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Lesetipp Woche der Entscheidung Regierung übersieht bei Aktivrente das eigentliche Problem

Noch in dieser Woche wird der Bundestag über das geplante Aktivrentengesetz abstimmen. Mit einem Steuerfreibetrag von 2.000 Euro monatlich für Angestellte will die Regierung die Zahl der gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden erhöhen.

Selbstständige sollen ausgeschlossen bleiben mit der Begründung, dass diese im Alter auch ohne zusätzlichen Anreiz weiterarbeiten würden. Die Regierung übersieht dabei, dass die von Selbstständigen geleistete Arbeitszeit seit Jahren dramatisch sinkt, ebenso die Zahl der Selbstständigen und Gründungen. Der Rückgang beträgt das 200- bis 300-fache dessen, was Wissenschaftler als Effekt der Aktivrente schätzen.

Die von Selbstständigen geleistete Arbeitszeit hat zwischen 2010 und 2025 um ein Drittel bzw. 2,8 Milliarden Stunden abgenommen. Grund ist der starke Rückgang insbesondere von hauptberuflich Selbstständigen.

Mit einer Aktivrente, die Selbstständige ausschließt, verschenkt die Regierung nicht nur wertvolles Potenzial für die deutsche Wirtschaft – sie läuft auch Gefahr, ihr wirtschaftspolitisches Ziel zu verfehlen.

Entscheidende Woche für die Aktivrente

Heute Nachmittag (1.12.25, 16 Uhr) hört der Finanzausschuss des Bundestages acht Sachverständige zur geplanten Aktivrente (Stream bzw. Mitschnitt). Am Freitag (5.12.) entscheidet der Bundestag dann final über den neuen Steuerfreibetrag für Angestellte im Rentenalter. Da das Gesetz zustimmungspflichtig ist, kann anschließend nur noch der Bundesrat in seiner Sitzung am 19.12. das Gesetz aufhalten.

Obwohl alle uns bekannten Stellungnahmen von Verbänden und Wissenschaftlern – soweit sie sich zu dem Thema äußern, und das tun fasst alle – den Ausschluss von Selbstständigen als verfassungsrechtlich fragwürdig einordnen, wird es wohl darauf hinauslaufen, dass der in seiner Höhe außergewöhnliche Steuervorteil von 500 bis 920 Euro pro Monat nur sozialversicherungspflichtigen Angestellten zugute kommen wird.

Wer in Frührente geht, ist schwer zurückzuholen

Das Ziel, die gesamtwirtschaftlich geleisteten Arbeitsstunden durch Anreize zur Mehrarbeit von Rentner/innen zu erhöhen, teilen alle Experten. Die Frage ist, ob dies mit einer Aktivrente nur für Angestellte gelingt: Etwa jede/r zweite Angestellte geht aufgrund großzügiger Frühverrentungsanreize vorzeitig in Rente. Hat man aber erst einmal mit dem Arbeiten aufgehört, lässt sich dies laut Studienlage nur äußerst schwer wieder rückgängig machen.

Dramatischer Rückgang: Weniger Selbstständige, weniger geleistete Arbeitszeit

Vor allem aber lässt die Bundesregierung bei der Aktivrente die Erwerbstätigen außer Acht, bei denen einerseits der größte Fachkräftemangel besteht, andererseits das größte Potenzial an Mehrarbeit: Die Selbstständigen.
Zeitreihen des zur Bundesagentur für Arbeit gehörigen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass die von Selbstständigen geleistete Arbeitszeit in den letzten 15 Jahren um 2,8 Milliarden Stunden bzw. 30 Prozent zurückgegangen ist, von 9,2 Milliarden im Jahr 2010 auf zuletzt 6,4 Milliarden Stunden. Ein Blick auf die entsprechende Kurve zeigt, dass sich die Entwicklung eher noch beschleunigt. Im selben Zeitraum hat die Zahl der von Angestellten geleisteten Stunden (u.a. aufgrund von Zuwanderung) um 5,1 Milliarden Stunden zugenommen.

Weil Selbstständige deutlich mehr arbeiten als durchschnittliche Erwerbstätige, lag ihr Anteil am Arbeitsvolumen deutlich über ihrem Anteil an der Erwerbsbevölkerung, bei teilweise über 16 Prozent. Aufgrund des Rückgangs der Zahl der hauptberuflich Selbstständigen sank er auf zuletzt nur noch knapp über zehn Prozent.

