Heimlich, still und leise hat der Bundestag eine Gesetzesänderung beschlossen, die über 55-Jährigen die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) unmöglich machen soll. Betroffenen bleiben nur noch wenige Tage zum Handeln.
Die meisten Bundestags-Abgeordneten dürften am 6.11.25 selbst nicht gewusst haben, was sie da beschließen: Die Bundesregierung hatte einen Tag vor der Abstimmung über ihren Gesetzentwurf zur "Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege" eine Änderung mit weitreichenden Folgen für über 55-jährige Selbstständige in das zu beschließende Gesetz eingefügt.
Die Folgen der überraschenden Gesetzesänderung
Mit der Drucksache 21/2641 ändert sie § 6 (Absätze 3a und b) und § 10 des fünften Sozialgesetzbuches. Die Änderungen sind auf Seite 103 bis 106 nachzulesen. Auf Seite 183 und 184 folgt dann die Begründung des Gesetzgebers.
Nach unserem Kenntnisstand führt die Gesetzesänderung dazu, dass für 55+ die Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung künftig
- weder nach einem Phase der Krankenversicherung im Ausland ("E-100-Formular")
- noch über die Familienversicherung (kostenfreie Mitversicherung beim gesetzlich versicherten Ehe- oder Lebenspartner durch Wechsel in eine geringfügige Tätigkeit mit 555 Euro Einkommensgrenze bei angestellter bzw. 535 bei selbstständiger Tätigkeit) möglich sein wird.
Nicht nur, aber vor allem Selbstständige sind betroffen
Probleme haben mit der überraschenden und weitreichenden Änderung nicht nur Selbstständige, sondern auch Menschen, die sich längere Zeit im Ausland aufgehalten und dort krankenversichert haben, zum Beispiel Diplomat/innen und andere Botschaftsmitiarbeiter/innen. Deshalb haben Mitarbeitende des Auswärtigen Amtes einen offenen Brief an die Gesundheitsministerin geschrieben und gegen die Gesetzesänderung protestiert. Nach einer Rückkehr aus dem Ausland droht ihnen künftig die "Versicherungsfreiheit": Sie können sich dann nur noch privat versichern. Wenn aber eine private Versicherung sie aufgrund von Vorerkrankungen nicht aufnimmt oder sie sich die Beiträge nicht leisten können, stehen sie ohne Krankenversicherung da.
Das ist zumindest unser Verständnis. Wir sind keine Experten für Sozialrecht und können deshalb keine Gewähr für die Richtigkeit aller Aussagen geben. Unabhängig davon wollen wir die brisanten Informationen aber ohne Verzögerung an dich weitergeben. Zu deinen Handlungsmöglichkeiten siehe unten.
Was sich am Gesetzestext ändern
§ 6 (3a) SGB V wird um den fett dargestellten Passus ergänzt:
"(3a) Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, sind versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren. Weitere Voraussetzung ist, dass diese Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig waren. Entfällt für diese Personen die Versicherungsfreiheit, die Befreiung von der Versicherungspflicht oder die hauptberufliche selbstständige Erwerbstätigkeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres, gelten die Versicherungsfreiheit, die Befreiung von der Versicherungspflicht oder die wegen hauptberuflich selbstständiger Erwerbstätigkeit nicht bestehende Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 5 als im Sinne des Satzes 2 fortbestehend. Der Voraussetzung nach Satz 2 auch in Verbindung mit Satz 3 steht die Ehe oder die Lebenspartnerschaft mit einer in den Sätzen 2 und 3 genannten Person gleich. Satz 1 gilt nicht für Personen, die nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 versicherungspflichtig sind."
Bei Rückkehr aus dem Ausland Weg in gesetzliche Krankenversicherung blockiert
Der darauf folgende Absatz (3b) bezieht sich auf ausländische Krankenversicherungen:
"(3b) Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres eine Absicherung im Krankheitsfall begründen, die nach zwischenstaatlichen oder supranationalen Vorschriften einer Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichgestellt ist, sind, auch wenn sie nach Begründung dieser Absicherung im Krankheitsfall nach diesem Buch versicherungspflichtig werden, versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor der Begründung dieser Absicherung im Krankheitsfall nicht gesetzlich versichert waren und mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Absatz 5 nicht versicherungspflichtig waren. Absatz 3a Satz 4 gilt entsprechend."
