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Statistisches Bundesamt (Destatis) Statistikreform erhöht Sichtbarkeit der Wertschöpfung kleiner Unternehmen

Nach bisher vorhandenen Daten machen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) 99,4% aller Unternehmen, 56,3% ihres Umsatzes und 42,0% ihrer Wertschöpfung aus. Bald werden wir über ihre Bedeutung und Kostenstruktur bis auf Einzelbranchen hinab sehr viel genauer Bescheid wissen.

Dass die Anliegen von Solo- und Kleinstunternehmern bei politischen Entscheidungen oft übersehen werden, liegt auch daran, dass sie in Statistiken teils nicht oder nicht genau erfasst werden.

Vor diesem Hintergrund ist erfreulich, dass das Statistische Bundesamt seine Statistiken im Bereich Handel und Dienstleistungen reformiert und wichtige Lücken in Bezug auf Branchen schließt, in denen besonders häufig kleine Unternehmen vorkommen:

Für "Erziehung und Unterricht", "Kunst, Unterhaltung und Erholung" sowie "Sonstige (persönliche) Dienstleistungen" (z.B. Friseure) lagen bisher keine genauen Informationen zu Umsatz, Wertschöpfung und Kostenstruktur vor. Insgesamt fehlten bisher rund 485.000 Unternehmen in der Statistik!

Bisher fehlten 485.000 Unternehmen: Dienstleistungs-Statistiken werden zusammengefasst und Lücken geschlossen

Die drei bisherigen und die aus ihnen entstehende neue SHD-Statistik im Vergleich: 458.000 Unternehmen aus bisher nicht berücksichtigten Branchen kommen hinzu.

Durch die getrennte Erfassung in mehreren historisch gewachsenen Statistiken waren auch die Daten der anderen bereits erfassten Dienstleistungsbranchen teils nur schwer zu vergleichen. Dies ändert sich durch die Zusammenführung in der neuen Strukturstatistik im Handels- und Dienstleistungsbereich (SHD), in der neben den erwähnten "neuen Branchen" die SiD (Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich), die GG (Gastgewerbe) und Hdl (Handel) aufgehen.

Die Umstellung findet rückwirkend für das Berichtsjahr 2021 statt. Die Befragungen für dieses Jahr beginnen im Oktober 2022, dann greifen erstmals die neuen Berichtspflichten. Mit den verbesserten Statistiken ist dann zur Jahresmitte 2023 zu rechnen. Die Destatis-Mitarbeiter sprechen von einer "Datenverfügbarkeit von t+18 Monate", so dass die Daten also 18 Monate nach Ende des Zeitraums, über den berichtet wird, vorliegen. Gerne würden sie die Daten auch schon früher veröffentlichen, aber die befragten Unternehmen brauchen schließlich Zeit, um Umsatz, Gewinn usw. zu ermitteln.

243.000 Unternehmen müssen für "SHD" jährlich Online-Fragebogen ausfüllen

Strichprobenmethodik bisheriger und künftiger Befragung im Vergleich: Statt bisher durchschnittlich 12% werden künftig 10% der Grundgesamtheit befragt.

Wer der Berichtspflicht unterliegt, muss diese Werte ohnehin schon schneller ermitteln, als eigentlich von Seiten des Finanzamts nötig. Und das sind nicht wenige: Allein schon die neue Statistik SHD umfasst 2,43 Millionen Unternehmen. Von diesen soll künftig jedes zehnte befragt werden, was 243.000 auskunftspflichtigen Selbstständigen entspricht. Bei einer Reform ist also immer auch der dadurch für die Betroffenen bestehende Aufwand zu berücksichtigen, dazu später mehr.

Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass statt bisher im Schnitt zwölf Prozent der Grundgesamtheit (234.000 Unternehmen) künftig nur noch zehn Prozent befragt werden. Dadurch nimmt die absolute Zahl der Befragten trotz der deutlich größeren Grundgesamtheit nur um knapp 10.000 Unternehmen zu.

