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DIW-Studie Pay gap auch bei Schwulen und Lesben?

Gerade hat das DIW eine Studie über Einkommen, soziale Netzwerke und Lebenszufriedenheit von Schwulen und Lesben veröffentlicht. Insbesondere die Ergebnisse bezüglich der Höhe des Einkommens gehen gerade durch die Medien.

Denn die Ergebnisse des DIW deuten darauf hin, dass insbesondere schwule Männer trotz durchschnittlich höherer Bildung einen geringeren Stundenlohn erhalten. Über die Gender pay gap zwischen Frauen und Männern hatten wir wiederholt berichtet, insbesondere im Zusammenhang mit dem Equal Pay Day. Zuletzt hatten wir über einen besonders hohen Pay Gap bei selbstständigen Frauen berichtet, der zu einem nicht unwesentlichen Teil auch auf den hohen Mindestbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung beruhen könnte.

Zum Thema Selbstständigkeit unter LGBs (Lesbian, Gay, Bisexual – wenn wir im Folgenden von Schwulen sprechen, sind Bisexuelle „mit gemeint“) kann die Studie nur wenige Aussagen machen, denn sowohl LGBs als auch Selbstständige machen nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Befragten aus, so dass die kombinierten Fallzahlen zu niedrig für statistisch signifikante Aussagen wird. Die Forscher fordern allerdings die Einrichtung spezieller Stichproben mit einem höheren LGB-Anteil – und berufen sich dabei auf die EU, die ihren Mitgliedsstaaten schon seit Längerem ein genaueres Monitoring zur Gleichstellung empfiehlt.

2016 erstmals Frage zur sexuellen Ausrichtung in SOEP-Fragebogen

Martin Kroh hat die Studie gemeinsam mit Simon Kühne, Christian Kipp und David Richter verfasst

Dass das DIW ausgerechnet jetzt mit sehr umfangreichen neuen Erkenntnissen zum Thema LGB aufwarten kann, liegt daran, dass das DIW Berlin eine der wichtigsten Datenquellen für Wirtschafts- und Sozialforschung, das SOEP (Soziooekonomische Panel) im Jahr 2016 um eine Frage zur sexuellen Ausrichtung ergänzt hat (Fragebogen, Frage 157).

Dabei gibt es eine große Unsicherheit in Hinblick auf die korrekte Beantwortung dieser (freiwilligen) Frage. Immerhin 13 Prozent der Befragten verweigerten die Antwort oder gaben an, keine Antwortalternative treffe auf sie zu. Die Aussagen beziehen sich insofern also nur auf die mehr oder minder offen lebenden LGBs, die sich im Rahmen der Studie zu ihrer sexuellen Präferenz bekennen. Da Jüngere hier viel offener sind als Ältere, ergibt sich ein erhebliches Altersgefälle, so dass die Vergleiche um diesen Effekt korrigiert werden mussten, sonst hätte die Gefahr bestanden, dass man jüngere, offen lebende LGBs mit im Schnitt älteren Heterosexuellen vergleicht, was mehr über Altersunterschiede als über LGB ausgesagt hätte.

Wie hoch ist der Anteil der Selbstständigen unter den Schwulen und Leseben?

Wie hoch ist also der Anteil der Selbstständigen unter den (offenen) LGB? Er liegt (korrigiert) bei 9 Prozent – identisch mit dem Anteil bei den Heterosexuellen. Dafür sind 78 Prozent der LGB angestellt (nur 61 Prozent der Heterosexuellen). Unter Arbeitern sind sie dagegen mit 11 (23) Prozent stark unterrepräsentiert, ebenso unter Beamten mit 2 (6) Prozent. Das könnte auf eine stärkere Diskriminierung in diesen Berufsgruppen hindeuten.

Ähnliches gilt für die Branchen. Signifikant unterrepräsentiert sind LGB im Bereich im produzierenden Gewerbe, im Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit.

Im Schnitt erreichen LGB einen höheren formalen Bildungsabschluss: 26 (21) Prozent haben einen (Fach-) Hochschulabschluss, 21 (15) Prozent (Fach-)Abitur. Auffällig ist auch der geringe Anteil der LGB mit beruflicher Ausbildung ohne Abitur.

