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AOK-Studie Ist Home-Office gesundheitsschädlich?

Für die Süddeutschen Zeitung (SZ) ist das keine Frage: "Home-Office belastet die Gesundheit" überschreibt sie heute ihre Titelseite und beschäftigt sich auch in zwei weiteren Beiträgen im Meinungs- und Wirtschaftsteil mit dem Thema. In ihrem Leitartikel fordert Kristin Ludwig: "Arbeitgeber müssen diese Gefahr endlich ernst nehmen. Die Gesellschaft krankt an ihren grenzenlosen Arbeitsmodellen. (...) Für Arbeitgeber ist die neue Rolle ihrer Mitarbeiter zunächst sehr bequem."

Zugleich hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) noch für dieses Jahr ein Gesetz angekündigt, laut SPD-Beschluss soll darin ein "Recht auf Home-Office" enthalten sein. Die Verweigerung des Home-Office müsste dann vom Arbeitgeber genau begründet werden.

40 Prozent arbeiten mindestens gelegentlich zuhause, viele sind beim Kunden im Einsatz

Anlass der Berichterstattung ist eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, vielen VGSD-Mitgliedern bekannt durch eine Studie aus dem Jahr 2016 zur finanziellen Belastung von Selbstständigen mit KV-Beiträgen.

Studienautor Helmut Schröder ließ 2000 Beschäftigten zwischen 16 und 65 befragen. Von ihnen arbeiten 800 überwiegend zu Hause oder an wechselnden Orten, häufig zum Beispiel beim Endkunden. Das entspricht knapp 40 Prozent der Befragten. Die Arbeit von zu Hause ist inzwischen keine Ausnahme mehr: 40 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten laut einer DIW-Studie zumindest gelegentlich von zu Hause.

Gegenübergestellt wurden im weiteren Verlauf der Studie die gut 1.100 "Inhouse-Arbeitenden", die ausschließlich in der Betriebsstätte arbeiten, mit rund 330 "Tele-Arbeitenden", die überwiegend zu Hause tätig sind.

Befragt wurden auch Selbstständige. Für uns ist das Thema besonders interessant, weil besonders viele von Selbstständige  entweder von zu Hause arbeiten oder vor Ort beim (End-) Kunden tätig sind. Zudem ist mancher von uns auch selbst Arbeitgeber.

Vorteile: Konzentrierter und produktiver als im Betrieb – und seltener krank

Die Arbeit im Home-Office hat Vor- und Nachteile. Ein Großteil der zu Hause arbeitenden ist zufrieden, weil es ihnen gelingt ihr Privatleben besser zu organisieren. Die große Mehrheit gab an zu Hause konzentrierter (74 Prozent) arbeiten zu können und mehr Arbeit zu bewältigen (67 Prozent) als zuvor am Arbeitsplatz.

Zudem sind die zu Hause Arbeitenden seltener krank geschrieben als Arbeitnehmer. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie gesünder sind, vielmehr kann es auch daran liegen, dass sie dann auch während einer leichten Krankheit zu Hause arbeiten, bei der sie aber nicht ins Büro gegangen wären, um die Kollegen nicht anzustecken. (Dieses Phänomen kennen wir Selbstständigen ja auch sehr gut...).

Dem Arbeitgeber ist das Arbeiten im Krankheitsfall übrigens gar nicht unbedingt recht, denn er muss einen erheblichen Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung bezahlen, für den er im Gegenzug während der Lohnfortzahlung einen gewissen Prozentsatz des Gehalts durch die Krankenkasse erstattet bekommt. Wenn ein Mitarbeiter trotz Krankheit weiterarbeitet, ist er wahrscheinlich weniger produktiv und verschleppt womöglich die Krankheit, ohne dass der Arbeitgeber von der Krankenversicherung einen Ausgleich erhält.

Nachteile: Abgrenzung ist schwieriger

Heim-Arbeiter arbeiten deutlich öfter am Abend oder Wochenende (34 versus 3 Prozent). 20 (versus 6) Prozent berichten über Anrufe und E-Mails des Chefs außerhalb der Arbeitszeiten. Vielen fällt es zu Hause schwerer, Pausen zu machen (68 Prozent) und die Arbeit abzuschließen, um Feierabend zu machen (62 Prozent).

Entsprechend hatten unter den Tele-Arbeitenden 38 (versus 25) Prozent Schwierigkeiten nach Feierabend von der Arbeit "abzuschalten". 25 (versus 14) Prozent dachten im Urlaub manchmal an Probleme aus der Arbeit.

