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VGSD zu Gast bei Europäischem Wirtschaftssenat Europa gehen die Gründer aus – am Beispiel Deutschlands erklärt

Heute Nachmittag war VGSD-Vorstand Andreas Lutz zu Gast auf einem Online-Podium zum Thema „Europa gehen die Unternehmer aus! Herausforderungen und Antworten am Beispiel Deutschlands mit europäischer Perspektive“, veranstaltet vom Europäischen Wirtschaftssenat (EWS) in Kooperation mit dem europäischen Netzwerk SME Connect (SMEC). Warum also gehen die Gründungszahlen so dramatisch zurück?

Immer mehr Bürokraten, immer weniger Gründer/innen

Anlass für die Veranstaltung waren unter anderem die alarmierenden Zahlen der KfW zum Gründungsgeschehen in Deutschland. Sie haben in den letzten 20 Jahren um zwei Drittel (!) abgenommen. Aber auch auf europäischer Ebene lässt die Gründungsneigung nach. 2022 dachten 46 Prozent der jungen Menschen im Alter von 15 bis 30 Jahren darüber nach, sich selbstständig zu machen. 2018 waren es noch 61 und 2014 sogar 66 Prozent.

Online-Podium mit zwei VGSD-Vertretern bzw. -Mitgliedern

Moderiert von EWS-Präsident Ingo Friedrich (er war früher Vizepräsident des Europäischen Parlaments) und dem Präsidenten des Europäischen Steuerzahlerbundes (TAE), Rolf von Hohenau, diskutierte Andreas mit dem Technologieunternehmer Christoph Klenner, dem Herbalife-Geschäftsführer (DACH) Mark von der Meden sowie Moritz Diehl, dem Landesvorsitzenden der bayerischen Wirtschaftsjunioren. Als einzige Frau und Soloselbstständige war Moderatorin und VGSD-Mitglied Angela Elis dabei. Sie war es auch, die sehr anschauliche Praxisbeispiele beisteuerte. Die Zuhörer: Unternehmer/innen aus ganz Europa, aber auch Abgeordnete des Europaparlaments.

Wie also kommt es in Deutschland zu dem beobachteten Rückgang an Gründungen und wie lässt sich diese Entwicklung umkehren? Das wollten die Veranstalter wissen. Andreas wies auf den Rückgang nicht nur bei den Gründungen, sondern auch bei den Bestandselbstständigen hin. Und auf den aufgrund des mangelnden Gründungsnachwuchses dramatisch steigenden Altersdurchschnitt der Selbstständigen sowie auf die im Vergleich zur Gesamtwirtschaft systematisch schlechtere Geschäftslage der Solo- und Kleinstunternehmer/innen, die der Jimdo-ifo-Index zeigt.

Bei uns sind nicht Steuern oder Fachkräftemangel das größte Problem

Anders als bei auf schnelles Wachstum angelegten Start-ups, sind - so Andreas - die Gründe aber nicht mangelnde Versorgung mit Risikokapital, Kredit oder Exit-Möglichkeiten. Und anders als bei größeren Unternehmen stehen nicht Energiepreise, Bürokratie und Steuern im Vordergrund. Fachkräftemangel und Lohnkosten belasten die Soloselbstständigen mangels Mitarbeitern ebenfalls nicht.

Vielmehr steht die unfaire Berechnung von Sozialabgaben und die Rechtsunsicherheit in Bezug auf den eigenen Status im Vordergrund. Sie sind es, die Solo- und Kleinstunternehmer/innen den Spaß an der Arbeit verderben. Dies und die negativen Narrative unserer Regierung über Selbstständige sprechen sich auch unter Gründungswilligen herum. Die Gleichsetzung von Solo- mit Scheinselbstständigkeit und prekärer Beschäftigung hinterlässt ihre Spuren in den Gründungsstatistiken ebenso wie die Berichte über fehlende und ungeeignete Hilfen in der Coronakrise.

