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Update Update Gesetzesentwurf zur Senkung der KV-Mindestbeiträge unter der Lupe

Update (20.04.2018): Jens Spahn macht Tempo. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat heute den Referentenentwurf für ein "Gesetz zur Beitragsentlastung der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung" (kurz: GKV-VEG für "GKV-Versichertenentlastungsgesetz") vorgelegt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

VGSD-Vorstand Andreas Lutz wurde um eine Stellungnahme gebeten und zur Erörterung des Entwurfs ("Verbändeanhörung") für den 07.05.2018 ins Bundesgesundheitsministerium eingeladen - erstmals explizit auch in seiner Eigenschaft als Sprecher der bagsv!

Mit ihm gemeinsam die Interessen der Betroffenen vertreten werden auch der Bundesverband Kindertagespflege (BVKTP) sowie Jochen Clausnitzer vom BDD, mit dem (sowie dem BDÜ) wir an diesem Thema in den letzten zwölf Monaten eng zusammengearbeitet haben.

Des Weiteren wurden eingeladen: Die Spitzenverbände der Krankenkassen, die  Rentenversicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, Bundesversicherungsamt, Städte und Landkreise, Arbeitgeberverbände (BDI und BDA), die Gewerkschaften sowie Verbraucher- und Sozialverbände.

Wir haben den Gesetzesentwurf im Detail analysiert. Hier die wichtigsten Ergebnisse:

  • Die Erleichterungen für Selbstständige sollen tatsächlich – wie schon gestern berichtet (s.u.) – zusammen mit den meisten anderen Regelungen in Kraft treten. Die Umsetzung eilt, denn der GKV-Spitzenverband hält eine Vorlaufzeit von sechs Monaten für erforderlich. Die ebenfalls befragten Arbeitgeber, Krankenkasen und Rentenversicherungsträger benötigen drei Monate.
  • Die Mindestbemessungsgröße für hauptberuflich Selbstständige soll von aktuell 2.284 auf 1.142 Euro halbiert werden. (Sie berechnet sich dann als 30/80 statt bisher 30/40 der monatlichen Bezugsgröße von aktuell 3.045 Euro.) Im Koalitonsvertrag waren 1.150 Euro vorgesehen, diesen Betrag hat man der einfacheren Berechenbarkeit halber um 8 Euro reduziert.

Glatte Halbierung: Mindestbeiträge sinken von 420 auf 210 Euro

  • Entsprechend wird der Mindestbeitrag für Kranken- und Pflegeversicherung von ca. 420 auf 210 Euro/Monat sinken. Das Gesundheitsministerium spricht von einem durchschnittlichen Mindestbeitrag von 171 Euro (ohne Pflegeversicherung).
  • Die Härtefallregelung (niedrigerer Mindestbeitrag mit Bedürftigkeitsprüfung) und die Sonderregelung für Bezieher von Gründungszuschuss fallen ersatzlos weg: Der Mindestbeitrag liegt künftig niedriger als der bisherige ermäßigte Beitrag bei diesen Regelungen.
  • Auch die Sonderregelung für Kindertagesmütter und -väter läuft zum 31.12.2018 aus. Dadurch erhöht sich der Mindestbeitrag für diese Gruppe um ca. 20 Euro. Dafür gelten sie dann als hauptberuflich Selbstständige und haben bei entsprechender Absicherung Anspruch auf Krankengeld.

Durch das Gesetz sollen auch Beitragsschulden reduziert werden, hier spielen Selbstständige plötzlich keine große Rolle mehr

