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Jörn Freynick im Interview mit Cathi Bruns "Im Bündnis erhöhen wir den Druck auf das Arbeitsministerium"

"Wie wird Bürokratie für alle leichter?", fragt Unternehmerin und Autorin Cathi Bruns in ihrem aktuellen Newsletter, und sie fragt das auch unseren politischen Leiter Jörn Freynick. Der sagt: durch beharrliche Arbeit und im breiten Bündnis.

VGSD Leiter Politik Jörn Freynick und Cathi Bruns

In ihrem Newsletter "4 Mio+" teilt Cathi Bruns Woche für Woche ihre Gedanken zum Thema Unternehmertum und Selbstständigkeit. Bruns ist Unternehmerin und Autorin und setzt sich seit vielen Jahren für Selbstständigkeit und eine Arbeitskultur jenseits des Angestelltendaseins ein. In der jüngsten Ausgabe ihres Newsletters beschäftigt sie sich mit der Belastung durch Bürokratie und führt dazu ein Interview mit unserem Leiter Politik Jörn Freynick. Wir geben das Interview im Wortlaut wieder:

Cathi Bruns: Lieber Jörn, Selbstständige und Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie. Ist die Klage berechtigt und worin zeigt sich, dass Vorschriften überhandgenommen haben?

Jörn Freynick: Ja, diese Klage ist mehr als berechtigt. Die Bürokratie hat ein alarmierendes Ausmaß erreicht: Studien zeigen, dass Solo-Selbstständige im Durchschnitt sechs Stunden pro Woche für solche letztlich unproduktiven Aufgaben aufwenden – Zeit, die ihnen für Akquise, ihre Kunden und eigene Weiterbildung fehlt.

Neben dem hohen Zeitaufwand ist die zunehmende Rechtsunsicherheit ein Alarmsignal, das zeigt, dass Regierung und Verwaltung das rechte Maß verloren gegangen ist: Selbstständige müssen immer häufiger rechtlichen Rat in Anspruch nehmen, um alle Vorschriften erfüllen zu können, auch weil diese praxisfern sind und viele Fragen offen lassen. Wer sich keinen Anwalt und Steuerberater leisten kann, weiß oft gar nicht, was er oder sie alles tun müsste und steht mit einem Fuß im Gefängnis: Regelungen, von denen man noch nie zuvor gehört hat, können einen dann Existenz kosten.

Worin bestehen die drei größten Bürokratiebelastungen für Selbstständige und kleine Unternehmen?

Das wollte auch das Bundesjustizministerium von uns wissen und wir haben dazu unsere Mitglieder befragt. Dabei ist ein Ranking herausgekommen. Die drei größten Bürokratiemonster sind für mich das Statusfeststellungsverfahren, die Beitragsbemessung für Selbstständige in der Sozialversicherung sowie die komplizierten Regelungen bei der Umsatz- und Gewerbesteuer.

Besonders dramatisch ist die Lage beim Statusfeststellungsverfahren. Die Beauftragung von Selbstständigen ist durch BSG-Urteile und deren einseitige Auslegung durch die Rentenversicherung so unsicher geworden, dass Auftraggeber enormen Compliance-Aufwand treiben müssen, um Freelancer zu beauftragen, wenn sie die Aufträge nicht gleich an größere Firmen oder ins Ausland vergeben. Das verschärft den Fachkräftemangel. Inzwischen sind von diesem Thema auch die medizinische Versorgung und der Bildungsbereich betroffen, zum Beispiel bei der Integration von Geflüchteten. Mehrere Arbeitsgruppen im Bundesarbeitsministerium suchen mit der Deutschen Rentenversicherung nach Lösungen. Diese dürften aber in noch mehr Bürokratie beim Einsatz von Selbstständigen resultieren. Selbstständige zahlen mindestens 20 Prozent höhere Sozialversicherungsbeiträge als Angestellte, da ihre Beiträge auf dem Gewinn, nicht dem Bruttogehalt berechnet werden. Außerdem werden auch Miet- und Kapitalerlöse zur Berechnung herangezogen, bei Angestellten ist dies nicht der Fall. Dies führt zu einer finanziellen Überforderung und belastet Selbstständige unverhältnismäßig und ungerecht.