Folge: Größere psychische Belastungen

74 (versus 66) Prozent fühlten sich im vergangenen Jahr erschöpft, 70 (versus 59 Prozent) berichteten über Wut und Verärgerung, 68 (versus 53) Prozent waren nervös oder reizbar. Auch der Anteil der Beschäftigten mit Selbstzweifeln war deutlich höher: 47 versus 34 Prozent.

Heimarbeiter leiden also signifikant häufiger unter psychischen Belastungen, was auch langfristige Konsequenzen haben könnte: Fast jede zweite Erwerbsunfähigkeit hat heute psychische Gründe. Diese stellen wiederum ein erhebliches Armutsrisiko dar, denn die Erwerbstätigkeit ist bei vielen Arbeitnehmern nur unzureichend finanziell abgesichert.

Das BAUA (Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) warnt deshalb immer wieder vor einem höheres Stress- und Burn-out-Risiko bei Beschäftigten, bei denen die Abgrenzung Arbeit und Freizeit nicht gelingt, also eine Entgrenzung stattfindet.

Große Koalition will Heimarbeit vorantreiben, SPD ein Recht auf Home-Office einführen

Während es also gesundheitliche Bedenken gegen zu viel Heimarbeit gibt, haben Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, das mobile Arbeiten zu fördern und einen Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern einzuführen.

Der SPD ist das jedoch nicht genug. In ihrem Sozialstaatspapier fordert sie – wie eingangs schon erwähnt – ein gesetzlich verankertes (Antrags-) Recht für Arbeitnehmer, zu Hause arbeiten zu dürfen. Lehnt der Vorgesetzte den Antrag ab, soll er dies begründen müssen.

Zugleich ist ein Rückkehrrecht ins Büro geplant. Dies würde allerdings die Planbarkeit erheblich erschweren, zumal bei den Vorschriften für Arbeitsplätze keine solche Flexibilität besteht. Vor allem für kleine Unternehmen könnte das eine erhebliche Herausforderung darstellen, sollte es für sie auch gelten.

Noch in diesem Jahr ist ein Gesetzesentwurf zum Thema Home-Office angekündigt. Ebenfalls noch in diesem Jahr will das BMAS auch das umstrittene EuGH-Urteil zur Erfassung von Arbeitszeiten angehen. Auch dies hätte Auswirkungen auf Tele-Arbeitenden, die dann ihre Arbeitszeiten aufzeichnen müssten, was im Home-Office eine besondere Herausforderung darstellen dürfte – vielleicht aber auch eine stärkere Abgrenzung von Arbeits- und Freizeit erzwingen würde.

So könnte eine Lösung aussehen - Was meint ihr?

Generell könnte eine Lösung darin liegen, dass man klarere Absprachen mit dem Arbeitgeber trifft (bzw. als Selbstständiger mit sich selbst). Wer häufig Abends und am Wochenende arbeitet, sollte sich dann auch unter der Woche mit gutem Gewissen Zeit für sich nehmen können.

Und: Vielleicht ist eine Mischung aus gelegentlichem Home-Office und Arbeiten im Büro oder Coworking-Space eine gute Lösung. Dann kann man anspruchsvolle Aufgaben konzentriert zu Hause erledigen und sich im Umkreis von Kollegen kreativen Austausch, sozialen Kontakt und Bestätigung holen.

Vielleicht gelingt es mit "neuen" Arbeitsmodellen wie Coworking sogar, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: Hier kann man konzentriert arbeiten und hat trotzdem bei Bedarf sozialen Anschluss.

Wie könnte man das Home-Office gesundheitsverträglicher gestalten? – Wir sind gespannt auf deine Meinung. Nutze die Kommentarfunktion unten!

Weitere Informationen auch zu anderen (Gesundheits-) Aspekten des digitalen Arbeitens

Die neuen Erkenntnisse zum Home-Office erschienen im Rahmen des Fehlzeiten-Reports 2019, der in Buch-Form veröffentlicht wurde und gestern im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Untertitel des aus 26 Fachaufsätzen – auch zu vielen anderen Aspekten – bestehenden Buches: "Digitalisierung – gesundes Arbeiten ermöglichen".

Auf der Seite des Wissenschaftlichen Instituts der AOK kann man Auszüge aus dem Buch einsehen. Auf der Website des AOK-Bundesverbands befinden sich umfangreiche weitere Informationen, Charts sowie ein Video.

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