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Lesetipp Fehlender Mutterschutz für Selbstständige "Ich habe Angst, dass eine Schwangerschaft meine Existenz zerstört"

Bonhoff-Preisträgerin Johanna Röh hat mit ihrer Initiative "Mutterschutz für Alle!" Stimmen zum Thema Schwangerschaft und Selbstständigkeit eingeholt. Viele bestürzende Aussagen von Frauen zeigen, wie schwer Kinderwunsch und Selbstständigkeit zu vereinbaren sind.

Selbstständige arbeiten oft bis zum letzten Tag der Schwangerschaft – was bei Schreibtischtätigkeiten schon sehr belastend ist, bei körperlichen Tätigkeiten oft nicht möglich oder mit großen gesundheitlichen Risiken verbunden

Der Mutterschutz für Selbstständige in Deutschland muss verbessert werden – darüber sind sich mittlerweile alle Parteien im Bundestag einig. Wie dies genau geschehen soll, ist allerdings unklar. Zuletzt gab es dazu im September eine Anhörung im Bundestag, zu der auch VGSD-Referentin Vera Dietrich eingeladen war. Dass es überhaupt so weit kam, ist Johanna Röh zu verdanken: Die Schreinermeisterin startete im Frühjahr 2022 eine Bundestagspetition, die auch der VGSD unterstützte. Die Petition wurde 112.000mal mitgezeichnet. Für ihr Engagement wurde Johanna Röh im November 2023 mit dem Werner-Bonhoff-Preis ausgezeichnet.

Zahl der Selbstständigen seit zwölf Jahren rückläufig

Während gerade die Erfolgsmeldung durch die Medien geht, dass 2023 in Deutschland mit 45,9 Millionen so viele Menschen erwerbstätig waren wie seit der Wiedervereinigung nicht, erscheint in der Nachricht nur als Randnotiz: Die Zahl der Selbstständigen ging erneut zurück. Sie sank um 30.000 und liegt bei 3,9 Millionen. Das ist im zwölften Jahr in Folge ein Rückgang. Ein fehlender fairer Mutterschutz ist dabei eine von vielen Bedingungen, die Selbstständigen das Leben schwer machen.

Mit ihrer Initiative "Mutterschutz für Alle!" führte Johanna im Frühjahr 2023 eine Umfrage zur Vereinbarkeit von Schwangerschaft und Selbstständigkeit durch. Die Umfrage wurde auf dem Instagram-Account der Initiative verbreitet und ist nicht repräsentativ. An ihr nahmen 1632 Personen teil. Durch die Verbreitung über den eigenen Instagram-Account ist die Erhebung sicher von einer gewissen Vorselektion geprägt. Das sollte man bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigen.

Gefühl, als Selbstständige alleine gelassen zu werden

Auch wenn man die Prozentzahlen nicht auf die Goldwaage legen sollte, zeigt sich in der Umfrage, dass die Herausforderung, Kinderwunsch und Erwerbstätigkeit zu verbinden, in der Selbstständigkeit als besonders groß empfunden wird. Oft stellt sich immer noch die Frage: "Gründe ich ein Unternehmen oder eine Familie?" In der Umfrage gaben 21,0 Prozent der Selbstständigen, die (noch) keine Kinder haben, an, aufgrund der Selbstständigkeit auf ihren Kinderwunsch zu verzichten. Umgekehrt gaben 13,4 Prozent an, ihre Selbstständigkeit aufzugeben, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Von denjenigen, die schon Selbstständigkeit und Schwangerschaft erlebt hatten, gaben mehr als ein Drittel (34,8 Prozent) an, aufgrund der Erfahrung auf ihren weiteren Kinderwunsch zu verzichten.

Besonders interessant an der Umfrage sind jedoch Aussagen, die in einem freien Antwortfeld gesammelt wurden. Hier konnten die Teilnehmerinnen von eigenen Erfahrungen berichten. In 258 Antworten erzählen sie von schweren Entscheidungen, existenziellen Sorgen und dem Gefühl, gerade als Selbstständige alleingelassen zu werden. Hier einige der zum Teil bestürzenden Aussagen:

"Ich habe meine Selbstständigkeit aufgegeben, da mir nach der Geburt meiner Tochter klar war, dass ich kein zweites Kind in der Selbstständigkeit bekommen möchte. Ich wünsche mir irgendwann ein zweites Kind und ich habe größten Respekt vor allen Müttern, die ein Kind/ mehrere Kinder in der Selbstständigkeit bekommen haben. Ich glaube mich würde eine weitere Schwangerschaft in der Selbstständigkeit und das darauf folgende erste Jahr, auf Grund mangelnder Absicherungsmöglichkeiten und der emotionalen Belastung, in den Ruin treiben. Deshalb habe ich mich entschieden vorher die Reißleine zu ziehen."

