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VGSD-Stammtisch in Berlin - Exkursion ins Atze Musiktheater mit Theaterführung

Die rund 20 Teilnehmenden am Juni-Stammtisch waren zu einer Mini-Exkursion ins Atze-Musiktheater im Wedding eingeladen – nebst Theaterführung durch Theaterleiter Thomas Sutter. Glück für uns: an dem Dienstagabend fand keine Vorstellung statt, so dass wir auch Einblick in die Bühnenräume nehmen konnten. Der Gang über die Bühne machte durstig und so schenkte der Chef selbst, mit tatkräftiger Unterstützung durch Klaus Fermor, der als Freiberufler beim Controlling am Theater mitwirkt, an der Theaterbar Getränke aus. Teil 2 des Abends war dem Thema „Scheinselbständigkeit“ gewidmet, denn das Atze Musiktheater hat in der jüngeren Vergangenheit negative Erfahrungen mit Statusfeststellungsverfahren bei der DRV für seine – eigentlich sonst – freiberuflich tätigen Schauspieler gemacht. An seinen Bericht schloss sich daher auch eine hitzige Diskussion der Stammtischteilnehmerinnen und –teilnehmer über Sinn und Unsinn der Beurteilungskriterien seitens der DRV an.

Die Teilnehmer können hinter die Kulissen schauen

Über das Theater

Mehr als 100.000 Besucher kommen jedes Jahr ins Atze Musiktheater

Das Atze Musiktheater ist Deutschlands größtes Musiktheater für Kinder, mit einer Auslastung von über 100.000 Zuschauern im Jahr. Neben dem Betreib eines eigenen Hauses mit zwei Bühnen werden auch Gastspiele ausgerichtet. Gegründet wurde es im Jahr 1985 in einer kleinen Hinterhausbühne in Berlin-Kreuzberg – es hat sich also aus der freien Theaterszene entwickelt. Im Jahr 2002 hat es das heutige große Haus, den ehemaligen Max-Beckmann-Saal in Berlin-Wedding bezogen und zunächst temporär und im Wechsel mit anderen Theaterensembles bespielt, 2010 wurde es ausschließliche Spielstätte des Atze Musiktheaters unter der künstlerischen Leitung von Thomas Sutter. Damit hat es im Verlauf der letzten 30 Jahre den Wachstumsprozess von einem kleinen (künstlerischen) zu einem mittelständischen Unternehmen durchlaufen. Ein größeres Haus bringt auch größere Probleme mit doch – oder, um es auf Berater(innen)deutsch zu formulieren: „es birgt größere Herausforderungen“.

Es erhält Fördergelder durch den Senat. Die Besonderheit der Zuwendungen für dieses doch relativ große Haus mit umfangreichem Spielplan liegt jedoch darin, dass es sich nicht um institutionelle Zuwendungen handelt, die über einen längeren Zeitraum absehbar und einplanbar sind, sondern dass diese aus den Mitteln für die Basisförderung der freien Theater in Berlin kommen, d. h. alle zwei Jahre neu bewilligt werden. Die Theaterleitung, die sowohl ein festes Haus mit allen seinen Einrichtungen als auch rund 100 Beschäftigte (davon allein 70 freiberuflich Tätige in den Bereichen Musik und Schauspiel) zu unterhalten hat, steht so stets erneut vor der Frage, ob es das Theater nach Ablauf dieser zwei Jahre noch geben wird.

Die Problematik

Als ob das noch nicht genug wäre: Im Jahr 2013 meldete sich die Bayerische Versicherungskammer bei Theaterleiter Thomas Sutter. Seine Schauspielerinnen und Schauspieler möchten doch bitte Mitglieder werden. Die Bayerische Versicherungskammer ist das berufsständische Versorgungswerk der an Theatern (und auch im Fernsehen oder beim Film) Beschäftigten. Es handelt sich um eine Pflichtversicherung. 4,5 % des Einkommens eines Darstellers oder einer Darstellerin zahlt das Theater zusätzlich zum Honorar also an die Bayerische Versicherungskammer. Das ist kein Pappenstiel für ein Haus, das von Geldern aus der Projektförderung abhängig ist, zusätzlich nun auch noch diese 4,5 % Aufschlag aufs Honorar aufzubringen.