Der Gewerbesteuerfreibetrag ist seit 30 Jahren nicht angehoben worden, die unklare Abgrenzung von Gewerbetreibenden zu Freiberuflern kann Jahre später zu hohen Nachzahlungen führen. Ähnlich ist es bei Umsatzsteuerbefreiungen und Auslandsgeschäften: Hier drohen Nachforderungen, die Betroffene ihre Existenz kosten können. Der bürokratische Aufwand, dies zu vermeiden, ist sehr hoch.

Welche Vorschläge gibt es, um Selbstständige von Bürokratie zu entlasten?

Wie schon erwähnt, haben wir Berufsverbände eine Vielzahl von Vorschlägen zum Bürokratieabbau gemacht, das Bundesjustizministerium hat sie auch zusammengefasst und priorisiert.

Zum Statusfeststellungsverfahren haben wir unsere Verbesserungsvorschläge von Sozialversicherungsexperten priorisieren lassen. Das Ergebnis sind Positiv-Kriterien aber auch methodische Änderungen wie die Wiederherstellung einer bewährten Regelung aus der Vergangenheit. Mit unserem Verbändebündnis BAGSV werden wir den Druck auf das Arbeitsministerium weiter erhöhen und schmieden ein breites Bündnis, auch unter Einschluss der Auftraggeber. Zur Beitragsbemessung haben wir Vorschläge zur bürokratiearmen Umsetzung gemacht und in rund 30 Gesprächen mit Stakeholdern erläutert. Eine unserer drei Forderungen steht bereits im Koalitionsvertrag, aber das Gesundheitsministerium verweigert seine Umsetzung. Zur Gewerbe- und Umsatzsteuer machen wir ebenfalls konkrete Vorschläge, zuletzt mit einem von über 30 Verbänden mitgezeichneten Positionspapier zur Umsatzsteuerbefreiung für den Bildungsbereich im Rahmen des Jahressteuergesetzes.

Wie sind dabei die Fortschritte?

Die Proteste der letzten Monate zeigen: Der Frust über die enorme Rechtsunsicherheit und eine immer weiter steigende Zahl praxisferner bürokratischer Regelungen ist riesig. Bürokratieabbau ist Kärrnerarbeit, das geht nicht mal eben so am grünen Tisch. Der beste Weg ist unseres Erachtens das Einbeziehen von Betroffenen und ihren Verbänden in den Gesetzgebungsprozess – auf einer ganz konkreten Ebene. Der Staat kann sich hier viel von Produktentwicklung und Fokusgruppen in der Wirtschaft abschauen.

Die Beamten erklären den Teilnehmer/innen, was sie erreichen möchten und welche Regelungen und Formulare sie sich zu diesem Zweck überlegt haben. Sie spielen mit ihnen das Procedere durch, lernen dazu, formulieren Fragen weniger missverständlich, erkennen Überflüssiges und Unpraktikables – der Prozess wird dadurch im Idealfall für beide Seiten einfacher, die Betroffenen haben weniger Rückfragen und können ihre bürokratischen Pflichten schneller und zuverlässiger erledigen – ein Gewinn für beide Seiten.

Eine positive Entwicklung in dieser Legislaturperiode ist die Einführung so genannter Praxischecks. Es wird höchste Zeit, dass sie auch mit Solo-Selbstständigen und kleinen Unternehmen als Zielgruppe durchgeführt werden. Das Bundesjustizministerium hat letztes Jahr eine Anhörung zum Thema Schriftformerfordernis durchgeführt, die wir als sehr konstruktiv und konkret erlebt haben. Auch hierzu hatten wir im Vorfeld unsere Mitglieder befragt. Die entsprechenden Vereinfachungen werden schon bald in Kraft treten. Kompetenz einbringen, um Bürokratieabbau und Verbesserungen für Selbstständige zu erreichen, so macht unsere Arbeit Spaß!

Vielen Dank, lieber Jörn Freynick!

Hier geht es zur vollständigen Newsletter-Ausgabe.

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