  • Außerdem enthält das Gesetz ein Maßnahmenpaket zur Reduzierung der hohen Beitragsschulden von zuletzt 6,3 Mrd. Euro. Während in den Medien bisher vor allem  Selbstständige für diese Beitragsschulden verantwortlich gemacht wurden, heißt es jetzt, sie seien weitestgehend auf die obligatorische Anschlussfinanzierung (OAV) zurückzuführen.
  • Bei den OAV geht es vereinfacht gesagt darum, dass Angestellte – oft Ausländer, die nur temporär in Deutschland beschäftigt sind – sich nach dem Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht bei ihrer Krankenversicherung abmelden, dann fiktiv zu Höchstbeiträgen weiter als Versicherte geführt werden, nicht auf Schreiben der Krankenversicherung reagieren und somit gewaltige Beitragsschulden entstehen. Diese sollen nun bereinigt werden.
  • Es wird sich dann zeigen, wie hoch die Beitragsschulden von Selbstständigen tatsächlich sind. Hier wäre es hilfreich, wenn die Krankenversicherungen künftig genauere Zahlen nennen müssten. Dann könnte betroffenen Selbstständigen gezielter geholfen werden.
  • Allerdings sind schon jetzt Vereinfachungen geplant, die hilfreich sein könnten: Eine Neuregelung ermöglicht es freiwillig Versicherten, die versäumt haben rechtzeitig ein geringeres Einkommen nachzuweisen und deshalb mit dem Höchstbeitrag eingestuft wurden, künftig auch rückwirkend noch ihre Beitragslast zu reduzieren. Diese Regelung müssen wir uns allerdings noch genauer anschauen.

Über diese Inhalte des Gesetzes wird man vor allem in der Öffentlichkeit sprechen

  • Weitere Änderungen im Gesetzespaket, die in der öffentlichen Diskussion sicherlich im Vordergrund stehen werden: Die krankenkassenindividuellen Zusatzbeiträge sind nicht mehr vom Arbeitnehmer alleine zu tragen, sondern hälftig vom Arbeitgeber ("paritätische Finanzierung"). Das führt laut BMG zu einer Umverteilung von ca. 4,5 Milliarden Euro von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern.
  • (Ganz paritätisch ist die Verteilung dann übrigens nicht, denn die Arbeitgeber müssen auch künftig die Umlagen für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Schwangerschaft usw. alleine tragen. Diese sind durchaus vergleichbar oder höher als die krankenkassenindividuellen Zusatzbeiträge.)
  • Zudem sollen die Krankenkassen, die laut Minister Spahn hohe Finanzreserven aufgebaut haben, gezwungen werden diese stärker als bisher abzubauen, indem man ihnen Höchstgrenzen vorgibt. So wird eine Senkung der (kassenspezifischen Zusatz-) Beiträge erzwungen, von der alle Versicherten profitieren. Das BMG spricht von 350 Millionen Entlastung.

Betroffene Selbstständige werden um 800 Millionen Euro entlastet

  • Zurück zur Absenkung der Mindestbeiträge: Das BMG schätzt, dass die betroffenen Selbstständigen durch die Reform um 800 Millionen Euro entlastet werden und die Krankenversicherungen entsprechende Mindereinnahmen hätten. Sie lassen dabei allerdings potenzielle Mehreinnahmen der Kassen außer acht, die sich dadurch ergeben könnten, dass nebenberuflich Selbstständige ihre Erwerbstätigkeit ausweiten und mehr bzw. erstmals Beiträge bezahlen (zum Beispiel, weil sie vorher familienversichert waren).
  • Das BMG spricht auch von erheblichen Einsparungen durch den Wegfall der Härtefallregelung. Bei 200.000 von der Regelung betroffenen Selbstständigen und einem Bearbeitungsaufwand von durchschittlich 10 Minuten betrügen die Einsparungen laut BMG ca. 1,6 Millionen Euro. Dabei rechnet das Ministerium mit "Stückkosten" von 8 Euro und Mitarbeiterkosten von 48 Euro pro Stunde. Wir vermuten, dass die Bearbeitung tatsächlich deutlich länger in Anspruch nimmt und Kosten und Einsparungen der Krankenkassen deutlich höher liegen.

Fazit: Die Reform ist ein wichtiger erster Schritt, aber weitere müssen folgen. Dafür müssen wir uns gemeinsam weiter einsetzen!

