Zum Inhalt springen
Jetzt Mitglied werden und den VGSD doppelt unterstützen. WISO MeinBüro verdoppelt deinen ersten Jahresbeitrag.   Nur für kurze Zeit
Mitglied werden

Lesetipp Pauschalhonorare als Kriterium für Scheinselbstständigkeit In der Privatwirtschaft tabu, bei Bundesbehörden in Ordnung?

Die Rentenversicherung wertet fixe monatliche Pauschalhonorare als starkes Indiz für Scheinselbstständigkeit. Die Verunsicherung bei privaten Auftraggebern ist groß. Nicht so bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), wie VGSD-Mitglied Marcel Misch herausgefunden hat. 

Andrea Nahles ist Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA) und war zuvor Bundesarbeitsministerin.

Auch wenn im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens das Gesamtbild zählt: Ein Festpreis-Dienstvertrag mit monatlicher Pauschale gilt als starkes Indiz für eine Scheinselbstständigkeit. Warum? Wenn ein monatlicher Festpreisvertrag ein regelmäßiges, gleichbleibendes Pauschalhonorar vorsieht, ähnelt die Bezahlung stark dem Gehalt eines Angestellten. Oft ist kein konkreter Leistungsumfang definiert und das unternehmerische Risiko wird nicht direkt sichtbar. 

Unternehmen und andere private Auftraggeber wissen kaum noch, wie sie Selbstständige rechtssicher beauftragen sollen, um dem Damoklesschwert “Scheinselbstständigkeit” zu entgehen. Pauschalverträge abzuschließen, würde wohl kaum ein Auftraggeber wagen, wenn er halbwegs gut informiert ist. Die Verunsicherung könnte größer kaum sein, auch und insbesondere bei langfristigen Projekten.

Hinweis auf Festpreisvertrag mit Pauschalen bei der BA

Umso mehr verwundert es, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) von solchen Überlegungen unberührt Selbstständige im Festpreis-Dienstvertrag mit monatlicher Pauschale zu suchen scheint. VGSD-Mitglied Marcel Misch stieß im September auf einem Online-Portal für Freelancer auf eine Projektausschreibung, die genau das nahelegt. Marcel war selbst viel für öffentliche Auftraggeber tätig und beschäftigt sich kritisch mit öffentlichen Vergaben. In diesem Kontext verfolgt er Stellenausschreibungen auf verschiedenen Freelancer-Portalen und findet dabei immer wieder auch solche, die er der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg zuordnen kann. 

Gesucht wurde in besagter Ausschreibung ein “Testmanager (m/w/d) für Barrierefreiheit / BITV2.0 zum monatl. Festpreis”. In der Projektbeschreibung heißt es: “Die Abwicklung erfolgt im Festpreis-Dienstvertrag. Statt eines Stundensatzes zahlt der Kunde eine monatliche Pauschale.” 

Besonders pikant: Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit ist Andrea Nahles. Als ehemalige SPD-Vorsitzende und Arbeitsministerin verhandelte sie damals die Bekämpfung von Zeitarbeit und Werkverträgen in den Koalitionsvertrag und trug damit entscheidend zur heute bestehenden Unsicherheit bei (vgl. VGSD-Beitrag zu 25 Jahren Statusfeststellungsverfahren). Nahles – und damit auch der BA – sollte also bestens bekannt sein, dass monatliche Pauschalen als Indiz für eine mögliche Scheinselbstständigkeit gelten. Und dass die Wirtschaft noch immer hochgradig verunsichert ist. Misst die BA hier mit zweierlei Maß? 