EU-Verordnung und damit verbundene "Lieferpflichten" sind Auslöser der Reform

Auslöser für die Reform ist die "EBS-Verordnung" der EU (Nr. 2019/2152), die mit der Durchführungsverordnung 2020/1197 umgesetzt wurde und zu entsprechenden Änderungen im Handels- und Dienstleistungsgesetz geführt hat. Die Europäische Kommission möchte damit erreichen, dass bis auf EU-Ebene besser vergleichbare Zahlen vorliegen, und regelt deshalb, welche "Lieferpflichten" für die statistischen Ämter der Mitgliedsstaaten gelten. Tatsächlich hat sich das statistische Bundesamt nach eigenen Angaben bei der Umsetzung auf das von Seiten der EU Nötige beschränkt. Zudem "holt" es sich Daten, die bereits anderweitig rechtzeitig erhoben werden, von dort, und erhebt sie nicht neu.

Neuerdings verzichtet die EU und damit auch die deutsche Behörde z.B. auf die Erhebung des Geschlechts des oder der Unternehmensinhaber/in und fragt Handelsunternehmen auch nicht länger nach der Größe der Verkaufsfläche – in Zeiten des Onlinehandels würde dies wohl oft zu irreführenden Ergebnissen führen.

Befragt werden nur "marktorientierte" Unternehmen

Befragt werden alle rechtlichen Einheiten (auch Soloselbstständige, GbRs usw.) mit "Marktorientierung" – im Gegensatz zu (halb)staatlichen Anbietern. Marktorientierung bedeutet, dass mindestens 50 Prozent der Kosten durch Verkäufe gedeckt werden. Hierzu zählen auch Preise, die staatlicherseits festgelegt wurden, z.B. bei Pflegeleistungen. Es genügt, wenn dieses Kriterium überwiegend erfüllt ist. Auch bei zwischenzeitlichen Verlustjahren liegt weiterhin einen Marktorientierung vor.

Gibt es eine "Grenze nach unten", so dass z.B. nebenberuflich Selbstständige nicht berücksichtigt werden? Tatsächlich ist dies der Fall, was ganz pragmatische Gründe hat, nämlich die Frage, woher das Bundesamt die Adressen der Unternehmen hat, die es befragt, bzw. wissenschaftlich formuliert: aus welcher Grundgesamtheit es seine Stichprobe zieht.

Ausgenommen bleiben Unternehmen ohne Mitarbeiter, die nicht umsatzsteuerpflichtig sind

Destatis erstellt hierfür ein statistisches Unternehmensregister, aus dem auch vorhandene Aussagen über die Anzahl und Größe der Unternehmen in den verschiedenen Branchen stammen. Die Daten dafür kommen einerseits von den Arbeitsämtern, die im Rahmen der Vergabe von Betriebsnummern alle Unternehmen mit Mitarbeitern erfassen.

Zweite Quelle sind die Finanzämter, genauer gesagt die umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen. Deshalb fehlen in Grundgesamtheit und Stichprobe des Bundesamts (auch weiterhin) Unternehmen mit unter 22.000 Euro Umsatz, die eine Umsatzsteuerbefreiung ("Kleinunternehmerregelung") gewählt haben und keine Mitarbeiter beschäftigen.

Zufällig ausgewählte Auskunftspflichtige müssen drei bis fünf Jahre lang Onlinefragebogen beantworten

Wer zur den 243.000 Unternehmen der SHD gehört, muss den Fragebogen nicht nur einmal, sondern mehrere (meist 3-5) Jahre hintereinander ausfüllen, um eine Vergleichbarkeit im Zeitablauf sicherzustellen. Das ist methodisch notwendig. Er oder sie wird von seinem Statistischen Landesamt angeschrieben, über die Auskunftspflicht aufgeklärt und erhält Benutzerkennung und Passwort für das Erhebungsportal der Statistischen Ämter. Intern läuft es unter der Bezeichnung IDEV ("Internet-Datenerhebung im Verbund"). Allein im März 2022 fanden rund 600.000 Meldungen über dieses Portal statt.