  • Dass die Mindestbemessungsgröße für Selbststädige auch nach der Absenkung auf 1.142 Euro noch immer deutlich über dem Wert für Angestellte (450 Euro) liegt, rechtfertigt das BMG wie folgt: Die "Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts (...) ermöglicht Selbstständigen anders als abhängig Beschäftigten eine gewisse Gestaltbarkeit ihres Einkommens, zum Beispiel den Abzug von Betriebsausgaben. Die besonderen Mindestbemessungsgrenzen für freiwillig versicherte Selbstständige dienen daher der Beitragsgerechtigkeit gegenüber den Arbeitnehmern, bei denen das Bruttoarbeitsentgelt der Beitragsbemessung zugrunde liegt." Diese Argumenation halten wir für problematisch und angreifbar. Letztlich unterstellt sie allen Selbstständigen ein Herunterrechnen ihres Gewinns durch private Ausgaben und Schwarzarbeit. Die große Mehrzahl der steuerehrlichen Selbstständigen wird für dieses unterstellte Fehlverhalten durch die Schlechterbehandlung gegenüber Angestellten bestraft.
  • Die nun nur noch rund 150 Euro niedriger liegende Mindestbemessungsgrenze für "nebenberuflich Selbstständige" wird im Gesetzesentwurf nicht erwähnt. Haupt- und nebenberuflich Selbstständige zahlen nach der Reform fast denselben Mindestbeitrag (Unterschied von nur ca. 20 Euro). Hier besteht noch Handlungsbedarf.
  • Außer acht bleibt bei der Reform auch die Ungleichbehandlung bei der Bemessungsgrundlage: Selbstständige zahlen im Gegensatz zu Angestellten und ihren Arbeitgebern Beiträge auch auf den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, auf Mieteinnahmen, Zinsen und Dividenden. Dadurch zahlen sie bei vergleichbarem Einkommen mindestens 20 Prozent mehr Beiträge als Arbeitgeber und -nehmer zusammen.
  • Die Senkung der Mindestbeiträge kann deshalb nur ein erster Schritt sein, weil es ansonsten bei Einführung der Altersvorsorgepflicht zu einer Überforderung vieler Selbstständiger – auch solcher mit mittlerem Einkommen – kommen wird. (Grenzbelastungen von teilweise 60 Prozent und mehr).
  • Trotzdem freuen wir uns aber sehr über diesen ersten Schritt und vor allem auch, dass er nun schon zum 01.01.2019 umgesetzt werden soll!
  • Die geplante Reform zeigt, dass sich unser gemeinsames Engagement lohnt. Bitte unterstütze unsere Petition für faire Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und hilf mit, dass auf den ersten Reformschritt noch weitere folgen!

Spahn will KV-Mindestbeiträge für Selbstständige schon zum 01.01.2019 reduzieren!

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

(Beitrag vom 19.04.18) Der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) möchte eine Reihe von Reformen mit Vorrang angehen, darunter auch die Absenkung der Mindestbemessungsgröße bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für "hauptberuflich" Selbstständige auf 1.150 Euro. Dies entspricht ungefähr einer Halbierung der monatlichen Mindestbeiträge von 420 auf ca. 210 Euro.

Zudem will sich sich Spahn auch mit den hohen Beitragsschulden beschäftigen, die eine Folge u.a. der bisher sehr hohen Mindestbeiträge sind.

Gesetzespaket noch vor der Sommerpause

Noch vor der Sommerpause wolle er Gesetzespakete zur Finanzierung, zur Pflegeversorgung und zur ambulanten ärztlichen Versorgung auf den Weg bringen, sagte Spahn am Mittwoch bei seinem ersten Besuch als Minister im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Die Reformvorhaben sollen möglichst zu Jahresbeginn 2019 wirksam werden.

"Geplant ist vor allem eine Beitragsentlastung für die gesetzlich Versicherten. So soll die hälftige Beitragszahlung (Parität) künftig auch für die Zusatzbeiträge gelten, die bislang allein von den Versicherten getragen werden. Zudem sind Entlastungen bei den Mindestkrankenversicherungsbeiträgen für kleine Selbstständige vorgesehen. Auch mit dem Thema Beitragsschulden will Spahn sich befassen" heißt es in einer Information des Bundestages.

Wir freuen uns sehr über eine zeitnahe Absenkung, sie kann aber nur der erste Schritt sein

Wir haben uns u.a. mit unserer Petition "Faire Beiträge" und mit einer gemeinsam mit BDD und BDÜ beim Institut für Gesundheitsökonomie (IfG) beauftragten Studie für eine Senkung der Mindestbeiträge eingesetzt und freuen uns sehr, dass Jens Spahn die Absenkung zeitnah angehen wird.

Wir halten allerdings in Hinblick auf die geplante Einführung einer Altersvorsorgepflicht noch eine weitergehende Absenkung und Angleichung auch der Beitragsbemessungsgrenze für zwingend nötig. Die Forderungen unserer Petition halten wir deshalb aufrecht und werden uns weiter für diese einsetzen.

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