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Lesetipp Johanna Röh über Mutterschutz für Selbstständige "Es ist nicht zeitgemäß, wenn sich Frauen zwischen Kind und Beruf entscheiden müssen."

Mutter, Tischlerin, Initiatorin: Für ihre Petition "Mutterschutz für alle" sammelte Johanna Röh mehr als 100.000 Unterschriften. Was sie antreibt, wie es weitergeht - und wann auch ihr mal die Kraft ausgeht.

"Mutterschutz für alle": Die 2022 entstandene Petition von Johanna Röh zeigte die ungleiche Behandlung zwischen selbstständigen und angestellten Frauen in Sachen Mutterschutz. Seitdem arbeitet sie unermüdlich daran, politischen Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Und spricht dabei für alle schwangeren Unternehmerinnen und frischgebackenen Mütter.

Neben Beruf und Kind setzt sich Johanna mit voller Kraft für einen fairen Mutterschutz für Selbstständige ein.

VGSD: Johanna, du hast vor einiger Zeit eine Petition ins Leben gerufen, die eine Reform des Mutterschutzes für Selbstständige fordert. Kannst du unseren Mitgliedern noch einmal kurz erläutern, wie diese Petition entstanden ist?

Johanna Röh: Ehrlich gesagt, war es in erster Linie meine persönliche Betroffenheit. Als ich mit meinem Kind schwanger war, musste ich mich gleichzeitig noch meiner Tischlerei widmen. Dass ich mich selbst im letzten Trimester an gefährliche Werkzeuge wagen musste, weil ich im Gegensatz zu Angestellten kein Mutterschutzgeld erhielt, empfand ich als unfair. Unfair für mich und unfair für viele andere selbstständige Frauen, die sich während ihrer Schwangerschaft um Kind und Betrieb sorgen müssen. Als ich damals das Formular für die Petition ausgefüllt habe, habe ich nicht zu träumen gewagt, dass die Petition so viel Unterstützung erhält. Doch gleichzeitig hat das auch gezeigt: Es betrifft uns, es betrifft die Gesellschaft.

Ein echter Erfolg. Wie hat eure Petition so viel Aufmerksamkeit erhalten?

Tatsächlich hat Social Media die Anzahl der Mitzeichner/innen befeuert. Besonders über Influencer/innen konnten wir an viel Reichweite gewinnen. Bekannte Persönlichkeiten wie Lena Gercke oder Marie Nasemann haben die Petition via Instagram unterstützt und deutlich dazu beigetragen, dass auch andere bekannte Medien über den Mutterschutz für Selbstständige berichteten. Das hat mich natürlich unfassbar gefreut.

Das Thema "Mutterschutz" war plötzlich in den Medien präsent. Was hat sich seitdem politisch getan?

Inzwischen hat sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit dem Papier beschäftigt. Der parlamentarische Prozess ist damit am Laufen. Das Thema Mutterschutz fällt in die Zuständigkeit verschiedener Ministerien. Genau deshalb wird der Prozess wahrscheinlich noch länger andauern. Und genau deshalb braucht es politischen Druck. Wir sind noch lange nicht am Ziel, bewegen uns aber in die richtige Richtung.

Stimmt dich der Umgang der Politik mit dem Thema Mutterschutz bisher zufrieden?

Ja und nein. Ich bin zwar froh, dass die demokratischen Parteien uns gegenüber eher wohlwollend gestimmt sind, jedoch ist der Prozess der Entscheidungs- und Lösungsfindung lang und kompliziert. Dabei fände ich es unfassbar wichtig, den Mutterschutz für selbstständige Frauen noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Natürlich habe ich auch Verständnis dafür, dass das Thema komplex ist. Und ich plädiere ebenfalls für eine komplexe und damit tiefgreifende Lösung, die das existierende Problem vollends erfasst. Schließlich soll der Gesetzesentwurf im besten Falle die Lebensrealität aller schwangeren Selbstständigen abdecken. Doch mir fehlt es an politischen Druck. Die Solidarität, die wir während der Mitzeichnungsphase aus der Bevölkerung erfahren haben, spiegelt sich nicht unbedingt in der Unterstützung der Vereine wider. Dass Themen, die Frauen betreffen, immer noch nicht auf der Hauptagenda vieler politischer Verbände und Interessensvertretungen sind, ist nicht mehr zeitgemäß. Es fehlt an einer Lobby innerhalb der Vereine. Das ist beim VGSD zum Glück anders.

Apropos Lösungsfindung. Der VGSD lehnt zusätzliche finanzielle Belastungen für Selbstständige vehement ab. Wie stehst du zu der These, dass Selbstständige nicht weiterbelastet, sondern schrittweise entlastet werden sollen? Ist dies überhaupt mit dem Mutterschutz vereinbar?

Es ist definitiv so, wie es der VGSD sagt: Nämlich dass gerade die Selbstständigen, die klein sind, eine hohe finanzielle Belastung tragen müssen. Man könnte beispielsweise bei einer Mindestgrenze des Einkommens ansetzen, ab welcher die Umlage bezahlt werden müsste. Eine solche Umlage gibt es beispielsweise für Angestellte und könnte auch für Selbstständige eingeführt werden. Das müsste aber wiederum mit der Reform der Beitragsbemessungsgrundlage verbunden sein. Denn die Abgaben, die Selbstständige leisten müssen, sind auf jeden Fall extrem hoch und belasten ja gerade auch die Betroffenen des fehlenden Mutterschutzes.

Welche Aktionen plant euer Team gerade?

Wir planen gerade eine Veranstaltung, die zahlreiche Experten und Expertinnen rund um das Thema Mutterschutz versammeln soll. Aus diesem kollektiven Wissen wollen wir dann verschiedene Lösungsvorschläge entwickeln. Darüber hinaus bieten wir Beratungsangebote für Betroffene an. Und natürlich wollen wir auch weiterhin auf Social Media aktiv sein. Es erreichen uns so viele Geschichten betroffener Frauen. Wir wollen denjenigen eine Stimme geben, die gerade keine haben.

Inzwischen ist dein Kind auf die Welt gekommen. Wie gestaltet sich dein Alltag seitdem?

Ich muss ehrlich zugeben, dass auch meine Kapazitäten beschränkt sind. Ein Kind verändert wirklich alles. Besonders in den ersten Jahren ist das Elterndasein ein Full-Time-Job. Ich weiß manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Aber gerade, weil mein Alltag der vieler weiblicher Unternehmerinnen und Mütter ist, mache ich weiter. Denn es geht hier nicht um eine Randgruppe. Sondern um Frauen, die sich in einem modernen Land noch zwischen Kind und Beruf entscheiden müssen. Das ist alles andere als zeitgemäß.

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