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Die große Koalition ist abgewählt – Was das für uns Selbstständige bedeutet

Die Große Koalition ist abgewählt, sie hat gegenüber 2013 13,8% der Stimmen verloren.

Union und SPD haben – nachdem sie schon 2005 bis 2009 regiert hatten, in den letzten vier Jahren ihren Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebraucht.

Zum Vergrößern bitte anklicken: Von einer großen Koalition (blaue Kurve) kann man bei 53,4% nicht mehr sprechen. Jamaika (rot) hat genau so viele Stimmen und die Zustimmung blieb im Zeitablauf stabiler. Rot-rot-grün (lila) verliert dagegen kontinuierlich. Der Anteil der Stimmen für AfD, Linke und "Andere" (orange), also für Parteien, die wenig Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung im Bund haben, nimmt immer weiter zu.

Deutlich wird das am Werkvertragsgesetz. Beide Parteien sind damit unzufrieden, die Auswirkungen sind verheerend und doch hätten Union und SPD nicht die Kraft gehabt, das Gesetz zu korrigieren.

Die Gewerkschaften verlieren mit dem Ende der großen Koalition an Regierungseinfluss. Forderungen, die im Rahmen der Sozialpartnerschaft mit den Arbeitgebern nicht durchgesetzt werden konnten, können künftig nicht mehr einfach auf dem Gesetzesweg durchgedrückt werden.

Aber auch die große Koalition von Arbeitgebern und Gewerkschaften, die ja quasi beide mit am Regierungstisch saßen, endet. Das kann auch für die Arbeitgeber unbequem sein, denn wenn es um Industrieinteressen geht, haben die Sozialpartner häufig gleichgerichtete Interessen vertreten.

Jamaika kommt 

Victory-Zeichen vor Jamaika-Flagge

Schwarz – gelb – grün, das gab es auf Bundesebene in dieser Form bisher noch nicht. Und gerade deshalb sind neue Impulse zu erwarten.

Angesichts der Spannbreite der Positionen von CSU über CDU, FDP bis hin zu den Grünen wird es viel Diskussionsbedarf geben und kreative Kompromisslösungen werden nötig sein. Wenn Kreativität erforderlich ist, muss das nicht schlecht sein.

Die bisherige große Koalition stützte sich auf eine Mehrheit von 67,2% der Stimmen, Jamaika hat nur 52,5%. Das erfordert viel Disziplin von den vier Parteien. Auch das muss nicht schlecht sein.

Der CDU und insbesondere der CSU, die nächstes Jahr Landtagswahlen bestehen muss, sitzen ihre hohen Verluste im Nacken. Sie müssen zunächst eine gemeinsame Linie verabreden, mit der sie konservative Wähler einfangen können, ohne eine Koalition auch mit den Grünen unmöglich zu machen.

Die inhaltlichen Positionen der wahrscheinlichen künftigen Regierungsparteien zu unseren wichtigsten Anliegen haben wir in einem getrennten Beitrag unter die Lupe genommen - basierend auf den Antworten dieser Parteien auf unsere Wahlprüfsteine.

Wir rechnen mit einer größeren Offenheit für unsere Anliegen

Während die Selbstständigen unter den SPD-Wählern stark unterrepräsentiert waren, haben überproportional viele (zumindest in der Vergangenheit) Union, Grüne und insbesondere FDP gewählt. Von daher rechnen wir mit einer höheren Offenheit für unsere Anliegen unter diesen Parteien.

In jedem Fall wird es viele neue Gesichter und Ansprechpartner geben. Auch wenn wir an mancher Stelle wieder bei Null anfangen müssen, sehen wir das als Chance.

Wir haben im Vorfeld der Wahlen immer wieder mit Vertretern der voraussichtlichen künftigen Regierungsparteien gesprochen, unsere Anliegen sind bekannt. Wir hoffen, dass bereits im Koalitionsvertrag einige davon ihren Niederschlag  finden und zeitnah angepackt werden. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen die Parteien immer wieder an unsere Anliegen und auch an ihre Wahlversprechen erinnern und dürfen mit unserem Druck auf keinen Fall nachlassen. Die Gefahr ist sonst groß, dass wichtige Änderungen auf die lange Bank geschoben werden und in Vergessenheit geraten.

Die Parteien im Einzelnen

Wenn die Nichtwähler eine eigene Partei wären, ergäben sich folgende Anteile an allen Wahlberechtigten: Die Union schwankt zwischen 25 und 30%. Die SPD verliert nach dem Verlust des Kanzleramts im Jahr 2005 fast die Hälfte ihrer Wähler. Linke und Grüne sind relativ stabil. Die FDP hat ein größeres Potenzial, aber schwankt erheblich. Quasi aus dem Nichts entsteht die AfD.

Für die Union war es gestern ein Sieg und eine krachende Niederlage zugleich. Merkel ist als Kanzlerin bestätigt und doch auch geschwächt. Es fehlt nicht an großen Herausforderungen, an deren Lösung Merkel erkennbar Freude hat. Sie muss aber auch ihre Nachfolge regeln, wenn das nicht für sie geschehen soll.

