Arbeiten DRV und Zoll mit einheitlichen Kriterien, wenn es um die Beurteilung von Scheinselbstständigkeit, verdeckter Arbeitnehmerüberlassung & Co. geht? Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) als Aufsichtsbehörde zumindest weiß davon nichts, wie VGSD-Mitglied Marcel Misch herausfand. Sie verweist an die Bundesregierung.
In einem Schreiben u.a. an das BAS fragte Marcel nach abgestimmten Kriterien zwischen der bundesweiten Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und der Zollverwaltung. „Ob sich die DRV Bund und die Zollverwaltung auf gemeinsame Kriterien bzw. Prüfmaßstäbe zur einheitlichen Beurteilung von Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung verständigt haben, ist unserem Haus nicht bekannt", heißt es dazu in einem Antwortschreiben des BAS. Diese Antwort verblüfft – ist das BAS doch die zuständige Aufsichtsbehörde für die DRV Bund.
Überschneidungen zwischen DRV Bund und Zoll sind möglich
Zum Hintergrund: Die DRV überprüft im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren, ob Menschen tatsächlich selbstständig oder scheinselbstständig sind. Letzteres meint, dass jemand offiziell selbstständig ist, aber wie ein Angestellter arbeitet und deshalb sozialversicherungsrechtlich als abhängig beschäftigt gilt.
Der Zoll, genauer die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), wiederum überprüft, ob es etwa in einem Unternehmen Schwarzarbeit oder illegale Beschäftigung gibt und Steuern und Sozialabgaben nicht abgeführt werden – und in dem Kontext z.B. auch mögliche Scheinselbstständigkeit sowie verdeckte (illegale) Arbeitnehmerüberlassungen. Bei letzterer werden Personen so eingesetzt, als wären sie externe Kräfte (oft über Werk‑ oder Dienstverträge oder als angeblich Selbstständige), obwohl sie tatsächlich wie ganz normale Arbeitnehmer/innen des Einsatzbetriebs arbeiten.
Dabei sind Überschneidungen möglich: Ein Selbstständiger in einer Subunternehmerkette könnte theoretisch z.B. scheinselbständig UND Teil einer verdeckten (illegalen) Arbeitnehmerüberlassung sein – entsprechend sind hier DRV und Zoll gleichermaßen gefordert. Und die Antwort des BAS zeigt: Es ist möglich, dass DRV Bund und Zollverwaltung denselben Fall ganz unterschiedlich bewerten.
BAS verweist an Leitung der Verwaltungen – oder gleich an die Bundesregierung
Wie sollen Auftraggeber/innen und Selbstständige in dieser völlig unüberschaubaren Gemengelage eine rechtssichere Form der Zusammenarbeit finden? Falls DRV Bund und Zollverwaltung den gleichen Sachverhalt tatsächlich unterschiedlich bewerten können, bedeutet das für beide Parteien ein doppeltes Risiko. Ohne klare Leitplanken ist es für sie extrem schwierig, Projekte „wasserdicht“ zu planen und aufzustellen.
Das BAS sieht sich nicht zuständig: "Die Entscheidung, ob diesbezüglich gemeinsame Kriterien bzw. Prüfmaßstäbe zwischen der DRV Bund und der Zollverwaltung erarbeitet werden, obliegt den insoweit autarken Leitungen der beiden Verwaltungen. Ggf. sind hier politische Vorgaben durch die zuständigen Ressorts der Bundesregierung zu formulieren." Die zuständigen Ressorts sind in diesem Fall das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF).
Auch für die wirtschaftlichen Folgen sieht sich das BAS nicht in der Verantwortung: „Die Frage, welche komplexen Dienstleistungen in Deutschland noch rechtssicher im Spannungsfeld Selbständigkeit/ Arbeitnehmerüberlassung/ abhängige Beschäftigung ausgeübt werden können und ob die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG vor diesem Hintergrund noch gewährleistet ist, kann nicht durch das BAS als Rechtsaufsicht beantwortet werden. Diese Frage kann nur politisch durch die Bundesregierung bzw. den Deutschen Bundestag beantwortet werden.“ Als VGSD-Mitglied findest du die Korrespondenz hier zum Nachlesen:
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Riesiger Abschreckungseffekt im Markt
Schon die unklare Kriterienbasis rund ums Statusfeststellungsverfahren hat einen riesigen Abschreckungseffekt im Markt: Auftraggeber/innen haben zunehmend Angst vor dem Einsatz von Selbstständigen. Viele Projekte werden ins Ausland verlagert.
Das wiederum schadet Selbstständigen, die einfach ihre Arbeit machen wollen – und sich nun unverschuldet in einem Umfeld permanenter Rechtsunsicherheit bewegen. Dadurch verschärft sich die ohnehin schwierige Auftragslage zusätzlich. Wenn DRV Bund und Zollverwaltung ohne einheitliche Prüfmaßstäbe arbeiten und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, ist das ein Systemproblem, das die bestehenden Unsicherheiten noch verschärft. Unbedingtes Ziel muss es deshalb sein, dass hier im Sinne einer Qualitätssicherung eine Vereinheitlichung und Koordination stattfindet und der Gesetzgeber nach transparenten Maßstäben überprüft.
Schreiben liegt jetzt im Bundestag
Marcel Misch hat das BAS-Schreiben mit Bitte um Befassung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag weitergeleitet. Am 22. Oktober 2025 erhielt er eine schriftliche Rückmeldung durch einen Mitarbeiter aus dem Deutschen Bundestag: Das Schreiben sei an die Fraktionen aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales weitergeleitet worden, wo es politisch aufgegriffen werden könne. Da die Zollverwaltung dem BMF untersteht, leitete Marcel das Schreiben auch an den Finanzausschuss im Deutschen Bundestag weiter. Am 21. November 2025 bestätigte ihm das Ausschusssekretariat die Weiterleitung an die Fraktionen aus dem Finanzausschuss.
Hattest du im Rahmen deiner Selbstständigkeit schon mit dem Zoll zu tun? Welche Erfahrungen hast du in dem Kontext gemacht? Erzähl es uns in den Kommentaren.
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