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Warum bist du selbstständig? - Christian Nikolai, Automotive Consultant "Kreativität hat in engen Strukturen keinen Platz"

Christian Nikolai hat sich nach Jahren in der Festanstellung selbstständig gemacht.

Christian Nikolai bezeichnet sich selbst als "Petrolheld". Seine ganze Karriere hindurch hat er im Automobilbereich gearbeitet. Nach Stationen bei der Daimler AG, Schwesterkonzernen und einem Mercedes-Händler erhielt Christian überraschend eine Kündigung. Als er diesen Schock verdaut hatte, wurde ihm klar, dass ihn die Aufgaben, bei denen Kreativität und alternative Lösungswege gefragt waren, am meisten gefesselt haben. Er überdachte sein Wissen und seine Kompetenzen und kam zu dem Schluss, sich selbstständig zu machen.

Wie es Christian in seiner heutigen Selbstständigkeit als Automotive Consultant geht, welche Themen ihm am Herzen liegen und wie er zur Corona-Krise steht, könnt ihr im Beitrag nachlesen.

Pragmatismus und Kreativität waren stets gefragt

Ich bin ein Petrolhead und habe meine gesamte Karriere vom und vor allem für das Auto gelebt. Nachdem ich in der Zentrale der Daimler AG zehn Jahre im Exportgeschäft sowohl für Mercedes-Benz als auch eine Zeit für die damaligen Schwestermarken Chrysler/Jeep/Dodge gearbeitet habe, konnte ich Erfahrungen auf der Habenseite verbuchen, für die ich in einem kleineren Unternehmen wahrscheinlich deutlich länger benötigt hätte, sofern ich sie überhaupt hätte machen können. Besonders das pragmatische Arbeiten mit Partnern in Schwellen- und Entwicklungsländern hat mich enorm weitergebracht und mir auch den meisten Spaß bereitet. Kreativität, Pragmatismus und Improvisationsfähigkeit war damals stets gefragt, denn zum Beispiel bei Messen in Osteuropa stand ich teilweise selbst auf der Leiter und habe den Stern auf das Dach des Messestandes geschraubt.

Auch die Zeit für die US-Schwestermarken war geprägt von Pragmatismus, da wir uns als Nischenhersteller immer gegen die Großen der Branche behaupten mussten und viele Tools, wie sie beim Giganten Mercedes-Benz genutzt wurden, erst gar nicht zur Verfügung standen. Für System-Schulungen wurden also Guidelines und Handbücher selbst geschrieben usw. Die Gelegenheit, in einem rein amerikanisch geprägten Bereich zu arbeiten, war zudem eine kulturelle Bereicherung, die ich heute niemals missen wollen würde.

Leidenschaft zum Beruf machen: Der Bereich "klassische Fahrzeuge"

Nach meiner Zeit im Konzern hatte ich die Chance, bei der Ostendorf GmbH, einem Mercedes-Benz-Händler in Westfalen, meine eigentliche Leidenschaft zum Beruf zu machen und die Verantwortung für den Bereich „Klassische Fahrzeuge“ zu übernehmen. Hier musste eine komplette Struktur in Handel, Service und Kommunikation aufgebaut werden – und in der Folge sogar nach Daimler-Standards als ClassicPartner Betrieb auditiert werden. Egal, ob die Entwicklung eines eigenen Logos, die Definition eines Qualitätsanspruchs, die Auswahl und Schulung der Mitarbeiter oder die Beschaffung von seltenen Ersatzteilen – alles war „hausgemacht“ und es gab keine vorhandenen Quellen, auf die wir hätten zurückgreifen können.

In der Folge wurde ich zweimal von anderen Mercedes-Händlern abgeworben, da sich herumgesprochen hatte, dass das Geschäft mit klassischen Fahrzeugen hoch lukrativ und imagefördernd ist und ich über die nötige Fachexpertise verfüge. Dafür braucht man nicht nur Kollegen und Vorgesetzte, die wollen, sondern auch können. Das soll heißen: Ohne Vorlauf, ohne Aufbau von Strukturen, ohne Entscheidungsspielraum und das Vertrauen von Vorgesetzten, das Richtige zu tun, weil man die entsprechende Erfahrung im Markt hat, wird es schwierig.

Das Eckige passt nicht in das Runde

Trotz respektablen Umsatzes wurde im letzten Jahr das Classic Geschäft bei meinem letzten Arbeitgeber eingestellt und mir die Kündigung ausgesprochen. Eines war mir dabei sofort klar: So wie bisher konnte es nicht weitergehen! Da ich noch nie gekündigt wurde, musste dies zudem erstmal verdaut werden. Das nächste, was mir klar wurde, war, dass „das Eckige nicht in das Runde passt“. Mir fiel nämlich auf, dass alles, was mich in den letzten Jahren motiviert und erfüllt hatte, ausschließlich die Aufgaben waren, bei denen meine Kreativität, die Abkehr vom Standardprozess und vor allem der Aufbau von Strukturen und Prozessen war. Ich würde mich nie wieder auf einen Job einlassen, bei dem der Firmeninhaber meine Aufgabe falsch einschätzt. All dies dauerte drei Tage. Ein Plan fing an zu gedeihen…

Ich ging also tiefer in mich und beleuchtete meine Situation: Ich verfüge über detailliertes, technisches und fahrzeughistorisches Wissen, wie wenige Menschen meines Alters. In über 20 Jahren in der Branche konnte ich ein lebendiges und internationales Netzwerk von Spezialisten, Händlern, Verbänden und Lieferanten aufbauen.