Auch die Rückkehr über die Familienversicherung wird ausgeschlossen
Am Ende von § 10 (1) SGB V wurden die fett dargestellten Änderungen vorgenommen, die künftig die Rückkehr in die GKV über den Umweg der Familienversicherung ausschließen sollen:
"Die Versicherungsfreiheit nach § 7 bleibt bei der Prüfung der Voraussetzung nach Satz 1 Nummer 3 außer Betracht. Eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit im Sinne des Satzes 1 Nummer 4 ist nicht deshalb anzunehmen, weil eine Versicherung nach § 1 Absatz 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte besteht. Bei Abfindungen, Entschädigungen oder ähnlichen Leistungen (Entlassungsentschädigungen), die wegen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Form nicht monatlich wiederkehrender Leistungen gezahlt werden, wird zur Ermittlung des Gesamteinkommens nach Satz 1 Nummer 5 das zuletzt erzielte monatliche Arbeitsentgelt für die der Auszahlung der Entlassungsentschädigung folgenden Monate bis zu dem Monat berücksichtigt, in dem im Fall der Fortzahlung des Arbeitsentgelts die Höhe der gezahlten Entlassungsentschädigung erreicht worden wäre. Renten werden für das Gesamteinkommen nach Satz 1 Nummer 5 mit dem Zahlbetrag ohne den auf Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten entfallenden Teil berücksichtigt. Für Familienangehörige, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vierten Buches oder § 8a des Vierten Buches in Verbindung mit § 8 Absatz 1 Nummer 1 des Vierten Buches ausüben, ist ein regelmäßiges monatliches Gesamteinkommen im Sinne des Satzes 1 Nummer 5 bis zur Geringfügigkeitsgrenze zulässig. Ehegatten und Lebenspartner sind abweichend von Satz 1 für die Dauer der Schutzfristen nach § 3 des Mutterschutzgesetzes und für die Dauer der Elternzeit nicht versichert, wenn sie zuletzt vor diesen Zeiträumen nicht gesetzlich krankenversichert waren. Ehegatten und Lebenspartner sind abweichend von Satz 1 nicht versichert, wenn sie
1. eine Rente wegen Alters als Teilrente in Anspruch nehmen,
2. die in Satz 1 Nummer 5 genannte Voraussetzung nicht erfüllen würden, wenn sie die Rente stattdessen in voller Höhe in Anspruch nehmen würden und
3. zuletzt vor Inanspruchnahme der Teilrente nicht gesetzlich krankenversichert waren."
Zum Vergleich: Wie verhält es sich bei unter 55-Jährigen?
Nach unserem Kenntnisstand (auch hier ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit) kann oder muss man unterhalb der Altersgrenze von der PKV zurück in die gesetzliche Krankenversicherung, wenn eine der folgenden Situationen eintritt:
- Man nimmt eine hauptberufliche Anstellung an und das Einkommen fällt dadurch unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG, aktuell 71.400 Euro pro Jahr bzw. 5.950 Euro pro Monat) – als hauptberuflicher Selbstständiger ist man unabhängig von der Einkommenshöhe von der Versicherungspflicht befreit.
- Wechsel in den Bezug von Arbeitslosengeld I oder II
- Rückkehr nach Auslandsaufenthalt
- Geringfügige Tätigkeit in Verbindung mit Möglichkeit der Familienversicherung
Für 55+ waren unseres Wissens bisher schon die ersten beiden Möglichkeiten verschlossen, nun also offenbar auch die dritte und vierte Option. Eine weitere Variante, die durch die Gesetzesänderung offenbar ebenfalls vollständig verschlossen wird, ist offenbar das Stellen eines Teilrentenantrags.
VGSD-Experten-Talks zum Wechsel von PKV in GKV
Zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung haben wir mehrere Experten-Talks veranstaltet, zwei mit dem Freiburger Krankenversicherungsprofi Gerd Güssler (zuletzt eine im März 2023) und zwei mit dem Versicherungsberater Jörg Somborn (zuletzt im April 2018). Insgesamt haben wir elf Talks zum Thema PKV und neun zum Thema GKV veranstaltet.
Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen für Betroffene?
Wir haben über die Berliner Kanzlei jura ratio von den Änderungen erfahren. Laut ihr gilt das neue Recht ab 1.1.2026. Wer diesen Monat noch, also bis 30.11.2025 (!) einen Teilrentenantrag stellt oder eine der anderen Wechselmöglichkeiten einleitet, müsse noch nach altem Recht beurteilt werden. Wer auf diese Weise rechtlich korrekt in die GKV zurückgekehrt ist, könne anschließend freiwilliges Mitglied der GKV bleiben.
Jura ratio arbeitet zu diesem Themenkomplex mit dem Prozessfinanzierer proservi.org zusammen, der über die Eilbedürftigkeit informiert ist und Interessierten ein Angebot machen kann. Er ist zu diesem Thema unter der auf der Website angegebenen Telefonnummer sowie unter der speziellen E-Mail-Adresse pkv-service@proservi.org erreichbar. Am besten im Betreff "Eilt" angeben. Alternativ kann man auch direkt auf die Kanzlei zugehen.
In Hinblick auf die extrem kurze verbleibende Zeit, sollten Betroffene am besten noch an diesem Wochenende tätig werden und der Kanzlei in der Folge sehr zeitnah alle von ihr benötigen Unterlagen zukommen lassen.
Weißt du mehr?
Wir hatten nur sehr wenig Zeit zum Zusammenstellen dieser Informationen. Falls du betroffen bist und schon Genaueres herausfinden konntest und Ergänzungen, Korrekturen oder auch alternative Empfehlungen hast, dann teile deine Informationen gerne mithilfe der Kommentarfunktion unten.
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