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Was ist dein Beitrag als Selbstständiger zu Wirtschaft und Gesellschaft "Meine Arbeit verleiht Menschen mit 'unsichtbaren' Behinderungen eine Stimme."

Daniel Funk ist sich sicher: Diskriminierung kann nur abgebaut werden, wenn Betroffene eine Stimme erhalten.

In unserer neuen Beitragsreihe "Dein Beitrag als Selbstständige/r zu Wirtschaft und Gesellschaft" wollen wir mit deiner Hilfe Beispiele dafür geben, wie wichtig es für Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land ist, was wir Selbstständigen leisten. Wir wollen zeigen, dass Deutschland uns braucht, um Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Digitalisierung, Fachkräftemangel bewältigen und die dringend nötige Transformation von Staat und Wirtschaft schaffen zu können. Hier findest du mehr Informationen über die Reihe; wenn du in einer für die Gesellschaft wichtigen Branche tätig bist, freuen wir uns, wenn du uns von deiner Tätigkeit erzählst.

Sinnvolle Arbeit statt ermüdendes Schuften

Für Daniel Funk hieß es irgendwann Schluss mit der Schufterei als Angestellter: Nach einigen Jahren voller Wochenendschichten und Pendelei entschied sich der ehemalige Automobilkaufmann, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft zu leisten: Inspiriert von dem Buch "Asperger - mein Leben zwischen Intelligenz und Gefühlsleben" des Jungautors Leo M. Kohl wandte sich Daniel immer mehr einem Problem zu, das brandaktuell ist: der Diskriminierung von Autisten und anderen Betroffenen praktisch "unsichtbarer" Behinderungen. Mit unsichtbaren Behinderungen, sind normalerweise Behinderungen gemeint, die für andere nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.

Seine Geschäftsidee: einen Verlag für Autor/-innen mit Autismus sowie anderen psychischen Krankheiten und Behinderungen zu gründen. Doch wie gelingt die Umsetzung eines solchen Verlages, besonders in einer Gesellschaft, die immer noch behinderten-feindliche Strukturen aufrechterhält? Daniel Funk berichtet:

Stigmatisierung und Fehldiagnosen

"Die Idee für den Verlag kam mir durch den Sohn einer Bekannten. Er ist ein nonverbaler Autist, er hat also Schwierigkeiten, Körpersprache zu verwenden und zu verstehen. Deshalb wurde er ständig mit Vorurteilen und Stigmatisierungen konfrontiert. Dabei ist er eigentlich hochintelligent. Doch niemand sah genauer hin – und sprach ihm aufgrund seiner Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten vorschnell seine Intelligenz ab.

Man könnte denken, dass es sich bei den Urteilenden eher um Personen handelt, die unerfahren im Umgang mit Autisten sind. Doch weit gefehlt, auch Ärzte und anderes Fachpersonal stellen viel zu oft falsche Diagnosen und ziehen voreilige Schlüsse. Die Tiefgründigkeit fehlt, das Narrativ über Autismus ist verzerrt und nicht wahrheitsgemäß. Deshalb wollen wir mit unserem Verlag einen unverfälschten Einblick in die Gedankenwelt Betroffener bieten und neue Blickwinkel eröffnen, fernab von Stigmatisierung und Klischee.

Authentische Literatur statt Fachsimpelei

Als Verlagsgründer ist es mir umso wichtiger, dass die Literatur authentisch ist und nicht etwa durch das Lektorieren verfälscht wird. Damit das nicht geschieht, werden unsere Bücher ausschließlich von meiner Kollegin Franca Peinel lektoriert. Sie selbst ist Asperger Autistin und bemüht sich, die Gedankenwelt Betroffener für Außenstehende zu öffnen - und so aktiv Diskriminierung entgegenzuwirken. Während meiner Arbeit stehe ich immer im Austausch mit den Autoren und deren Bedürfnissen. Wir wollen eben keine Fachliteratur von Außenstehenden über Betroffene anbieten, sondern Autisten selbst sprechen lassen. Nur so kann Stigmatisierung langsam, aber sicher, abgebaut werden.

Ausgrenzung – ein strukturelles Problem

Besonders im Bildungssystem muss sich viel verändern. Während der Corona-Krise mussten sich Autisten einem enormen Stresslevel aussetzen, das besonders durch die Unstetigkeit in der Bildungspolitik zu verantworten war. Das ständige Hin und Her, die fehlende Stetigkeit der Politik, ist schon für Außenstehende stressig gewesen. Und Autist/-innen leiden besonders unter einer solchen Unsicherheit. Eine Alternative zu einem Autismus-feindlichen Schulsystem muss her. Dies kann durch eine tiefgreifende Ausbildung der Lehrkräfte gelingen und durch alternative Schulformen, wie etwa die Webindividualschule. Diese beschäftigt sich mit dem jeweiligen Leistungsstand und Lerntempo der Schülerinnen und Schüler, die im Regelschulsystem nicht erreicht werden können und vor allem fallen die sozialen Kontakte weg, die regelmäßig zur Überforderung führen. Doch die Anerkennung durch die Politik bleibt aus.

Die Engstirnigkeit gegenüber Autisten macht sich nämlich besonders im Schulalltag bemerkbar: Selbst der eigentlich jedem Autisten zustehende Nachteilsausgleich wird von manchen Lehrern nicht anerkannt. Auch hier greift die Stigmatisierung: Wer länger Zeit für die Bearbeitung von Klassenarbeiten bekommt, wird oft als faul oder Schummler betitelt. Dabei steckt hinter dem Nachteilsausgleich ganz klar eine neurologische Entwicklungsstörung. Die Umsetzung des Nachteilsausgleichs sollte also nicht die Entscheidung der Lehrkraft sein, die möglicherweise den autistischen Schüler oder die betroffene Schülerin stigmatisiert.

Selbstständige wissen weiter - doch die Unterstützung fehlt

Ich finde, dass ich es als Selbstständiger in Deutschland schwer habe. Besonders die Corona-Krise hat viele Verlagswesen in den Ruin getrieben. Ich habe es zum Glück geschafft, unter anderem dank einer Soforthilfe. Diese muss ich jetzt allerdings zurückzahlen. Dabei benötigen Verlage erfahrungsgemäß einige Jahre, um sich zu etablieren. Die aktuelle Bürokratie ist für Selbstständige einfach unzumutbar.

Veränderungen längst überfällig

Mit unserem Verlag wollen wir in Zukunft auch noch für andere Personengruppen Sichtbarkeit schaffen. Dazu gehören beispielsweise Menschen mit Depressionen, bipolaren Störungen und ADHS. Es gibt viel zu tun. Ich bin selbst Bücherfan. Zeit zum Lesen finde ich aber kaum noch."

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