Eskimos Kühlschränke zu verkaufen - das liegt mir nicht! Außerdem kann ich mehr als nur an- und verkaufen und empfinde enge Strukturen als störend und einengend, denn Kreativität hat in engen Strukturen keinen Platz. Die Zeiten ändern sich – und somit der Markt: Was erwartet mich in fünf Jahren, wenn ich weitermache, wie bisher? Ich habe ständig neue Ideen, die aber leider bisher nie umgesetzt werden konnten, da sie für meine Arbeitgeber „zu groß“ oder schlichtweg uninteressant waren. Und letztlich arbeite ich gerne im Team - treffe wichtige Entscheidungen aber am liebsten alleine.

Die Konsequenz: Ich mache mich selbstständig

Die Konsequenz war also recht einfach zu identifizieren: Ich mache mich selbstständig! Wie und womit, war mir zunächst noch nicht zu 100 Prozent klar – die Richtung stimmte aber schonmal. Nach verschiedenen Konzepten, die ich ent- und wieder verwarf – bei gleichzeitig hereinkommenden Anfragen und Angeboten - bin ich seit Juli 2020 selbständiger Automotive Consultant. Mein Schwerpunkt liegt auf der Beratung der Automobilindustrie.

Mein derzeitiges Nummer-Eins-Projekt ist der Aufbau eines Lifestyle- und Handelszentrums mit Fokus auf klassische Fahrzeuge, sowie Luxusgüter, Elektromobilität, Kunst und Gastronomie. Dieses werde ich auch nach Eröffnung managen.

Ein Automensch mit ökologischem Herz

Da auch ein Auto-Mensch ein ökologisches Herz haben kann, fing ich an, mich mit Alternativen zur derzeit diskutierten Mobilitätswende hin zur Elektromobilität zu beschäftigen. Ich bewerte diese trotz aller Euphorie zumindest für den flächendeckenden, globalen Einsatz als sehr kritisch.

Aus meiner Zeit bei Daimler erinnerte ich mich an ein Projekt zur Nutzung von Jatrophaöl als nachhaltigem Bio-Diesel. Unmittelbar nach erfolgter Kündigung nahm ich Kontakt zu JatroSolutions in Stuttgart auf, die sich mit der Erforschung dieser Ölpflanze sowie ihrem Anbau beschäftigen. Ich erkannte das Potenzial und engagiere mich seither für die Etablierung und Vermarktung. Außerhalb eines Angestelltenverhältnisses denkt man plötzlich größer, weiter und kreativer! Die Frage „Darf ich…?“ existiert nur noch im Dialog mit dem Badezimmerspiegel!

Corona-Krise als Beschleuniger statt Bremse

Da ich gerne schreibe und Pressartikel als Möglichkeit erkannt habe, meine Reichweite zu vergrößern, veröffentliche ich regelmäßig Online-Artikel zu Automotive-Themen auf verschiedenen Plattformen. Durch meine Veröffentlichungen komme ich nun mehr und mehr mit interessanten Menschen aus unterschiedlichen Bereichen in Kontakt. Bedingt durch die Pandemie, aber auch aufgrund der Langfristigkeit meiner Projekte sind die bisherigen Erträge zwar überschaubar, die Motivation, hier stets „all-in“ zu gehen und immer neue Ideen zu entwickeln, wächst aber täglich.

Corona war trotz aller Widrigkeiten mehr ein Beschleuniger als eine Bremse meiner bisherigen Aktivitäten. Es wird in der Industrie und im Handel immer deutlicher, dass bei vielen Themen eine gewisse Ratlosigkeit herrscht und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, wächst. „Nach Corona“ - wann immer das ist -  wird es nach meiner Einschätzung kein Back-to-Business wie vorher geben. Hier finden sich mehr Chancen als Risiken in jedem Bereich.

Mein Resümee: Würde ich mich wieder selbständig machen? Ja – jederzeit, allerdings war eine Initialzündung nötig. Glaube ich an mich und meine Ideen? Ganz klar – ja! Habe ich Angst zu scheitern? Nein! Arbeite ich heute mehr für weniger Geld? Ja, auch das ist (im Moment noch) eine Tatsache, aber welchen Gegenwert hat die Freiheit? Für mich jedenfalls gibt es kein Zurück mehr!

Anmerkung:

Unsere Aktion "Warum bist du selbstständig?" stieß bei euch auf eine große Resonanz, worüber wir uns sehr freuen. Dabei haben wir deutlich mehr Zuschriften bekommen als wir erhofft haben. Wir bedanken uns herzlich bei euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns eure Geschichte zu teilen.

Wie ihr bestimmt schon gesehen habt, haben wir bereits eine Reihe von Warum-Geschichten veröffentlicht. Die Geschichten, die wir auswählen, zeigen immer neue Aspekte und Gründe für eure Selbstständigkeit: Seid ihr Unternehmer, weil eurer Kreativität in dieser Berufsform keine Grenzen gesetzt sind, weil die Freiheit durch eine Selbstständigkeit unbezahlbar ist - oder warum? Wir möchten mit der Auswahl der Geschichten der Vielfalt an Gründen für eine Selbstständigkeit Rechnung tragen und diese Bandbreite aufzeigen. Wir bitten daher um euer Verständnis, wenn wir deshalb nicht jede Geschichte veröffentlichen können, hoffen aber, euch durch immer neue Ansichten inspirieren zu können.

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