Zum Inhalt springen
Netzwerktag für Selbstständige mit Barcamp am 14. + 15. Oktober 2024
Mitglied werden

Koalitionsausschuss Corona-Hilfen für Selbstständige verlängert, bleiben aber völlig unzureichend

Die Spitzen von CDU, CSU und SPD haben am Dienstag im Berliner Kanzleramt neben der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate auch die Corona-Hilfen für Selbstständige verlängert. Inhaltlich verbessern will man die Hilfen, die bisher bei nur wenigen Betroffenen ankommen, aber nur in einem Punkt: Das Schonvermögen bei Beantragung von Hartz IV soll erhöht werden. Um wie viel, ist allerdings noch nicht bekannt.

Für Solo-Selbstständige bleibt die Staatskasse verschlossen, für Arbeitnehmer wird sie weit geöffnet

Von dem Versprechen, es solle keine Vermögensprüfung geben, bleibt der Gesetzgeber weit entfernt. Einen direkten, unbürokratischen Zuschuss, der aufgrund der staatlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen auftretende Honorausfälle mindestens zu einem kleinen Teil ausgleicht und Betroffenen auf würdevolle Weise die Möglichkeit gibt, Lebenshaltungskosten, Miete und Krankenversicherung zu tragen, verweigert der Bund auch weiterhin.

Die beschlossenen Maßnahmen im Einzelnen: Erleichterter Zugang zu Hartz IV bis Ende 2020 verlängert

Der erleichterte Zugang zur Grundsicherung soll bis Ende 2020 verlängert werden. Hauptvorteil: wer in einer größeren, für Hartz-IV-Empfänger eigentlich nicht angemessenen, Wohnung lebt, darf darin noch bis zum zum Jahresende wohnen bleiben und erhält auch die entsprechend höhere Miete erstattet. Allen Betroffenen, die Anspruch auf Hartz IV haben, fällt hier sicher ein Stein vom Herzen. Ansonsten kann man von einem vereinfachten Antrag kaum sprechen, weiterhin gibt es viele Selbstständige, bei denen ein Antrag mit Anlagen mehr als hundert Seiten Umfang hat und denen am Ende trotzdem die Hilfe verweigert wird.

Dadurch, dass man Hilfen zum Lebensunterhalt nur über die Grundsicherung vergibt und nicht wie von uns gefordert über das Finanzamt oder wenigstens im Rahmen der Sofort- bzw. Überbrückungshilfe, entsteht ein Zuständigkeitswirrwarr bei den Behörden. Antragsteller müssen gegenüber dem Jobcenter zweimal jährlich ihre Einnahmen und Ausgaben schätzen und dann jeweils zwei mal dem Jobcenter Bericht erstatten – obwohl sie das am Jahresende auch gegenüber dem Finanzamt tun. Die Regeln sind dabei unterschiedlich, das wäre ja sonst zu einfach...

Soforthilfen werden teilweise bei der Berechnung der Grundsicherung abgezogen, auch wenn sie mit den Lebenshaltungskosten überhaupt nichts zu tun haben und eigentlich betriebliche Verluste ausgleichen sollen. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie durch das Nebeneinander an Zuständigkeiten eine riesige, nicht aufeinander abgestimmte Bürokratie entsteht – in der Regel mit dem Ergebnis, dass die Betroffenen keine effektive Hilfe erhalten.

Erhöhung des "Schonvermögens"

Die Regierung hat beschlossen, das Schonvermögen zu erhöhen, also wieviel verwertbares Vermögen man besitzen darf, ohne dass der Hartz IV-Antrag abgelehnt wird. Momentan sind das 60.000 Euro für den Antragsteller und 30.000 Euro für Angehörige. Viel zu wenig, wenn man bedenkt, dass gut die Hälfte der Solo-Selbstständigen über 50 Jahre ist und entsprechend der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen großenteils in "verwertbarer" Form für das Alter vorgesorgt hat, zum Beispiel in Form von Investmentfonds und ETFs, die man jederzeit – wenn auch unter Umständen mit erheblichem Verlust – liquidieren kann. Wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Deutsche nach dem Renteneintritt ca. 20 Jahre Lebenserwartung hat, belässt der Staat den betroffenen Solo-Selbstständigen also gerade einmal 3.000 Euro und ihren Angehörigen 1.500 Euro pro Rentenjahr.

