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VGSD-Mitglied Christa Weidner gewinnt Werner-Bonhoff-Preis 2016 - Interview

Christa Weidner (53) hat es geschafft: Die IT-Beraterin aus Aschheim bei München hat den mit 50.000 Euro dotierten „Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel 2016“ erhalten - den höchstdotierten Wirtschaftspreis Deutschlands. Wir hatten im Vorfeld über ihre Nominierung berichtet - sowie über den Fall des Erfinders Christoph Klein, der gestern Abend zusammen mit Christa als aussichtsreichster Anwärter auf den Preis galt.

Gruppenfoto mit den anderen Nominierten und den Vortragsrednern und Laudatoren des Abends

Nach Tim Wessels 2013 ist Christa bereits das zweite aktive VGSD-Mitglied, das den Bonhoff-Preis erhält, was uns natürlich mit Freude und Stolz erfüllt. Christa war von Februar bis Dezember 2015 zusammen mit Andy Bosch und Andreas Lutz Sprecherin der VGSD-Arbeitsgruppe „Scheinselbstständigkeit“ und ist vielen VGSD-Mitgliedern durch ihre Roadshow durch sechs Städte bekannt. Christa ist bis heute eine der ganz wenigen Betroffenen, die offen über ihre Erfahrungen mit der Deutschen Rentenversicherung (DRV) spricht.

Till Bartelt, Vorstand der Werner-Bonhoff-Stiftung, übergibt den Preis und einen Scheck über 50.000 Euro an Christa Weidner

Nachdem die DRV 2009 plötzlich ihre Entscheidungspraxis bei Statusfeststellungsverfahren geändert und alle ihre geprüften Freiberufler aus nicht nachvollziehbaren Gründen für scheinselbstständig erklärt hatte, musste Christa fünf Prozesse gegen die DRV führen, über einen Zeitraum von drei Jahren. Die Prozesse gewann sie zwar. Um sich aber zwischenzeitlich nicht durch die Beschäftigung anderer (mutmaßlich scheinselbstständiger) Mitarbeiter potenziell strafbar zu machen, musste sie ihr über Jahre hinweg aufgebautes Unternehmen auflösen und alle festen und freien Mitarbeiter kündigen.  (Zur Beschreibung von Christas Fall auf den Seiten der Bonhoff-Stiftung).

Wir haben im Anschluss an die Preisverleihung das folgende Interview mit ihr geführt (zur Dankesrede / zum Video):

Interview mit Christa Weidner: Ich habe vor Freude geweint – meine Kunden schauten mich irritiert an

Die glückliche Preisträgerin

VGSD: Herzlichen Glückwunsch zum Bonhoff-Preis 2016. Wie fühlst Du Dich?

Christa Weidner: Das ist ein sehr emotionaler Moment für mich. Als ich den Anruf erhielt, mit dem man mich informierte, dass ich die diesjährige Preisträgerin bin - da fing ich vor Glück, Stolz und Dankbarkeit an zu weinen. Ich war beim Kunden, und alle schauten mich irritiert an. Es ist ein Gefühls-Cocktail, der mich seitdem trägt. Das erste Mal, seit 2009, bin ich wieder eine Gewinnerin. Bin jemand, der etwas richtig gemacht hat, in diesem Fall sogar etwas, das für viele Menschen von Bedeutung ist.

VGSD: Auch wenn Du alle Prozesse gegen die DRV gewonnen und Recht bekommen hast - die falschen Bescheide der DRV haben dazu geführt, dass Du das von Dir aufgebaute Geschäft mit über 70 freien Mitarbeitern aufgeben musstest. Wie tief sitzt der Ärger?

Christa: Ich war mehr als drei Jahre, voller Zorn, war enttäuscht, verspürte Ohnmacht aufgrund der Willkür unserer Behörden, war verzweifelt, hatte Angst und verstand überhaupt nicht, was die Deutsche Rentenversicherung mir vorwarf. Das waren Argumente, die nicht passten zu meinen Konzepten und Arbeitsweisen. All’ diese Emotionen kosteten mich viel Kraft, so viel Kraft, dass ich nicht arbeiten konnte. Heute habe ich diese Emotionen nicht mehr. Ich habe das, was mir widerfahren ist, akzeptiert als Teil meines Weges. Und bin erst an die Öffentlichkeit gegangen, als ich frei von Wut und Kränkung war. Was bleibt ist die Erinnerung an all’ diese Gefühle.

 

Regelung sollte uns schützen, ist aber entgleist

Die Preisverleihung fand in der Landesvertretung von Schleswig-Holstein in Berlin statt

VGSD: Ist der Preis eine Genugtuung?

Christa: Der Preis ist eine Anerkennung und eine Bestätigung, dass ich doch nicht alles falsch gemacht habe. Die Regelung zur Scheinselbstständigkeit sollte uns Selbstständige ursprünglich mal schützen. Leider ist die Umsetzung entgleist und zerstört Existenzen anstatt sie zu schützen. Das ist schade, nicht zu entschuldigen und sollte dringend korrigiert werden. Genugtuung ist das falsche Wort. Das ist kein Kampf „Wir gegen die Rentenversicherung“, sondern ein Kampf für unsere Zukunft.

VGSD: Könnte das, was Dir passiert ist, heute wieder jemand geschehen?

