Andrea Luxenhofer hat sich 2006 selbstständig gemacht. Sie hat verschiedene, jedoch ineinander übergreifende Berufe: u.a. Diplom Ökotrophologin, Erwachsenenpädagogin, Coach, Fremdsprachenkorrespondentin. Ihre Auffassung von Leben und Beruf ist, dass alles miteinander verbunden ist und sich gegenseitig bedingt. Diese Auffassung jedoch spiegelt sich nicht in der Arbeitswelt wieder, sodass sie beschlossen hat, sich nach Jahren des Angestelltendaseins selbstständig zu machen.
In ihrer Selbstständigkeit hat Andrea einiges erlebt und viele Hürden, oftmals von Auftraggeberseite, überwunden. Warum sie trotzdem gerne selbstständig ist, erfahrt ihr im Beitrag.
Komplexe Qualifikation machte eine passende Anstellung unmöglich
Ich heiße Andrea Luxenhofer. Ich habe verschiedene Berufsausbildungen, die sich an meinen jeweiligen beruflichen Bedürfnissen orientiert haben und sich ergänzen: Diplom Ökotrophologin (Dipl.oec.troph.univ.), Erwachsenenpädagogin, Coach, IHK-Fachkraft für Rechnungswesen und Abschluss sowie Fremdsprachenkorrespondentin für Wirtschaft in Englisch und Französisch. Das ist zwar noch nicht alles, aber hierfür muss es reichen. Alle Ausbildungen nutze ich beruflich.
Meine Selbstständigkeit habe ich 2006 begonnen. Auslöser war, dass der Geschäftsführer eines amerikanischen börsennotierten IT-Unternehmens, in dem ich als Executive Assistant und volles Mitglied der Unternehmensführung angestellt war, das Unternehmen verlassen und sich der neue Geschäftsführer - wie es oft so spielt - aller Altlasten entledigt hat. Aufgrund meiner Überqualifizierung, die neben meiner Berufsausbildung auch aus den verantwortlichen Positionen meines Berufslebens resultieren, gab es keine geeignete Anstellung mehr für mich. Personalberater bissen sich an meiner Qualifikation die Zähne aus und das lokale Arbeitsamt leistete derart schlechte Arbeit, dass ihnen im Anschluss an u.a. meine Beschwerde verboten worden ist, weiterhin Akademiker zu betreuen.
Arbeitsamt verschwieg den Existenzgründungszuschuss
Dieses Arbeitsamt enthielt den Arbeitslosen jegliche Information über die Möglichkeit, einen Existenzgründungszuschuss zu beantragen, vor. Das reklamierte ich, indem ich mich auf das Arbeitsamt München berief, von dem ich aus den Jahren zuvor diese Information hatte, sodass ich nach herausfordernden Auseinandersetzungen den Existenzgründungszuschuss mit allen Vorgaben, die dafür notwendig waren, beantragen konnte. Zum damaligen Zeitpunkt war man noch fünf Jahre vor der „Verfolgung durch die DRV“ geschützt. Anscheinend sind es jetzt nur noch drei Jahre.
Mir ist abwechslungsreiche Arbeit wichtig
Die Selbstständigkeit war eine gute Option für mich, da ich wegen meiner umfassenden und bereichsübergreifenden Berufserfahrung alle meine Kompetenzen anbieten kann, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen. Als Angestellte ist das nicht möglich, da die Stellenprofile zumeist sehr eindimensional gestrickt sind. Auch ziehe ich eine Arbeitszeit vor, die sich nach dem tatsächlichen Arbeitsanfall richtet. Arbeitsstellen, in denen es nur darum geht, Stunden abzusitzen, sind ein Graus für mich. Wie ich feststellen musste, werden solche Stellen wohl sehr gerne Frauen angeboten.
Es war für mich sehr wichtig, dass ich die Möglichkeit habe, meine Zeit selbst einzuteilen, auch wenn es bedeutet, dass ich auch mal am Wochenende oder feiertags arbeite, dafür aber an anderen Tagen freinehmen kann. Da ich mein Studium (mit-)finanzieren musste, habe ich auch damals genauso gearbeitet: Immer nur, wenn Arbeit vorhanden war. So konnte ich das tun, was für meine Ausbildung wichtig war und gleichzeitig meinen Lebensunterhalt verdienen.