Gleich die erste Frage nach der Branche bzw. dem "wirtschaftlichen Schwerpunkt" ist für die richtige Einordnung der Meldung von besonderer Bedeutung. Bei wiederholtem Ausfüllen ist hier eine Branche bereits vorgeschlagen und muss nur bei größeren Änderungen korrigiert werden. Beim erstmaligen Ausfüllen und späteren Änderungen meldet sich das Landesamt ggf. direkt mit Nachfragen, um eine korrekte Einordnung sicherzustellen. Denn jeder Teilnehmer steht ja letztlich für ein Zehnfaches seines Umsatzes, eine falsche Einordnung kann deshalb zu falschen Schlussfolgerungen führen. Auch das ifo Institut prüft deshalb z.B. die Brancheneinordnung neuer Panel-Teilnehmer sehr sorgfältig.

Gefragt wird auch nach der Anzahl der Mitarbeiter, hier ist die Kopfzahl, nicht das Vollzeitäquivalent von Bedeutung. Das ist gut zu wissen, wenn man Auswertungen des statistischen Bundesamts anschaut.

Vereinfachter Fragebogen für kleinere Unternehmen

Künftig profitieren alle kleinen Unternehmen von der Entlastung durch den verkürzten Fragebogen, die entsprechende Umsatzschwelle wurde von 250.000 auf 300.000 Euro erhöht

Für Unternehmen mit einem Umsatz von (ab Reformbeginn) unter 300.000 Euro gibt es einen verkürzten Fragenbogen, der Online-Erhebungsbogen überspringt deshalb viele Fragen. Künftig nutzt Destatis maschinelles Lernen, also künstliche Intelligenz, um trotzdem auch für kleine Unternehmen zuverlässige Daten bestimmte zu können.

Neben IDEV gibt es auch "eStatistik.core" als Erhebungsvariante. Bereits in der Unternehmens-Software vorhandene Daten können dann elektronisch über eine XML-Datei übermittelt werden. Voraussetzung ist die Verwendung einer Software mit entsprechender Schnittstelle, eine Liste befindet sich auf der Destatis-Website. Für Solo- und Kleinstunternehmer dürfte das aber in der Praxis keine Rolle spielen.

Finanz- und medizinische Dienstleistungen werden weiterhin statistisch getrennt erfasst

Die Finanzdienstleistungsstatistik (FID) bleibt eigenständig, wobei der Kreis der betrachteten Unternehmen fast auf den kompletten Wirtschaftsabschnitt K ausgeweitet wird, von 2.500 auf 29.000 Einheiten. Da hierfür bereits von BaFin und Bundesbank erhobene Daten genutzt werden, entstehen dadurch aber keine zusätzlichen Meldepflichten.

Eigenständig bleibt auch die Kostenstrukturerhebung im medizinischen Bereich (KME). Hier geht es um 148.000 Unternehmen aus zwölf medizinischen Fachgebieten. Von ihnen sollen statt bisher 7.400 nun 10.400 befragt werden und zwar jährlich statt bisher nur alle vier Jahre. Dadurch wird eine zusätzliche Befragung für die EU verhindert, die künftig mehr über diese Branche wissen möchte. Da es sich hier großteils um umsatzsteuerfreie Unternehmen handelt und kleine Einheiten ohne Mitarbeiter bisher "übersehen" wurden, werden für das Ziehen der Stichprobe künftig die Daten der Bundesarzt- bzw. Bundeszahnarztverzeichnisses genutzt.

Daten und Analysen auf Destatis-Seite kostenlos über Genesis-Datenbank abrufbar

Die künftig erhobenen (und auch die schon jetzt bekannten) Daten können über die kostenlos zugängliche Genesis-Datenbank (prominent verlinkt von der Destatis-Startseite) ausgewertet werden.

Wir freuen uns, dass die Dienstleistungsbranchen, in denen überproportional häufig kleine Unternehmen tätig sind, nun auch vom Statistischen Bundesamt vollständig erfasst werden und die Daten künftig besser vergleichbar sind.

Begonnen hat der Prozess vor mehr als 100 Jahren mit der statistischen Erfassung von Industrieunternehmen. Später kamen Handel- und Gastronomie sowie im Jahr 2000 weitere Dienstleistungsbereiche hinzu. Nun werden 485.000 weitere, bisher übersehene Unternehmen – und damit ihr wachsender Beitrag zur Wertschöpfung unseres Landes – sichtbar.

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