Trotz höherer Bildung niedrigerer Stundenverdienst

Erstaunlicherweise verdienen beim Vergleich der Bruttostundenverdienste schwule Männer trotzdem signifikant weniger als heterosexuelle Männer: 16,40 Euro versus 18 Euro. Bei Berücksichtigung von Qualifikation, Stellung im Beruf, Berufserfahrung, Arbeitzeitmodell und Branche steigt das Delta sogar auf über zwei Euro pro Stunde (was gut 12 Prozent entspräche). Lesbische Frauen verdienen laut Studie ungefähr so viel wie schwule Männer (16,44 Euro), es besteht aber auch gegenüber heterosexuellen Frauen (14,40 Euro) kein signifikanter Unterschied (kleine Stichprobe).

Neben dem „Gender Pay Gap“ scheint es laut Forschern also auch ein „Sexuality Pay Gap“ zu geben. Die DIW-Studie bestätigt hier Ergebnisse, die auch in anderen westlichen Ländern gefunden wurden.

Allerdings gibt es unter LGB mehr Doppelverdiener-Haushalte (67 vs. 54 Prozent), die Haushalte sind im Durchschnitt kleiner. Deshalb sind die verfügbaren Haushaltseinkommen im Schnitt etwas (wenn auch nicht signifikant) höher als bei heterosexuellen Haushalten. Schwule und bisexuelle Männer leisten typischerweise deutlich mehr Überstunden als heterosexuelle, auch das ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen.

Interessant wäre, ob es auch unter Selbstständigen eine so hohe Sexuality Pay Gap gibt, oder ob, wie Studien bei Migranten nahe legen, bei der Selbstständigkeit mehr die tatsächliche Leistung zählt.

Diese Parteien bekommen von LGB die meisten Stimmen

Die Studie hat eine Vielzahl weiterer Erkenntnisse gebracht, die wir im Folgenden zusammenfassen:

In Hinblick auf die Bundestagswahl sind natürlich die politischen Einstellungen von Interesse. LGB sind mit 44 (35) Prozent häufiger an Politik interessiert und haben mit 68 (56) Prozent häufiger eine langfristige Parteibindung.

So wählen 27 (16) Prozent die Grünen. (Hier ist wie bei allen angegebenen Werten zu beachten, dass die LGB, die sich in der Befragung zu ihrer sexuellen Präferenz bekennen, jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt sind und damit auch die Vergleichsgruppe, der die Ergebnisse gegenübergestellt werden.)

Auch die Linke ist mit 13 (7) Prozent bei LGB überrepräsentiert. Dagegen wählen nur 21 (35) Prozent die CDU/CSU, die in der Vergangenheit aber auch nicht gerade als Motor der Gleichstellung in Erscheinung getreten ist.

SPD und FDP haben – zumindest in dieser tendenziell jüngeren Stichprobe keine signifikant höhere Zustimmung unter LGB: 25 (29) Prozent bzw. 3 (3) Prozent neigen ihr zu, der Unterschied ist nicht signifikant.

Keine Unterschiede in Persönlichkeit, aber mehr Stress, wenn nicht „out“

In ihrer Persönlichkeitsstruktur („Big five“ Persönlichkeitsmerkmale) unterscheiden sich LGB kaum vom Rest der Bevölkerung. Sie sind genau so gewissenhaft, extravertiert und „verträglich“. Bezüglich Offenheit und emotionaler Stabilität gibt es nur bei Männern Unterschiede. Die größere Offenheit dürfte dabei aus der Auswahl der Befragten resultieren.

Auffällig ist eine deutlich höhere Gefährdung für depressive Erkrankungen (20% bei LGB versus 10% bei Heterosexuellen), die das Ergebnis von teilweise noch immer bestehender Diskriminierung und damit verbundenem chronischem Stress sein dürfte. Schwule und bisexuelle Männer berichten über eine höhere psychische Belastung, die allgemeine Lebenszufriedenheit liegt mit 7,0 gegenüber 7,4 etwas niedriger. Dies deckt sich mit Forschungsergebnissen aus anderen Ländern.