Die Gründe für den Rückgang bei den Selbstständigen: Sowohl ihre Zahl als auch der Anteil der hauptberuflich Selbstständigen hat dramatisch abgenommen. Die zwischen 2006 und 2012 in Deutschland erfolgte Abkehr von einer gründer- und selbstständigenfreundlichen Politik hat dazu geführt, dass die Zahl der hauptberuflichen Gründungen innerhalb von 20 Jahren um zwei Drittel zurückgegangen ist (KfW). Dadurch besteht bei Selbstständigen das demographische Problem in verschärfter Form:

35 Prozent der Selbstständigen erwägen Auswanderung, 27 Prozent vorzeitige Beendigung

Da Gründungen zumeist auf Basis längerer Berufserfahrung erfolgen, sind Selbstständige im Schnitt ohnehin älter als Angestellte. Hinzu kommt der über viele Jahre fehlende "Nachwuchs". Dies hat zu einer Alterung der Gruppe der Bestandsselbstständigen geführt, so dass ein erheblicher Teil nun auf dem Weg ins Rentenalter ist.

Aufgrund der als extrem selbstständigenfeindlich wahrgenommenen Politik der letzten Jahre überlegen sich laut einer Studie des IW Köln von letztem Jahr 35 Prozent der befragten Selbstständigen, vor allem jüngere und gut verdienende, ins Ausland zu ziehen. 27 Prozent wiederum erwägen, ihre Selbstständigkeit vorzeitig zu beenden.

Da die Bestandsselbstständigen zu einem großen Teil aus Babyboomern bestehen, steuern wir auf einen massiven Fachkräftemangel im Bereich der Selbstständigen zu: Ein großer Teil von ihnen wird innerhalb der nächsten Jahre altersbedingt oder sogar vorzeitig ihre Selbstständigkeit beenden – und nur wenige kommen nach.

Wirtschaftspolitisch sinnvoller: Selbstständigkeit wieder attraktiv machen

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur aus Gründen der Gleichbehandlung sondern auch wirtschaftspolitisch unverständlich, dass die Bundesregierung gerade diese Gruppe von der Aktivrente ausschließen möchte. Nötig wären vielmehr große Anstrengungen, Gründungen wieder attraktiver zu machen und Bestandsselbstständige erwerbstätig und im Inland zu halten.

Der geplante Ausschluss von der Aktivrente wird noch mehr Selbstständige veranlassen, ihr Arbeitsvolumen zu reduzieren oder ihre Selbstständigkeit ganz zu beenden. "Umgekehrt könnten die Selbstständigen durch Einbeziehung in die Aktivrente und eine wertschätzende Behandlung viel einfacher als Angestellte dafür gewonnen werden, ihre Arbeitszeit wieder zu erhöhen und länger erwerbstätig zu bleiben. Denn Selbstständige beenden mit dem Renteneintritt nicht automatisch die Arbeit komplett, sie arbeiten einfach etwas weniger. Bei Selbstständigen würde die Aktivrente bei gleichem Aufwand zu einer deutlich höheren Zahl zusätzlich geleisteter Stunden führen als bei Angestellten", sagt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD.

Rückgang bei Selbstständigen 200 bis 300 Mal so hoch wie Zuwachs durch Aktivrente bei Angestellten

Dafür spricht noch eine andere Zahl: Der beobachtete Rückgang der von Selbstständigen geleisteten Arbeitsstunden ist um den Faktor 216 bis 312 Mal so hoch wie die zusätzlich neun bis 13 Millionen zusätzlichen Arbeitsstunden, die zum Beispiel das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) als Effekt der Aktivrente bei Angestellten erwartet. Schon ein relativ kleiner Wiederanstieg der von selbstständigen geleisteten Stunden, würde den Effekt der Aktivrente also möglicherweise vervielfachen.

Eine Aktivrente ohne Berücksichtigung von Selbstständigen dagegen wirkt in die entgegengesetzte Richtung: Selbstständige leisten laut IAB-Zahlen im längerfristigen Durchschnitt etwa 1,5 Mal so viele Stunden wie Angestellte. Mit jedem Selbstständigen, den man durch eine selbstständigenfeindliche Politik in die Anstellung drängt, geht also eine hohe dreistellige Zahl von Arbeitsstunden verloren. Noch mehr sind es, wenn er/sie diese Einschränkung der Berufsfreiheit nicht akzeptiert und wie von vielen angekündigt, die eigene Selbstständigkeit in diesem Fall komplett beendet.

