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Lesetipp LinkedIn-Aktion gegen Arbeitnehmerüberlassung "Selbstständige müssten sich viel mehr austauschen"

Aus einem Impuls heraus postete Rainer Rösing auf LinkedIn eine Abrechnung mit der Arbeitnehmerüberlassung – und wurde von einer Welle der Zustimmung überrascht. Im Interview erklärt er, was ihn antreibt und was er sich nun erhofft.

UX-Designer Rainer Rösing

In den Sozialen Medien nennt man so etwas einen Rant: In einem 3.000 Zeichen langen Post im Karrierenetzwerk LinkedIn rechnete der UX-Designer Rainer Rösing am 5. Dezember mit der Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) ab. Mit einer gehörigen Portion Zorn ("ich könnte jedes Mal k…") aber vor allem neun stichhaltigen Gründen erklärte Rainer, was ihn an der ANÜ stört, was dabei aus seiner Sicht falsch läuft und warum sie für ihn als überzeugten Selbstständigen nicht in Frage kommt. 

In kürzester Zeit sammelten sich Dutzende – fast ausnahmslos zustimmende – Kommentare unter dem Post. Auch wir wurden auf den Beitrag aufmerksam, nahmen zu Rainer Kontakt auf und veröffentlichten den Beitrag auf der VGSD-Website. Inzwischen hat der LinkedIn-Post mehr als 260 Kommentare, der Beitrag auf unserer Seite fast 90. Eine Woche nach der Veröffentlichung haben wir mit Rainer gesprochen.

Rainer, mit deinem LinkedIn-Post zur Arbeitnehmerüberlassung hast du offensichtlich einen Nerv getroffen. Hast du mit einer solchen Resonanz gerechnet?

Nein, das hat mich absolut überrascht. Das Thema Arbeitnehmerüberlassung ist mir schon seit längerer Zeit aufgestoßen. Ich habe das früher immer abgelehnt und wollte mich gar nicht näher damit beschäftigen. Jetzt, wo die Auftragslage schwieriger ist, habe ich noch einmal genauer hingeschaut. Das Angebot, das mir vorlag, war ein Witz. Ich hätte 1:1 das bekommen, was ein Angestellter auch bekommt. Da habe ich dann mal zusammengeschrieben, was aus meiner Sicht alles gegen die ANÜ spricht. Es war ein spontaner Einfall, das auf LinkedIn zu posten.

Arbeitnehmerüberlassung

Aufgrund der Rechtsunsicherheit bei Selbstständigkeit bekommen viele Selbstständige seit Jahren immer mehr Projekte als Zeitarbeit (auch Arbeitnehmerüberlassung, kurz ANÜ, genannt) anstelle von Aufträgen angeboten. Die Zeitarbeit erscheint den Auftraggebenden rechtlich weniger angreifbar. Die Selbstständigen werden im Rahmen der ANÜ zu Arbeitnehmer/innen, die Kosten und Margen der Vermittler sind noch höher als bei einer Vermittlung von Aufträgen an Selbstständige. Den Betroffenen bleibt oft ein niedrigeres Honorar beziehungsweise Gehalt als das, was sie als Selbstständige erhalten würden, ohne dass sich die Risiken reduzieren würden. Außerdem wird ab einem bestimmten Punkt vom Finanzamt die Selbstständigkeit, die Absetzbarkeit betrieblicher Ausgaben und so weiter in Frage gestellt.

Was stört dich an der ANÜ besonders?

Wie gesagt, ich mochte das Modell noch nie. Besonders schlimm finde ich die aktuelle Entwicklung, dass sich die Gehälter oft kaum noch von denen der Festangestellten unterscheiden – obwohl man als Selbstständiger ja noch Nebenkosten hat und Rücklagen bilden muss. Das rechnet sich einfach nicht. Früher war das Absagen einfach. Angesichts der schwierigen Auftragslage finde ich die Vorstellung beängstigend, eines Tages vielleicht doch auf so etwas angewiesen zu sein.

Tatsächlich auf eine ANÜ eingegangen bist du also noch nie?

Richtig. Es ist nur so weit, dass ich noch mal genauer hingeschaut habe … Das "Höchste", was ich in diese Richtung gemacht habe, ist, dass ich über Vermittler beauftragt worden bin. Schon das ärgert mich wahnsinnig. Wieso verdient ein Zwischenhändler an meiner Arbeit, der selbst nichts leistet und mir keinerlei Mehrwert bietet? Es ist ja nicht einmal so, dass ich durch die Zusammenarbeit mit einem Vermittler danach leichter an Folgeaufträge käme. Die Akquise muss ich immer noch komplett selbst machen. Das Modell ist mir logisch nicht begreifbar. Da wird Geld verheizt, das man auch in die Steuer- oder Rentenkasse einzahlen könnte.

Seit wann bist du selbstständig?

Ich habe mich vor etwa neun Jahren selbstständig gemacht, nachdem ich etwa vier Jahre in Anstellung gearbeitet hatte. Die Selbstständigkeit war immer mein Ziel. In meinem Job früher habe ich viele Freelancer erlebt und fand es toll, wie die arbeiten. Ich wusste: Das will ich auch machen.

Wie sieht deine Arbeit heute aus?

Als UX-Designer mache ich digitale Produktentwicklung. Ich arbeite meist vier Tage die Woche. Meine Projekte dauern meist sechs Monate oder länger. Ich achte immer darauf, dass ich auch noch kleinere Projekte nebenher habe, damit ich nicht nur einen Auftraggeber habe. Die digitalen Produkte sind im Laufe der Zeit immer komplexer geworden. Man kann in kurzer Zeit kaum noch etwas machen. Es gibt einen Bedarf an Freelancern, die ins Team eingebunden werden, was natürlich die Gefahr der Scheinselbstständigkeit birgt. Der Markt hat sich verändert, aber die Rahmenbedingungen nicht. Leider.

Hoffst du, dass du mit deinem Post zu einer Veränderung dieser Bedingungen beitragen kannst?

Ich hatte bei meinem Post keine große Strategie und eine politische Debatte war nicht meine Absicht. Diese Rolle ist mir zu groß. Ich habe eher eine indirekte Hoffnung: Vielleicht kann ich dazu beitragen, dass immer mehr Selbstständige solche Angebote ablehnen. Wenn keiner mehr ANÜ macht, entsteht Druck auf die Auftraggeber. Und die Auftraggeber könnten dann Druck auf die Politik machen. Das könnte dann vielleicht wirklich etwas bewirken.

Und was ist dein persönliches Fazit aus der Diskussion?

Es war wichtig für mich zu sehen, dass ich mit meinen Gedanken nicht falschliege. Die Resonanz ermutigt mich, solche Aufträge in Zukunft weiter abzulehnen. Ich hoffe, dass ich bei denjenigen, denen das bisher nicht so klar war, ein Bewusstsein dafür schaffen konnte, dass man nicht mit Angestellten-Gehältern in eine ANÜ gehen kann. Manche denken vielleicht, sie sind darauf angewiesen, und so entsteht eine Dumping-Situation. Selbstständige müssten sich viel mehr austauschen, damit so etwas nicht passiert. Privat mache ich das ganz bewusst, dass ich immer wieder auch darüber spreche, was mir ein Projekt einbringt und andere frage, wie es bei ihnen ist.

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