Die gute Nachricht: Je höher die „Outness“, also die Übereinstimmung des Selbstbilds und des nach außen präsentierten Bildes, um so höher sind Wohlbefinden und Leistungsvermögen. Das ist der Grund dafür, dass viele Unternehmen inzwischen im Rahmen von Diversity-Maßnahmen zum Coming-out auch am Arbeitsplatz ermutigen.

Freundesnetzwerk kompensiert geringere Unterstützung durch eigenen Familie

Bei LGB sind häufig beide Partner erwerbstätig

Gefragt nach Vertrauenspersonen, mit denen sie persönliche Gedanken und Gefühle teilen, sowie nach Unterstützern, etwa im Fall von Pflegebedürftigkeit, sind für LGB wie Heterosexuelle (falls vorhanden) die Partner am wichtigsten. Hier gibt es keine signifikanten Unterschiede. Allerdings liegt die Bedeutung von Familienangehörigen als Vertrauensperson bzw. Unterstützer bei LGB um 10 Prozentpunkte niedriger als bei Heterosexuellen. Dies wird durch eine um 10 Prozentpunkte höhere Bedeutung von Freunden und Bekannten kompensiert.

Man kann daraus schließen, dass ein Teil der LGB eine geringere Unterstützung durch ihre Familie erhält, dies aber durch ihre „schwule bzw. lesbische Familie“ bzw. andere Beziehungen wett macht.

Von denjenigen LGB, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben, führen 70 Prozent einen gemeinsamen Haushalt, bei heterosexuellen Paaren sind es rund 80 Prozent. Immerhin in 10 Prozent der LGB leben in einem Haushalt mit Kindern. Bei Heterosexuellen sind es 27 Prozent. 28 (18) Prozent leben in einem Einverdiener-Haushalt.

LGB zieht es in die Großstädte

Lesben, Schwule und Bisexuelle wohnen lieber in Großstädten als in kleineren Gemeinden

Die Studienautoren berichten auch über erhebliche regionale Unterschiede: Schwule und Lesben zieht es vom Land in die Großstädte: 55 (34) Prozent leben in Städten mit > 100.000 Einwohnern, nur 23 (39) Prozent in Städten oder Dörfern mit <20.000 Einwohnern. Gemessen am Anteil der im Jahr 2015 geschlossenen Lebenspartnerschaften an allen Eheschließungen und Lebenspartnerschaften führt Berlin (5,7 Prozent) vor Frankfurt und Köln (je 5,0 Prozent) sowie München (4,6 Prozent). In Hamburg waren es 3,8 Prozent. In den Flächenländern variiert der Anteil der „Homo-Ehe“ von 1,0 Prozent (Thüringen) bis 2,1 Prozent (Schleswig-Holstein und Saarland).

2,8 Prozent der unter-45-Jährigen ist offen schwul oder lesbisch

In Berlin, Köln, Frankfurt und München werden anteilig die meisten gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geschlossen

Typisch für die mangelhafte Erforschung der Lebensbedingungen von LGB ist die eigentlich triviale Frage nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Auf Basis der freiwilligen Selbstauskünfte im SOEP 2016 schätzen die Forscher, dass sich 1,9 Prozent der befragten Erwachsenen als homo- oder bisexuell identifizieren. Unter Personen bis 45 Jahren sind es 2,8 Prozent. Dieser letztgenannte Wert deckt sich mit Befunden in anderen Ländern. Wichtig ist festzuhalten, schreiben die Forscher, dass es sich dabei um „Personen handelt, die offen homosexuell lebt beziehungsweise sich in Interviewsituationen damit identifiziert, nicht jedoch homosexueller Veranlagung in der Bevölkerung. Diese Zahl dürfte deutlich höher liegen, über den Wert liegen jedoch kaum zuverlässige Zahlen vor“.

Auch wenn die DIW-Studie zwangsläufig wenig Aussagen über die Teilgruppe der Selbstständigen enthielt, haben wir bewusst ausführlich darüber berichtet. Wir hoffen es gelingt dem DIW eine spezielle Stichprobe einzurichten, so dass künftig dann auch spezifische Aussagen zum Beispiel über Selbstständigkeit unter LGB möglich sind.

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