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Inflationsausgleich bei Einkommensteuer Reichen die beschlossenen Maßnahmen gegen die kalte Progression aus?

Bundesfinanzminister Christian Lindner ist für eine automatische Anpassung der Einkommensteuertarife an die Inflation

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch auf Vorschlag von Finanzminister Christian Lindner folgende Maßnahmen gegen die kalte Progression beschlossen:

  • Das steuerfreie Existenzminimum soll von 10.347 Euro (1.1.2022) auf 10.632 Euro (1.1.2023, +2,8 Prozent) und 10.932 (1.1.2024, +2,8 Prozent) erhöht werden. Das Einkommen, bis zu dem Alleinstehende keine Einkommensteuer entrichten müssen, war vor Kurzem im Rahmen des ersten Entlastungspakets schon einmal rückwirkend zum 1.1.2022 erhöht worden (vorher betrug er 9.984 Euro).
  • Zugleich soll das Einkommen, ab dem der "Höchststeuersatz" von 42 Prozent greift, von 58.597 Euro (1.1.2022) auf 61.971 Euro (1.1.2023, +5,8 Prozent) und 63.514 (1.1.2024, +2,5 Prozent) steigen.

Reichen diese Erhöhungen der Eckwerte?

Anfang der Woche hatte das ifo Institut für 2022 eine Inflationsrate von 8,1 Prozent und für 2023 von 9,3 Prozent prognostiziert. Es handelt sich um die höchsten Preissteigerungen seit der Ölkrise in den Jahren 1973/74. Sollte es so kommen, wie das ifo vorhersagt, würden die von der Regierung geplanten Änderungen der Eckwerte nicht annähernd ausreichen, um die Teuerung auszugleichen.

Die Preise würden dann in den Jahren 2022 und 2023 zusammengenommen (mit Zinseszinseffekt) um 18,2 Prozent steigen, das Einkommen, ab dem der Höchststeuersatz greift, aber nur um 8,4 Prozent und das einkommensteuerfreie Existenzminimum lediglich um 5,8 Prozent (die bereits erfolgte unterjährige Erhöhung allerdings noch nicht eingerechnet).

Salamitaktik: Nach Vorliegen der Herbstprognose werden Eckwerte wohl nochmals deutlich steigen

Bei der Berechnung der neuen Eckwerte hat das Finanzministerium nicht die ifo-Zahlen, sondern die von der Bundesregierung beauftragte Frühjahrsprognose zugrunde gelegt. Diese schätzte im April dieses Jahres die Inflationsrate für 2022 noch auf 6,1 Prozent. Der Finanzminister wird die jetzt vom Kabinett beschlossenen Eckwerte deshalb nochmals nach oben anpassen, wenn die Herbstprognose der Bundesregierung vorliegt.

Vielleicht hilft diese schrittweise Lindner dabei, eine Maßnahme durchzusetzen, die bei SPD und Grünen zunächst auf Ablehnung stieß, weil Topverdiener in absoluten Zahlen mehr von der Reform hätten als Geringverdiener. Dabei profitieren von den beschlossenen Änderungen alle 48 Millionen Bürger/innen, die Steuern zahlen. Geringverdiener, die gar keine Steuern zahlen, müssen naturgemäß an anderer Stelle entlastet werden.

Was bedeutet "kalte Progression" eigentlich?

Es handelt sich um eine schleichende Steuerhöhung. Angenommen man kann das Gehalt – bzw. bei Selbstständigen den Gewinn – genau um die Inflationsrate erhöhen. Real verdient man nicht mehr – die Erhöhung wird komplett von der Inflation aufgefressen. Da man aber in absoluten Zahlen mehr verdient, steigt durch den progressiven Verlauf des Steuertarifs ("wer mehr verdient, muss höhere Steuern zahlen") trotzdem die Steuerbelastung. Folge: Obwohl man mehr verdient, hat man real weniger in der Tasche.

Durchschnittlich 192 Euro Entlastung pro Steuerzahler

Die durchschnittliche Entlastung pro Person beträgt auf Basis der anfangs genannten neuen Eckwerte 192 Euro pro Jahr. Niedrige Einkommen werden dabei laut Bundesfinanzministerium (BMF) prozentual am stärksten entlastet: Bei einem Einkommen von 15.000 Euro um ca. 10 Prozent, bei 30.000 Euro beträgt die Entlastung knapp 4 Prozent, bei 100.000 Euro ca. 1,5 Prozent.

Das Einkommen, ab dem die "Reichensteuer" von 45 Prozent gilt, bleibt übrigens unverändert. Das begründet das BMF wie folgt: "Die Inflation wirkt sozial ungerecht, denn kleinere Einkommen haben ein geringeres Budget, um gestiegene Preise für zum Beispiel Energiekosten abzufedern. In der Folge sind Geringverdiener stärker von der Inflation betroffen als größere Einkommen."

18 Milliarden Euro Mehrbelastung verhindert

Die Anpassung des Einkommensteuertarifs führt auf Basis der bisher beschlossenen Eckwert-Anpassungen im Jahr 2022 zu Mindereinnahmen von 18 Milliarden Euro. Allerdings gehe es dabei laut Lindner nicht um eine Entlastung der Bürger, sondern um die Verhinderung einer Mehrbelastung, zu der es andernfalls durch die Untätigkeit der Regierung komme. In Anspielung auf die viel diskutierte "Übergewinnsteuer" bei Energieunternehmen sagt er: "Es darf keine Überbesteuerung der Bevölkerung geben."

Das Bundesfinanzministerium legt übrigens seit 2015 alle zwei Jahre den sogenannten Steuerprogressionsbericht vor. Darin werden die Effekte der kalten Progression transparent dargestellt. Seit 2016 sei es gängige Praxis der Regierung, auf Basis des Progressionsberichts den Steuertarif im Einkommensteuergesetz an die jeweilige Inflationsrate anzupassen. Gerade in Zeiten hoher Inflation sei es, so das BMF, umso mehr geboten, dass an dieser Praxis festgehalten wird.

Kommt die automatische Anpassungen der Eckwerte?

Weil ein Konsens darüber nicht immer einfach herzustellen ist, möchte Lindner am liebsten noch einen Schritt weiter gehen und eine automatische Anpassung der Einkommensteuer an die Inflation einführen. Verschiedene andere Staaten praktizierten dies bereits.

Nicht jedem Koalitionspartner sei der Inflationsausgleich für die Steuerzahler gleich wichtig. Durch eine automatische Anpassung könnte man sich die resultierenden schwierigen politische Debatten ersparen. Steuererhöhungen passierten dann nicht mehr automatisch durch Untätigkeit oder eine gegenseitige Blockade. Wer die Steuerlast der Bürger erhöhen wolle, müsse für dieses Ziel dann politisch mit offenem Visier kämpfen.

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