Christa: Ja, natürlich. Die Gefahr ist sogar deutlich größer geworden. Gleichzeitig ist der Markt der Vermittler von Selbstständigen gerade in der IT stark gewachsen. Damals war ich ja selbst Vermittlerin. Viele hoffen einfach, dass es sie nicht trifft.

Tipp: Cool bleiben und alle Energie in Kundengewinnung investieren

VGSD: Welche Tipps hast du für Selbstständige, die durch die weiter anhaltende Rechtsunsicherheit in Auseinandersetzungen mit der DRV verstrickt werden?

Christa: Cool bleiben. Die Sache an einen Rechtsanwalt abgeben, der sich mit dem Thema auskennt. Hier hat der VGSD eine Liste auf seiner Webseite veröffentlicht. Und alle Energie in das Gewinnen neuer Kunden investieren. Aktuell sind unsere Auftraggeber in größerer Gefahr. Wir Selbstständige sollten uns jedoch mit den Kriterien intensiv auseinandersetzen und damit beginnen, unseren Arbeitsalltag und die Zusammenarbeit an diesen Kriterien ausrichten. Also, jeder Selbstständige sollte sich die Frage beantworten, wie er ein echter Selbstständiger im Sinne der Deutschen Rentenversicherung sein kann.

VGSD: Gibt es etwas, was du aus heutiger Sicht anders machen würdest?

Christa: Ganz grundsätzlich halte ich nichts davon, sich selbst mit Vorwürfen zu überhäufen nach dem Motto: „Hätte ich damals nur....“, denn hinterher ist man immer schlauer. Mir wurde irgendwann bewusst, dass ich ein neues Business aufbauen muss. Ab diesem Moment habe ich mich um das Wertvollste gekümmert, das ich meinen Kunden zu bieten habe: Mich und mein Know-How. Ich habe in meine Weiterbildung investiert. Ich empfand als Geschenk, was ich alles lernen durfte. So konnte ich neue Kraft, Mut und Klarheit gewinnen und damit beginnen, zu kämpfen und mich zu engagieren. Dabei darf man nicht vergessen, dass ich seit 2012 als selbstständige IT-Beraterin tätig bin und in diesem Zusammenhang auch immer noch potenziell den Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit ausgesetzt war.

 

VGSD hat mir Plattform gegeben – das steht auch anderen Selbstständigen offen

Andreas Lutz freut sich für Christa Weidner. Sie ist nach Tim Wessels bereits das zweite aktive VGSD-Mitglied, das den Bonhoff-Preis gewinnt.

VGSD: Du hast Dich beim VGSD im Sprecherteam der Arbeitsgruppe Scheinselbstständigkeit engagiert, u.a. bist Du durch sechs Städte gereist und hast in einer Roadshow Deine Erfahrungen geteilt, um zu dem Thema aufzurütteln. Was hat der VGSD aus Deiner Sicht erreicht, welche Ziele sollte er zu diesem Thema weiter verfolgen?

Christa: Zunächst einmal ein Riesen-Lob an Euch und das ganze VGSD-Team. Ihr seid bei dem Thema die erste Adresse. Eure Webseite bietet so viele Informationen und hat meist vor allen anderen die Informationen veröffentlicht. Überhaupt ist der VGSD mit seinem Angebot ein hilfreicher und wichtiger Verband für uns Selbstständige. Ich bin dem VGSD sehr dankbar dafür, dass er mir die Plattform gegeben hat, um dieses Thema, das für mich so wichtig ist, voranzutreiben. Das ist etwas, das auch anderen Selbstständigen, die sich für ein für sie wichtiges Thema engagieren wollen, offensteht. Ich finde, Ihr könntet Eure Mitgliedsbeiträge nach oben freigeben. Gut verdienende Selbstständige, wie die IT-Berater können und wollen vielleicht auch etwas mehr investieren. Ihr könntet davon mehr Mittel in öffentlichkeitswirksame Kampagnen investieren. Und das käme uns allen zugute. Ansonsten: bleibt so, wie ihr seid.

VGSD: Weißt Du schon, was Du mit dem Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro machen wirst?

Christa: Erst einmal gönne ich meiner Familie und mir eine kleine Belohnung. Die haben wir uns verdient, wie ich finde. Der Löwenanteil wandert aufs Konto. Die ganze Thematik hat unsere Rücklagen aufgebraucht und die haben wir noch nicht wieder in dem Maße aufgefüllt, damit ich beruhigt und entspannt sein kann. Und dann benötigen die Aktionen und Aktivitäten, die ich im Rahmen meines Aufklärungs- und Lösungskonzeptes umsetzen möchte auch finanzielle Mittel.

VGSD: Ist das Thema Scheinselbstständigkeit damit für Dich abgeschlossen oder wird es Dich auch in Zukunft weiterbeschäftigen?

Christa: Davon gehe ich aus. Mir ist dabei der Blick nach vorne wichtig: Aufklärung und Lösungen. Noch immer sind viele Selbstständige und deren Auftraggeber nicht auf dem aktuellen Stand und liefern der Deutschen Rentenversicherung aufgrund von Un- und Halbwissen Argumente. Hier möchte ich weiter Aufklärungsarbeit leisten.

Weitere Fotos in der Galerie unten sowie auf der Website der Stiftung.

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