"Ich habe meine Selbstständigkeit aufgegeben, weil ein Kind finanziell nicht möglich gewesen wäre."

"Ich bin selbstständig und wünsche mir ein weiteres Kind. Leider wird das mit extremen finanziellen Einschränkungen verbunden sein. Wäre ich nicht selbstständig, wäre ich viel besser abgesichert und unterstützt!"

"Obwohl für mein Betätigungsfeld während der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot besteht, musste ich als selbstständige bis zwei Tage vor der Geburt weiterarbeiten, um mich wirtschaftlich abzusichern. Dadurch ging es mir und meinem Kind nicht gut. Es kam wegen starker körperlicher Betätigung durch die Arbeit zu einer Frühgeburt und mentaler Erschöpfung. Im Anschluss musste ich mit Baby auf dem Arm weiterarbeiten, auch während dem Wochenbett."

"Ich habe wahnsinnige Angst, dass eine Schwangerschaft meine Existenz zerstört. Aber ich weiß auch, dass ein unerfüllter Kinderwunsch meine Seele zerstören wird."

"Habe meine Tochter vor Beginn meiner Selbständigkeit bekommen. Habe durch meine Selbständigkeit den Wunsch nach einem zweiten Kind abgehakt. Ist für mich nicht vorstellbar, da das Risiko so hoch ist, nicht bis zum Schluss arbeiten zu können. Man müsste alles bis ins kleinste Detail abwägen. Habe mit Kleinkind schon so viele Fehltage, aufgrund der ganzen Kinderkrankheiten. Das bringt schon immer so viel Chaos. Ein zweites Kind unvorstellbar. Es fehlt absolut an finanzieller Absicherung in jeder Hinsicht."

"Ich habe bei all meinen 4 Kinder gleich nach 3 Wochen Pause (nach der Geburt) wieder angefangen, Vollzeit zu arbeiten (aufgrund des nicht Anspruchs auf Mutterschaftsurlaub) Auf lange Sicht war dies weder für Körper noch Geist gut."

"Ich habe mich bewusst für eine Festanstellung entschieden, als ich wusste, Mutter werden zu wollen. Im Nachhinein war das auch total richtig und wichtig, da ich während der Schwangerschaft Komplikationen hatte und mich Dank des Angestelltenverhältnisses ohne Angst um finanzielle Sicherheit, Krankschreiben lassen konnte bzw. Dann sogar Beschäftigungsverbot bekommen habe. In der Solo Selbstständigkeit hätte ich das niemals geschafft."

"Ich habe Abitur, eine Ausbildung, einen Hochschulabschluss, 10 Jahre lang als Angestellte gearbeitet und hohe Sozialabgaben geleistet. Mittlerweile bin ich erfolgreich (Solo-) Selbstständig und kann es mir Dank der aktuellen Gesetzeslagen nicht "leisten" als Selbstständige Kinder zu bekommen. Das ist traurig. Das ist Diskriminierung von Selbstständigen (Frauen)!"

"Ich hab ewig gewartet und gespart, um mir ein Baby leisten zu können. Jetzt wird es dennoch eng und ich arbeite schwanger weiter, obwohl meine Gyn mich für arbeitsunfähig erachtet. Ich kann mir die ärztlich verordnete Ruhe ganz schlicht nicht leisten, weil ich sonst pleite gehe."

"Ich hatte zwar eine relativ entspannte Schwangerschaft. Habe aber bis zum letzten Tag gearbeitet und hatte das Gefühl, dass ich mich gar nicht auf mein Kind und die Veränderung einstellen konnte. Zusätzlich lastet der finanzielle Druck auf einem. Ich hatte einfach das Gefühl, dass man komplett alleine gelassen wird."

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