Für die FDP ist es ein glänzendes Comeback. Sie hat aber wohl ihre Lektion aus dem Jahr 2013 gelernt und wird diese zweite Chance besser nutzen, härter verhandeln und dafür kämpfen, möglichst viele Wahlversprechen einzulösen.

Innerhalb der Grünen werden die Realos gestärkt. Im Wahlprogramm haben sie vieles offen gehalten. Das gibt ihnen inhaltliche Flexibilität, trotzdem muss auch ihre Handschrift im Koalitionsvertrag erkennbar bleiben, sonst droht das Schicksal der FDP. Die Grünen können eine konstruktive und korrigierende Rolle spielen. Für die Autoindustrie ist eine Regierung unter Beteiligung der Grünen sicher weniger bequem. Ich finde aber, dass hier ein wenig mehr Druck auch nicht schaden kann.

Es ist gut, dass die SPD und nicht die AfD Oppositionsführerin wird. Ich wünsche der SPD, dass sie sich in der Opposition regeneriert und neu erfindet. Ob allerdings die Wahl von Andrea Nahles als Fraktionschefin zum Gewinnen neuer bzw. Rückgewinnen alter Zielgruppen führt, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen.

Was wir uns wünschen

Ich würde mir wünschen, dass wir unter Jamaika mehr über die Zukunft und weniger über die Vergangenheit sprechen.

Das betrifft unsere Anliegen als Selbstständige, aber es fehlt auch nicht an anderen  wirtschaftspolitischen Herausforderungen, um die man sich mit frischer Energie kümmern sollte.

Man denke nur an die Themen Wohnungsbau, Immobilienpreise und damit zusammenhängend Mieten, an Renten-, Krankenversicherung und demographischen Wandel, an Digitalisierung und Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Erfreulich: Höhere Wahlbeteiligung

Hier noch einmal der Anteil verschiedener Koalitionen im Zeitablauf, allerdings unter Berücksichtigung der Nichtwähler. Die schwarze Kurve zeigt, dass inzwischen 44% der Wahlberechtigten im weitesten Sinne mit den Etablierten unzufrieden sind. Sie gehen nicht zur Wahl oder wählen Parteien, die wenig Aussicht auf Regierungsbeteiligung haben.

Erfreulich ist die relativ hohe Wahlbeteiligung von 76,2% (gegenüber 71,5% vor vier Jahren). Am Samstag hatten wir ja noch mit einem Mailing zur Wahlteilnahme aufgerufen. Wir sind gespannt, wie hoch die Wahlbeteiligung unter den Selbstständigen war.

Meine Meinung zur AfD

Der hohe Anteil der AfD (12,6%) ist bitter angesichts der Tatsache, dass sich die Partei nicht klar von Rechtsradikalen distanziert, mit Angst, Provokation und Fake News arbeitet und politische Gegner niederschreit. Eine solche Partei zu wählen, stellt angesichts der deutschen Geschichte einen Tabubruch dar. (Die Leipziger Volkszeitung stellt hier 15 der 94 gestern gewählten AfD-Abgeordeten vor.)

Der hohe Zuwachs zeigt, dass es den anderen Parteien noch immer nicht gelungen ist, auf die Ängste, mit denen die AfD mobilisiert, eine für deren Wähler klare, glaubwürdige und überzeugende Antwort zu geben.

Die Herausforderung besteht für sie darin, die gemäßigten AfD-Wähler zurück zu gewinnen und gegenüber dem Rest der AfD eine klare Trennlinie zu ziehen. Das muss geschehen, ohne unsere offene Gesellschaft in Frage zu stellen, die Voraussetzung für unseren Wohlstand ist (man denke nur an unsere hohe Exportquote, den Fachkräftemangel und unsere demographischen Probleme, die ohne gut integrierte Zuwanderer nicht zu lösen sind).

Über welche Themen wollen wir in Zukunft reden?

In den letzten Monaten und auch am Wahlabend hat mich gestört, wie viel Raum Politiker und Journalisten dem Thema AfD und „Flüchtlingskrise“ gegeben haben. Wäre es nicht besser,  ein Einwanderungsgesetz zu beschließen und so auf konstruktive Weise Gestaltungskraft zu zeigen? Mir kommt das manchmal vor wie in einer Familie, die immer in die selben Kommunikationsmuster zurück fällt.

Man darf die AfD nicht größer machen, als sie ist. 87,4% der Wähler haben andere Parteien gewählt und wollen, dass auch über andere für uns wichtige Themen gesprochen wird. Über die Themen, die die AfD aufwirft, muss sachlich diskutiert werden. Provokationen müssen als solche benannt und verurteilt werden, man darf aber nicht über jedes Hölzchen springen, das die AfD einen hinhält.

Wenn das Wahlergebnis dazu führt, dass die etablierten Parteien den Wählern mehr zuhören und ihre Ängste und Sorgen wirklich ernst nehmen, hätte es sein Gutes. Dann (und nur so) kann es gelingen, die AfD einzudämmen.

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