Selbstständige sollen sich zudem kostenlos einarbeiten

Marcel Misch fand zudem heraus, dass sich auch die Praxis der kostenlosen Einarbeitung bei der BA fortzusetzen scheint (wir haben berichtet). Auch hierzu liegt uns eine Projektausschreibung vor, die Marcel mit der BA in Verbindung bringen konnte.Gesucht wurde ein ein IT-Architekt (m/w/d) für die Auswahl einer Open Source Virtualisierungsplattform, in diesem Fall mit Abrechnung auf Stundensatz-Basis. Auf die Forderung einer kostenfreien Einarbeitung wurde bereits im Titel der Ausschreibung hingewiesen. In der Projektbeschreibung ist zu lesen, dass “der Kunde eine kostenfreie Einarbeitung von ca 10% der Auftragssumme (ca. 56 Stunden)” fordert. 

Wichtig: Die von Marcel ausfindig gemachten Ausschreibungen stammen nicht von der Bundesagentur für Arbeit selbst, sondern werden von externen Agenturen beziehungsweise Personalvermittlern inseriert. Die BA unterhält also keine eigenen Vertragsbeziehungen mit Freelancer/innen, sondern die Beauftragungen erfolgen im Rahmen einer dreigliedrigen Kette von der BA über Auftragnehmer (= Agenturen, Personalvermittler) zu den Subunternehmern (= Selbstständige, Freelancer). Von Marcel im Rahmen einer Anfrage mit dieser Praxis konfrontiert, schob die BA schon im Januar die Verantwortung auf die Dienstleister und schrieb, dass die Regelung über die “kostenneutrale Einarbeitungszeit” nur für ihren Vertrag mit dem Auftragnehmer gelte. Was diese mit ihren Subunternehmern vereinbarten, entziehe sich der Kenntnis der BA (vgl. unseren Bericht zur kostenlosen Einarbeitung). 

BMAS greift nicht ein

Neu ist nun: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist über diese Praxis informiert und duldet sie offenbar. Marcel hatte sich mit einer entsprechenden Anfrage direkt an die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese (MdB SPD) gewandt. Die Antwort erhielt er von einem BMAS-Bediensteten, der im Auftrag der Parlamentarischen Staatssekretärin schrieb. Darin heißt es wörtlich: „Die Leistungsbeschreibung der Bundesagentur für Arbeit (BA), [darunter die kostenlose Einarbeitung], für das von Ihnen genannte Vergabeverfahren [9. RV-SE] ist dem BMAS bekannt.“

„Fragen der Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns sind nicht von der Aufsicht umfasst. Konkret bedeutet dies für die von Ihnen genannte Leistungsbeschreibung, dass die BA im Rahmen des geltenden Rechts eigenverantwortlich über die Ausgestaltung entscheidet. Das BMAS nimmt insoweit keinen Einfluss.“ Das BMAS ist damit bis in die Leitungsebene der Staatssekretäre über die Praxis der kostenlosen Einarbeitung bei der BA informiert, greift jedoch nicht ein.

BA muss ihre Vorbildfunktion wahrnehmen

Von Selbstständigen eine kostenlose Einarbeitung in kundenspezifische Themen, Strukturen, Tools oder andere Belange zu verlangen, ist nicht nur ethisch fragwürdig. Die Praxis könnte zudem von der öffentlichen Hand in die Privatwirtschaft “überschwappen” und dazu führen, dass von Selbstständigen zunehmend gefordert wird, in Teilen unentgeltlich zu arbeiten. Wir finden: Die Einarbeitung in Technologien und Methoden ist natürlich Aufgabe des Selbstständigen, die Einarbeitung in kundenspezifische Abläufe ist Teil der zu bezahlenden Leistung. Und: Als Organisation der öffentlichen Hand hat die Bundesagentur für Arbeit eine Vorbildfunktion, die sie dringend erkennen und wahrnehmen muss – auch und gerade, was den Umgang mit Selbstständigen angeht. 

Welche Erfahrungen hast du mit Pauschalhonoraren gemacht? Wann wurdest du zuletzt von einem privaten oder öffentlichen Auftraggeber mit einem solchen Festpreis-Dienstvertrag beauftragt?

Neuester Hilfreichster Kontroversester
Kommentar schreiben
Abbrechen

Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?

Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden

Zum Seitenanfang

#

#
# #