige und Sicherstellung der Straffreiheit (§266a StGB – damit wäre das Interesse der Solidargemeinschaft an der Absicherung der Sozialversicherung erfüllt).
  • Modernisierung des Statusfeststellungsverfahrens:
    • Anerkennung von Einkommenshöhe und angemessener Altersvorsorge als gewichtige Indizien
    • Der Abwägungsvorgang und die Gewichtung einzelner Indizien müssen im Kontext von agilen Methoden auf ihre Tauglichkeit überprüft werden
    • Ausgestaltung des Verfahrens in Form eines „Forward-Bescheides“ (unter Zugrundelegung von wesentlichen Kriterien wie Einkommenshöhe und angemessener Altersvorsorge)
    • Beschleunigung des Verfahrens
    • Schaffung klarer Handlungsanleitungen durch die DRV (Richtlinien etc.) in Bezug auf die Besonderheiten bei agilen Methoden
    • Erweiterung der Möglichkeiten, ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen (Ausweitung auf Dreieckskonstellationen).
  • Berücksichtigung agiler Arbeitsmethoden bei der Aus- und Fortbildung von Prüfern

    zuständiger Behörden.

  • Änderung der behördeninternen Fachlichen Weisungen/Richtlinien bzgl. des AÜG:

    Ausnahme für IT-Berater/agile Methoden; verbindlich auch für Zoll und DRV.

  • Sukzessive Weiterentwicklung bestehender Prüfverfahren auf Einladung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter Beteiligung der Sozialversicherungsträger, der Finanzbehörden und der Wirtschaft, beispielsweise durch Entwicklung eines positiven Prüfkriterienkatalogs." Zum Positionspapier

Absolute Einkommenshöhen als Kriterium?

Wir haben die beiden Kriterien Honorarhöhe und Vorhandensein einer Altersvorsorge, die Forderung nach einem "Forwardbescheid" und der Beteiligung der Betroffenen oben hervorgehoben, weil sie auch zentrale Forderungen des VGSD sind und die beiden Kriterien Honorarhöhe und Altersvorsorge gleich mehrfach genannt sind.

Wir sehen allerdings absolute (monatliche oder jährliche) Einkommensgrenzen als problematisch an, weil sie keine Lösung für Selbstständige mit mehreren Auftraggebern, für Teilzeitselbstständige und Selbstständige mit niedrigeren Honoraren (z.B. knapp unter Betragsgrenze) sind.

Aus unserer Sicht sollte stärker auf Stunden- und Tagessätze abgestellt werden. Diese sollten deutlich höher, keinesfalls niedriger als bei hinsichtlich Berufserfahrung und Tätigkeit vergleichbaren Angestellten sein. Auftraggeber können zudem immer nur die Verantwortung für ihre Aufträge übernehmen und nicht für das Gesamteinkommen eines Selbstständigen.

Absolute Einkommenshöhe könnten für IT-Selbstständige und andere gut bezahlte Berufe schnell mehr Sicherheit bringen, was wir begrüßen würden. Das darf aber nicht dazu führen, dass schlechter bezahlte oder in Teilzeit tätige Selbständige weiterhin großer Unsicherheit ausgesetzt bleiben. Auch für Sie muss es zeitnah eine sachgerechte Lösung geben!

Was ist das Wirtschaftsforum der SPD?

Bisher hatten wir beim VGSD vor allem mit der AGS, also der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der SPD, zu tun. Sie ist eine parteiinterne Gliederung, der automatisch alle Selbstständigen in der SPD angehören.

Das Wirtschaftsforum der SPD ist nach eigener Beschreibung „ein unabhängiger unternehmerischer Berufsverband und hat als eigenständig eingetragener Verein keine finanziellen, personellen oder strukturellen Verbindungen zu einer politischen Partei. Als Wirtschaftsforum der SPD e.V. organisiert er in erster Linie den Austausch mit den sozialdemokratischen Verantwortungsträgern in Parlamenten, Regierungen und Parteigliederungen in Bund, Ländern und Europa.“

Der Verband ist noch recht jung. Er wurde erst im Februar 2015 gegründet – auf Initiative des früheren TUI-Vorstandsvorsitzenden, Dr. Michael Frenzel. Das Forum hat derzeit knapp 400 Mitglieder aus allen Branchen, darunter Privatpersonen, Unternehmen und Verbände. Die Mitglieder bringen sich inhaltlich in insgesamt 13 verschiedenen Fachforen ein. Sie haben sich die Förderung und Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zum Ziel gesetzt und begreifen nachhaltigen ökonomischen Erfolg als Ergebnis des Zusammenwirkens von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt.

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