Auch gibt es Tageszeiten, die für mich für bestimmte Tätigkeiten besser geeignet sind. Die kann ich so nur als Selbstständige optimal nutzen. Zudem ziehe ich es vor, immer wieder Neues zu erlernen und neue Erfahrungen zu machen oder neue Branchen und Unternehmen kennenzulernen. Mit meiner Tätigkeit als Unternehmensberaterin und Buchhalterin komme ich sozusagen ans Eingemachte.
Konfrontation mit vielen unterschiedlichen Herausforderungen
Ich hatte in der Selbstständigkeit durchaus mit Herausforderungen zu kämpfen. Ein paar davon kamen von Auftraggeberseite her auf mich zu: Zum Beispiel, wenn Auftraggeber mich heimlich einem Statusfeststellungsverfahren ausliefern wollten, um mich in eine Festanstellung bei sich zu zwingen, oder wenn sie nicht gewillt waren, meine Entscheidungsfreiheit als Selbstständige zu respektieren, sondern mich etwa zu bestimmten Anwesenheiten verpflichten wollten. Daher bin ich zu der Auffassung gelangt, dass das Problem der Scheinselbstständigkeit in erster Linie von Auftraggebern generiert wird und weniger von den Solo-Selbstständigen selbst.
Außerdem kam es vor, dass Auftraggeber illegale Dinge von mir verlangt haben (das zu beachten ist in meiner Branche wesentlich), die ich abgelehnt habe und sie mir deshalb in der Folge mit Zwangsmaßnahmen gedroht haben, wenn ich die Ausführung dieser Aufgaben weiterhin verweigert habe. Gerade diese Auftraggeber gingen sogar so weit, dass sie, nachdem ich meinen Auftrag bei Ihnen niedergelegt hatte, meine Schlussrechnung nicht zahlen wollten, und ich klagen musste. Oder es gab solche, die die vereinbarte Kündigungsfrist in der Form ausgeschlachtet haben, dass ich während der Frist grundsätzlich verfügbar sein sollte, sie selbst mir jedoch keine Arbeit mehr überlassen haben, um sich vor der Bezahlung zu drücken.
Einmal hat mir ein übereifriger Finanzbeamter anlässlich einer Lohnsteuerprüfung bei einem meiner Kunden lautstark vorgeworfen, ich wäre scheinselbstständig. Das konnten alle hören. Er hat auf diese Weise meinen Auftrag gefährdet, ohne dass er seinen Vorwurf begründen hätte können, und der, wie sich herausgestellt hat, auch völlig haltlos war.
Trotzdem selbstständig: Ich muss nicht in schlechten Verhältnissen ausharren
Trotz alledem bin ich selbstständig geblieben, weil ich als Selbstständige die Freiheit habe, mich von Auftraggebern, die mir schaden, oder mit denen ich mich unwohl fühle, schnell zu distanzieren und nicht, wie Angestellte, in solchen Verhältnissen ausharren muss. Außerdem bleibe ich dabei, weil ich mich weiterbilden kann, worin und wann ich möchte, und viele unterschiedliche Erfahrungen sammeln kann, was mein Profil einzigartig macht. Ein weiterer Pluspunkt ist, wenn ich engagiert werde, dann aufgrund meiner Leistung und nicht wegen meiner Persönlichkeit. Ich genieße es, dass ich effizienter arbeiten kann als in einem Angestelltenverhältnis und mich nicht dafür rechtfertigen muss, wenn ein Projekt einmal kürzer oder länger dauert.
Vor meiner jetzigen Selbstständigkeit war ich bereits zwischen 1994 und 1996 für zwei Jahre u.a. als Ernährungs‐ und Gesundheitsberaterin und Dozentin selbstständig. Auch damals war ich schon gut im Rennen, insbesondere bei den Krankenkassen. Doch durch die überstürzte, unüberlegte und eher als Strafmaßnahme gedachte Gesundheitsreform durch Herrn Seehofer nach einer Monitor Sendung im ARD, die über die recht unrühmliche Mitgliedergewinnung der AOK auf Kosten der Versichertenbeiträge berichtete, fielen jegliche Präventionsmaßnahmen mit sofortiger Wirkung weg, so dass bereits bestehende Aufträge storniert wurden.