Konkrete Zahlen und Rechenwege, um die Aussagen der Pressemitteilung noch besser nachvollziehbar zu machen 

Die IAB-Arbeitszeitrechnung (Erklärung) bzw. die längste uns bekannte Zeitreihe zeigt die folgenden und weiteren Zahlen für jedes Quartal von Anfang 1991 bis (Stand 2.12.25) bis einschließlich dem 2. Quartal 2025. Die Werte in den Grafiken für das Jahr 2025 haben wir auf Basis der Zahlen für das erste und zweite Quartal hochgerechnet unter Berücksichtigung saisonaler Unterschiede. 

  • 2024, im letzten vollständigen Jahr der Zeitreihe (Spalte FP) gab es in Deutschland 42,28 Mio. beschäftigte Arbeitnehmer, davon 25,57 Mio. (60,5 Prozent) in Vollzeit und 16,71 Mio. (39,5 Prozent) in Teilzeit.
  • Die tarifliche bzw. betriebsübliche Wochenarbeitszeit betrug bei Vollzeit-Arbeitnehmern 38,2, in Teilzeit 18,5 Stunden, im Schnitt betrug die Arbeitszeit pro Arbeitnehmer also 30,4 Stunden.
  • Von den 366 Kalendertagen des Jahres 2024 entfielen 104 auf Samstage und Sonntage, 12,2 im Schnitt über die Bundesländer auf Feiertage. Die verbleibenden 249,8 potenziellen Arbeitstagen reduzierten sich um 31,0 bzw. 29,7 (Voll- bzw. Teilzeit-Angestellte) Urlaubs- und 14,8 Krankheitstage. Die Zahl der effektiven Arbeitstage betrugen 204,0 pro Angestelltem.
  • Pro Arbeitnehmer kamen 12,0 bezahlte und 16,5 unbezahlte Überstunden hinzu. Die IAB-Arbeitszeitrechnung berücksichtigt auch die die Effekte von Kurzarbeit, Ausfällen aufgrund von Schlechtwetter und Arbeitskämpfen sowie die Übertragungen von Zeiten aus/in andere Jahre im Rahmen von Arbeitszeitkonten.
  • Die resultierende tatsächliche jährliche Arbeitszeit betrug 1.267 Arbeitsstunden pro Arbeitnehmer (1.589 Stunden bei Vollzeit und 774 bei Teilzeit). Durch Nebenjobs erhöhte sich diese Zahl geringfügig auf 1.298 Stunden pro Jahr.
  • Durch Multiplikation der der Arbeitnehmer im Jahr 2024 (42,28 Millionen) mit diesem Wert, kommt das IAB auf 54,874 Milliarden von Arbeitnehmern geleistete Arbeitsstunden ("Arbeitsvolumen").
  • 2010 betrug die Zahl der Arbeitnehmer noch 36,58 Millionen, die effektive Jahresarbeitszeit einschließlich Nebenjobs 1.350 Stunden, das Arbeitsvolumen der Angestellten also 49,39 Milliarden Stunden. 
  • Die Zahl der Arbeitnehmer nahm u.a. durch eine längere effektive Lebensarbeitszeit und Zuwanderung zu, die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden vor allem durch eine höhere Teilzeitquote (Vor 15 Jahren 36 Prozent, jetzt 39,5 Prozent) ab.
  • Unter dem Strich hat sich das Arbeitsvolumen bei den Arbeitnehmern um 5,489 Milliarden Stunden (+11 Prozent) erhöht.
  • Bei den Selbstständigen differenziert das IAB nicht nach Voll- und Teilzeit. Die Zahl der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen betrug 2024 noch 4,52 Millionen. Sie sank bis 2024 auf nur noch 3,70 Millionen, also um 820.000 (– 18 Prozent). 
  • Die Zahl der von Selbstständigen pro Jahr geleisteten Stunden reduzierte sich im gleichen Zeitraum von 2.036 auf 1.752 Stunden, also um 284 Stunden (– 14 Prozent), weil die Zahl der hauptberuflich Selbstständigen noch stärker rückläufig war als die der Teilzeit-Selbstständigen.
  • Im Ergebnis reduzierten sich das Arbeitsvolumen, also die Zahl der von Selbstständigen geleisteten Stunden von 9,2 auf 6,5, also um 2,7 Milliarden Stunden (– 29,4 Prozent). In der Pressemitteilung beziehen wir uns auf die Werte für 2025, die noch höher liegen, nämlich bei 2,8 Milliarden Stunden und 30 Prozent Rückgang.

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