Thomas Sutter erklärt das Problem

Als Ausweg rieten sowohl der hinzugezogene Anwalt als auch ein Steuerberater dazu, Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung anzustrengen. Zu diesem Zweck wurden unter den 70 Schauspielerinnen und Schauspielern acht exemplarische Fälle ausgewählt, mit dem Einverständnis der Betroffenen, die Statusfeststellungsverfahren durchlaufen sollten. Der Steuerberater riet dazu, deren Tätigkeit so anschaulich wie möglich zu beschreiben – eine Arbeit von Wochen, die da auf Theaterleitung und Schauspieler/-innen zukam.

To cut a long story short: diese Statusfeststellungsverfahren endeten mit dem Label „weisungsgebunden“. Um laufende Verfahren nicht zu gefährden, soll an dieser Stelle nicht zu ausführlich auf die weiteren bürokratischen und rechtlichen Hürden eingegangen werden, die auf das Atze nun zukamen.

Künstlerische Patchwork-Existenzen

Die Schauspielerinnen und Schauspieler, die im Atze auf der Bühne stehen, definieren sich selbst als „freiberuflich tätig“, sie kommen aus der freien Theaterszene, wo ja auch die Wurzeln des Atze Musiktheaters liegen, und leben allesamt Patchwork-Existenzen mit den unterschiedlichsten Auftraggebern. Das Atze hat rund 25 Stücke im Repertoire. Die freiberuflichen Schauspielerinnen und Schauspieler sind hierin in unterschiedlichsten Besetzungen zu finden und darüber hinaus auch in anderen künstlerischen Projekten oder anderen Theatern tätig. Es ist ein riesiger logistischer Aufwand, allein den Spielplan zu erstellen, sprich: herauszufinden, an welchen Abenden Stücke mit großer Besetzung eigentlich gespielt werden können, da die Terminkalender diverser Selbständiger hier miteinander konkurrieren.

„Es ist eine absurde Situation – am gleichen Abend im gleichen Stück habe ich Musiker, die als selbstständig eingestuft werden und Schauspieler(innen), die als „weisungsgebunden“ und damit abhängig beschäftigt angesehen werden“, sagt Sutter. Die Begründung für diese behauptete Weisungsbindung liegt darin, dass es ja schließlich einen Regisseur respektive eine Regisseurin gebe. Dass die im Stück künstlerisch tätigen Musikerinnen und Musiker ebenfalls der Inszenierung, also der Grundidee und Anweisung der Regie zu folgen haben, interessiert wohl nicht. Ebenso wenig, dass es an Theatern auch Orchesterleitungen, Dirigenten und Generalmusikdirektoren gibt, die Musikerinnen und Musiker anleiten.

Thomas Sutter schildert, wie zwei Körperschaften des öffentlichen Rechts unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten können

Die unterschiedliche Deutung dieser künstlerischen Tätigkeiten im selben Feld kann nur als Kuriosum angesehen werden. Auch Regisseurinnen und Regisseure sind nur sehr selten an Theatern angestellt. Sie sind ebenfalls selbständig tätig und erbringen selbständige künstlerische Leistungen. Dass sie die Arbeitsmittel des Theaters (Bühne, Personal und Ausstattungen) genauso nutzen wie die Darstellerinnen und Darsteller, interessiert so wenig wie die heutige Praxis an Theatern, dass die individuelle schauspielerische Leistung als solche eine eigenständige künstlerische Rolleninterpretation beinhaltet, die durchaus unabhängig von den „Weisungen“ der Regie ihren eigenen Beitrag zum Produkt „Inszenierung“ leistet. Ganz klar hinkt diese Rechtsauffassung den Realitäten der heutigen Arbeitswelt 30-40 Jahre hinterher. Darüber hinaus kreiert sie einen rechtsunsicheren Raum für selbstständige Bühnenkünstlerinnen und Bühnenkünstler deutschlandweit.

Noch kurioser ist es, dass die Künstlersozialkasse und die Bayerische Versicherungskammer respektive die Deutsche Rentenversicherung Bund – beides Körperschaften öffentlichen Rechts – unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten und ein und denselben Vorgang unterschiedlich bewerten. Es ist für sie kein Widerspruch, dass ein und derselbe Schauspieler zugleich in der KSK freiwillig und in der Bayerischen Versorgungskammer pflichtversichert ist.

Solche Absurditäten auch in den Fokus der Politik zu bringen, ist die nicht ganz leichte Aufgabe des VGSD. Nach wie vor ist hier keine befriedigende gesetzliche Regelung in Sicht.

Elke Koepping

VGSD-Regionalsprecherin Berlin

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