Eine Erhöhung ist als dringend nötig. Wir sind gespannt, ob dem Gesetzgeber hier ein großer Wurf gelingt, fürchten aber eine Fortsetzung des "Weiter so". Die Erhöhung des Schonvermögens bedeutet ja auch das Eingeständnis, dass es bisher zu niedrig angesetzt war und man vielen Hilfebedürftigen in der akuten Corona-Krise die Unterstützung verweigert hat. Außerdem bleiben wir  dabei: Die Grundsicherung ist das falsche Instrument, um Solo-Selbstständigen in der aktuellen Situation auf unbürokratische Weise zu helfen.

Verlängerung der Überbrückungshilfe bis Ende 2020

Wenn die Überbrückungshilfe sinnvoll ausgestaltet wäre und unbürokratisch funktionieren würde, wäre die von Peter Altmaier vorab angekündigte und gestern vom Koalitionsausschuss bestätigte Verlängerung eine gute Nachricht. Nur ist sie das in keiner Weise. Es wird also mit großem Tam-tam eine Maßnahme verlängert, die – mindestens in Bezug auf Solo-Selbstständige – völlig unwirksam ist.

Das zeigen die Zahlen, die das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI) auf Anfrage der Grünen offengelegt hat (eine genauere Aufschlüsselung der Zahlen hat die ZEIT veröffentlicht): Einen Monat nach dem Start des Programms waren von den 25 Mrd. Euro nur 0,16 Mrd. beantragt worden, davon 0,0047 Mrd. an Solo-Selbstständige – das sind pro Solo-Selbstständigem 2,13 Euro. Dem steht ein durchschnittlicher monatlicher Einkommensausfall pro Selbstständigem von 885 Euro (bei Betroffenen entsprechend mehr). Danke für die großzügige Hilfe, Herr Altmaier!

Die Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt bringt es auf den Punkt:

"Es reicht nicht, Milliardenhilfen nur ins Schaufenster zu stellen. Die Bundesregierung trägt auch die Verantwortung dafür, dass die Gelder auch dort ankommen, wo sie dringend benötigt werden. (...) Dass sowohl von den Soforthilfen als auch den Überbrückungshilfen nur Bruchteile abgeflossen sind, zeigt wie sehr die Programme am Bedarf vieler Wirtschaftstreibenden vorbeigehen."

0,02 von 25 Milliarden Euro für Solo-Selbstständige

Am 22. August meldete das BMWI, inzwischen habe das beantragte Fördervolumen auf 0,7 Mrd. Euro zugenommen. Eine Aussage zu den Solo-Selbstständigen machte das Ministerium bezeichnenderweise nicht, hochgerechnet wurden davon 0,02 Mrd. Euro an Solo-Selbstständige vergeben.

Immerhin scheinen bei der Antragstellung, die nur Steuerberater und Rechtsanwälte (!) für ihre Mandanten vornehmen dürfen, inzwischen die schlimmsten technischen Probleme im Griff zu sein. Hamburgs Senator für Wirtschaft und Innovation Michael Westhagemann lobte das Verfahren: "Mit dem volldigitalisierten Antrags- und Bearbeitungssystem haben die IT-Entwickler ein gut handhabbares System geschaffen, über das die Hilfen schnell abgewickelt werden können, damit die Gelder auch zügig da ankommen, wo sie dringend gebraucht werden."

VGSD-Geschäftsführer Max Hilgarth der täglich mit Betroffenen telefoniert, die ihm ihre Situation schildern, in die sie unverschuldet geraten sind, kommentiert das obigen Zitat so: "Ich weiß gar nicht wofür wir noch Satire-Sendungen brauchen... Die Politiker sind leider sehr weit von der Realität der Betroffenen entfernt und suchen auch nicht das Gespräch, im Gegenteil."