Sofortprogramm für mehr Gründungen

Andreas schlug konkrete Maßnahmen vor, um eine Wende zum Besseren einzuleiten: Mitarbeiter in Parteien und Ministerien auswählen, die speziell für Soloselbstständige zuständig sind und so für diese Thema ausreichend Kapazität haben. Unter Beteiligung der Betroffenen eine Strategie entwickeln. Eine faire Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge beschließen und zugleich Rechtssicherheit durch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbaren Scheinselbstständigkeits-Kriterien schaffen. Eine faire Bezahlung von Selbstständigen auch durch öffentliche Auftraggeber sicherstellen, denn das ist entscheidend für eine gute Altersvorsorge. Besonders wichtig: Das Narrativ ändern, also wie die Regierung über Selbstständige spricht. Mit diesen Sofortmaßnahmen wäre viel gewonnen.

Andreas' Statement stieß auf großes Interesse bei den Anwesenden und führte zu Nachfragen: Macht z.B. ein bürokratiearmes Jahr für Gründer Sinn? (Antwort: Lieber die Bürokratie für alle vereinfachen!) Welche Rolle spielt die EU in Hinblick auf Gründungen? (Das war die Gelegenheit auf die wackligen Zahlen einzugehen, auf der die EU-Richtlinie zur Plattformarbeit beruht.) usw.

Im Erfolgsfall Neid, im Misserfolgsfall Häme

Christoph Klenner beklagte in seinem Statement, dass in Deutschland die viele Arbeit, die hinter unternehmerischem Erfolg steht, nicht gesehen wird: Im Erfolgsfall ginge man neidisch, im Misserfolgsfall schadenfroh mit Selbstständigen um. Bewunderung für unternehmerischen Mut? – Eine Seltenheit. Zudem fehle es an elementarem Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge – in der Schule angefangen bis zur Politik.

Mark von der Meden forderte Respekt auch vor nebenberuflichen Gründer/innen. Nicht selten würden sie hochmotiviert starten und dann aufgrund der unendlich vielen bürokratischen Hürden aufgeben. Gerade auch, wenn sie die deutsche Sprache nicht perfekt sprechen, stelle die Bürokratie ein manchmal unüberwindbares Hindernis dar.

Ein halbes Jahr für eine Steuernummer

Ein Teilnehmer gab aus eigener Erfahrung ein Beispiel: Drei GmbH hätte er zu Jahresanfang in Deutschland gegründet, jetzt vor kurzem erst hätte er auch für die dritte endlich die Steuernummer erhalten. Was für die Behörde als Petitesse erschien hat enorme Folgen für das Unternehmen gehabt: Rechnungen mussten über andere Unternehmen gestellt werden, Mitarbeiter auf anderem Weg bezahlt werden, alles wegen einer fehlenden Nummer.

Die Digitalisierung der Verwaltung sei dringend nötig. Statt Selbstständige immer neue Plfichten aufzulegen, solle die Verwaltung sich zunächst darauf konzentrieren, ihre Kernaufgaben ordentlich zu machen.

Ein anderer Teilnehmer, der in der Vergangenheit erfolgreich eine Aktiengesellschaft an die Börse (!) gebracht hat, berichtete, dass er alle seine Unternehmen in Deutschland aufgelöst, die Mitarbeiter/innen entlassen hätte, um die Firmen in ein anderes europäisches Land zu verlagern. Seinen Investoren wäre es angesichts einer unberechenbaren Wirtschaftspolitik zu unsicher, einen Teil ihres Kapitals in Deutschland zu investieren, sie hätten ihn zu diesem Schritt aufgefordert. Explizit nennt er auch Prüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung als Grund für den Gang ins Ausland.

Kleine Unternehmen als "Sauerteig der Gesamtwirtschaft"

EWS-Präsident Friedrich fasst die Diskussion nach einer Stunde zusammen: Die Beiträge hätten ihn teilweise erschüttert. "Die Kleineren haben es am Schwersten." Wir brauchten aber genau diese kleinen Unternehmen als "Sauerteig der Gesamtwirtschaft". Sonst wäre unser hoher Lebensstandard in Deutschland nicht zu halten. Es werde zu viel über Selbstständige statt mit ihnen zu reden. Das galt aber nicht für diesen Nachmittag...

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