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Digitalisierung im Steuerwesen "Anpacken first, Bedenken second"

Bei einer Diskussion über die Digitalisierung im Steuerwesen zeigt sich: an der Problemanalyse hapert es nicht – dafür aber an der Umsetzung. Und: Künstliche Intelligenz hilft ohne Ordnung in der Paragraphen-Wüste auch nicht weiter. 

Finanzbehörden bedienen sich bei Abkürzungen gerne bei der Natur: Die Elster steht für Elektronische Steuererklärung. Der Vogel ist aber noch nicht ausgereift.

Mitten in seinem Eröffnungsvortrag rutscht Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), ein gewagter Satz über die Lippen: "Steuerrecht ist sexy". "Freilich", bemüht sich Brossardt als er im Saal in mitleidig lächelnde Gesichter blickt, "nicht in seiner derzeitigen Form". 

Das deutsche Steuerrecht ist kompliziert, fehleranfällig und aufwendig. Sowohl die Verwaltungen als auch Unternehmen und Selbstständige wünschen sich dringend Vereinfachungen. Auf diese Analyse konnten sich alle Teilnehmer der Diskussion "Digitalisierung im Steuerwesen" im Haus der Bayerischen Wirtschaft in der vergangenen Woche einigen. 

Brossardt stellte zu Beginn unter dem Motto "Anpacken first, Bedenken second" seine wichtigsten Forderungen vor. Dazu zählen: Einheitliche Digitalisierungsstandards, ein Digital-Check, vereinfachte Berichtspflichten und ein selbstverständlicher Umgang mit digitalen Identitäten. Wie die anschließende Diskussion aber zeigte, gehen bei der Umsetzung die Meinungen auseinander – und kompliziert ist die Sache sowieso.

"Der Staat darf sich keine Fehler erlauben"

Katja Hessel (FDP), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, erhofft sich durch den Einsatz künstlicher Intelligenz eine enorme Effizienzsteigerung. Massen von Daten könnten dadurch ohne Personalaufwand in Sekundenschnelle verarbeitet werden, sagte sie. Im Hintergrund, das ist zu spüren, tüftelt das Ministerium gerade an vielen neuen Ideen. 

Albert Füracker (CSU), bayerischer Finanzminister, warnte jedoch vor Schnellschüssen. "Mir ist lieber, wenn eine Sache funktioniert, auch wenn sie vielleicht erst ein Jahr später kommt". Bei den Steuern, sagte Füracker, "dürfe sich der Staat keine Fehler erlauben". Zudem lobte er bereits bestehende elektronische Systeme wie Elster (Abkürzung für: Elektronische Steuererklärung). 

Georg Geberth, Vorsitzender des Instituts für Digitalisierung im Steuerwesen, betonte, dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln müsse, was bereits heute digital möglich ist. Die Steuerverwaltung sei – im Vergleich zu anderen deutschen Behörden – verhältnismäßig weit digitalisiert. Über Elster können etwa Steuererklärungen, Anträge und Einsprüche elektronisch übermittelt werden; auch ein digitaler Steuerbescheid ist bereits beschlossen. Geberth wünscht sich, dass bei künftigen Reformen nicht nach Perfektion, sondern nach Anwendbarkeit gestrebt wird: Es dürfe nicht sein, dass DAX-Konzerne dank hochprofessionalisierter Steuerexperten bevorzugt werden und der kleine Handwerksbetrieb aus Zeit- und Kostengründen auf der Strecke bleibe.  

So könnte es besser gehen

Was wäre also das konkrete Ziel? Ein Art Service-Beziehung zwischen Steuerzahler und Verwaltung, angeleitet durch eine nutzerfreundliche App. Auf diese Weise könnte die Steuererklärung sogar anfangen Spaß machen, heißt es von Teilnehmern. Vor allem aber würden auf diese Weise Steuererklärungen transparenter, nachvollziehbarer und übersichtlicher. Letztlich könnten auf diese Weise beide Seiten profitieren – die Verwaltung und die Steuerzahler. 

Bis jetzt ist das Wunschdenken. Das deutsche Steuerrecht ist mit den Jahren immer komplexer geworden, die Zahl der Ausnahmetatbestände ist explodiert, unbestimmte Rechtsbegriffe häufen sich. Durch letztere stehen insbesondere Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer beim Ausfüllen der Steuererklärung häufig mit einem Bein im Gefängnis. Wer mehr Digitalisierung fordert, müsste zunächst einmal Ordnung in diese Paragraphenwüste bringen. Ansonsten werden viele Ärgernisse in Papierform digitalisiert – und es entsteht Raum für noch komplexere Bürokratie. Die Grundsteuer dient hierfür als abschreckendes Beispiel. Den Aussagen von Katja Hessel nach zu urteilen, ist das aber noch ein sehr weiter Weg: Bund und Länder schieben sich oft gegenseitig die Verantwortung zu, der Datenschutz ist ein Hemmschuh und auch die Europäische Union nimmt viel Einfluss auf die Gesetzgebung. 

Mitdenken heißt für viele Teilnehmer der Diskussion ein entscheidendes Stichwort: Politiker und Experten sollten künftig bereits bei der Ausarbeitung von Gesetzen, die praktische Anwendung im Blick behalten – auch im Hinblick auf die Digitalisierbarkeit. Ein Vorschlag, den der VGSD bereits 2021 aufgegriffen hatte, beinhaltete ein Flussdiagramm, das Juristen, Software- und Verwaltungsexperten gemeinsam entwickeln. Es könnte anschaulich zeigen, wie geplante Gesetze funktionieren und wer in welcher Reihenfolge welche Aufgaben zu erfüllen hat. Und das nicht wie bisher nach der Gesetzesverabschiedung, sondern davor. Das würde zu mehr Genauigkeit und einer praxisorientierten Umsetzung zwingen. 

Einfacher Zugang für Solo- und Kleinstunternehmen

Angesichts der vielfältigen Chancen und Risiken der Digitalisierung des Steuerwesens schließt sich der VGSD – seit Jahren Mitglied in der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft - den Warnungen der vbw an. Diese schreibt in einem Positionspapier: "Für viele Kleinstunternehmen ist die Digitalisierung nach wie vor eine kaum angegangene Herausforderung. Teilweise sind sie auch nicht in der Lage, die finanziellen, zeitlichen und fachlichen Ressourcen für eine umfassende Digitalisierung zu stemmen. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass von staatlicher Seite einfache Formate vorgegeben werden und eine Digitalisierung-Plattform für alle Phasen des Besteuerungsprozesses zur Verfügung gestellt wird, die auch diesen Unternehmen einen möglichst einfachen Zugang ermöglicht."

Zum Schluss der Veranstaltung klang Brossardt übrigens nicht mehr ganz so euphorisch wie zu Beginn: "Es ist besser, wenn die Änderungen etwas später kommen und dann funktionieren – als wenn sie früher eingeführt werden und dann nicht funktionieren." Unternehmer bräuchten vor allem Planungssicherheit, sagte er. Warten müssen sie darauf lange genug.  

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