Verlängerung des Kurzarbeitergelds auf 24 Monate - auf Kosten des Steuerzahlers

Im Koalitionsausschuss wurden aber auch wirksame Maßnahmen beschlossen, für die der Gesetzgeber tief in die Tasche der Steuerzahler greift: Das Kurzarbeitergeld  wurde auf 24 Monate verlängert. Zuvor hatte man bereits gegenüber den Arbeitnehmern die Höhe des Kurzarbeitergeldes und gegenüber den Arbeitgebern den Anteil der Kosten, die der Staat übernimmt, erhöht. Die Ausgaben für das Kurzarbeitergeld sind enorm. Die Reserven der Arbeitslosenversicherung sind bald aufgebraucht. Das entstehende Milliardendefizit soll künftig als Zuschuss (nicht als Darlehen, wie anfangs angekündigt) aus dem Bundeshaushalt an die Bundesagentur für Arbeit gezahlt werden. Das heißt auf Deutsch: Die Steuerzahler zahlen ab Herbst das Kurzarbeitergeld.

Selbstständige finanzieren also ab sofort das Kurzarbeitergeld mit. Selbst erhalten sie aber keines. Und zwar selbst dann, wenn sie in der Vergangenheit freiwillig Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlt haben. Gleiche Beiträge, geringere Leistung.

Tatsächlich ist es noch ungerechter: Während Angestellte künftig 24 Monate Kurzarbeitergeld erhalten und dann Arbeitslosengeld I, erhalten Selbstständige, die Beiträge bezahlt haben, oft noch nicht einmal das Arbeitslosengeld I. Wenn Sie nämlich versuchen, ihr Geschäft zu retten und dafür mehr als 15 Stunden pro Woche aufwenden, haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Wenn sie aus ihrer Selbstständigkeit Einnahmen generieren, werden ihnen diese ab 165 Euro monatlich vom Arbeitslosengeld I abgezogen. Kurzarbeiter dagegen dürfen bis zum bisherigen Bruttoeinkommen dazu verdienen - ohne dass es zu einer Anrechnung auf das Kurzarbeitergeld kommt.

Wir gönnen den Kurzarbeitern die Hilfe, aber wir würden uns wünschen, dass der Bund mit gleichem Maß misst, wenn er Hilfen für Selbstständige festlegt.

Fazit: Halbherzige Beschlüsse, die Solo-Selbstständige weiter im Regen stehen lassen

Von der kostspieligen Regelung profitieren einmal mehr Arbeitgeber und Gewerkschaften, mit dem Argument, dass sie bzw. ihre Mitglieder ja auch die Arbeitslosenversicherung finanziert hätten. Jetzt aber beginnen sie das Geld aller Steuerzahler auszugeben. Dass die Verantwortlichen  den betroffenen Solo-Selbstständigen, die ja auch in erheblichem Umfang zum Steueraufkommen beigetragen haben, auch in dieser Situation weiterhin effektive Hilfe verweigern, sagt viel über sie. In der Krise erkennt man den wahren Charakter.

Wir sind gespannt, wie hoch das Schonvermögen künftig ausfallen soll. Vielleicht belässt man den Solo-Selbstständigen dann ja 3.000 Euro mehr pro Lebensjahr in der Rente, da wären wir allerdings schon positiv überrascht.

Mit seinen halbherzigen (oder "hartherzigen"?) Beschlüssen lässt der Koalitionsausschusses die betroffenen Solo-Selbstständige weiter im Regen stehen. Von Gewerkschaften und Arbeitgebern dürfen wir uns leider keine Unterstützung erwarten. Unsere Aufgabe als Solo-Selbstständige ist es, selbst eine starke, unabhängige Interessenvertretung aufzubauen. Jeder Einzelne kann dazu beitragen. Jeder von uns hat auch die Möglichkeit, bei der nächsten Bundestagswahl seine Schlussfolgerungen zu treffen und dies vielleicht den Abgeordneten der großen Koalition vorab mitzuteilen. Vielleicht wird ihnen dann klar, dass wir gar nicht so wenige sind.

Radio-Interview mit Andreas Lutz zu den Maßnahmen

WDR5 sendete heute zwischen 13:00 und 13:30 im Rahmen des "Mittagsecho" ein Interview mit VGSD-Vorstand Andreas Lutz zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses.

Zur ARD-Audiothek

Neuester Hilfreichster Kontroversester
Kommentar schreiben
Abbrechen

Du möchtest Kommentare bearbeiten, voten und über Antworten benachrichtigt werden?

Jetzt kostenlos Community-Mitglied werden

Zum Seitenanfang

#

#
# #