Kontinuierlich Einnahmen durch die Selbstständigkeit
Der größte Erfolg meiner jetzigen Selbstständigkeit war, dass ich kontinuierlich Einnahmen habe und nicht, wie in den drei Jahren vor meiner Selbstständigkeit von einer unglücklichen Anstellung in die nächste stolperte (Einmal musste ein börsennotiertes deutsches Software Unternehmen, das witzigerweise dreimal als „Bayerns Best 50“ ausgezeichnet worden war, wegen Bilanzbetrug schließen. Ein anderes Mal waren alle drei Mitglieder der Geschäftsführung, für die ich arbeiten sollte, relativ zeitgleich nicht mehr in der Firma tätig etc. etc.).
Für diesen Erfolg war entscheidend, dass ich flexibel und kreativ agieren konnte. Die Selbstständigkeit gibt mir sehr viele Möglichkeiten zu arbeiten und zu lernen. Auch kann ich viel leichter meine Ausrichtung ändern und anpassen. – Das würde mir als Angestellte fehlen und wäre so auch unmöglich.
Der Staat sollte uns unterstützen statt uns zu drangsalieren
Ohne mich würde meinen Kunden eine Fachkraft fehlen, die sie bei Unternehmensentscheidungen – egal ob finanzielle oder personelle Belange – kundig unterstützt und auf Probleme rechtzeitig und vorausschauend aufmerksam macht und das mit sehr viel Berufserfahrung. Außerdem kann ich mit einem Unternehmen flexibel mitwachsen und mich gut anpassen.
Wirtschaft und Gesellschaft wären ärmer, weil sie weniger Steuern einnehmen würden und Einbußen an Kreativität, Innovationen und Wachstum hinnehmen müssten. Die Selbstständigen werden nicht immer fair behandelt, besonders ärgere ich mich darüber, dass Scheinselbstständigkeit überhaupt ein Thema ist: Vielmehr sollte der Staat dafür sorgen, dass keine Hungerlöhne oder Hungerhonorare bezahlt werden dürfen anstatt diejenigen, die sowieso das schwächste Glied sind, noch mehr zu drangsalieren und in nicht vorhandene Anstellungsverhältnisse zu zwingen – d.h. ins Abseits zu bugsieren. Denn Fakt ist: Es gibt nicht genügend Arbeitsplätze, so dass der Arbeitsmarkt Solo-Selbstständige, die mehr oder weniger willkürlich als Scheinselbstständige klassifiziert werden, gar nicht auffangen könnte!
Selbstständige in vielerlei Hinsicht benachteiligt
Ärgerlich finde ich zudem, dass Arbeitslose von den Arbeitsämtern oft auch wegen Inkompetenz nicht vermittelt werden können und dann zur Zahlenbeschönigung in die Selbstständigkeit getrieben werden über ICH AGs und Existenzgründungszuschüsse, die man ihnen, wenn sie erfolgreich sind, einfach mal wieder zerstört. Diese Leute sollten grundsätzlich bis auf weiteres von dem Vorwurf einer Scheinselbstständigkeit oder arbeitnehmerähnlichen Selbstständigkeit befreit sein. Ich finde es nachteilig, dass man davon ausgeht, dass genügend Arbeitsplätze vorhanden sind, in die man Selbstständige hineinzwingen will, denn es gibt nicht genügend Arbeitsplätze für alle. Außerdem finde ich es unmöglich, dass man der Willkür von unseriösen Auftraggebern, die heimliche Statusfeststellungsverfahren zu ihren Bedingungen anstoßen dürfen, mit Genehmigung des Staates ausgeliefert ist.
Deutlich kritisiere ich, dass die Bedingungen, wie man mit seiner freiwilligen Arbeitslosenversicherung verfahren muss, wenn man sie bei befristetem Angestelltenverhältnis behalten will, derart unklar sind, so dass viele Gefahr laufen, durch Fehlverhalten ihre Ansprüche zu verlieren, die sie mitunter über Jahre erworben haben.
Wenn ich mich nicht selbstständig gemacht hätte, wäre ich heute trotz meiner sehr guten Ausbildung, Qualifikation und umfassenden Berufserfahrung in verantwortungsvollen Positionen Hartz IV-Empfängerin. Damit bin ich wohl auch kein Einzelfall.
Anmerkung:
Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.
Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.
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