Drei Wochen vor der entscheidenden Abstimmung über die Aktivrente im Bundestag haben dort am vergangenen Freitag (14.11.) vierzehn Abgeordnete Reden für und gegen die Aktivrente gehalten. Wir haben genau zugehört.
Wenn Politiker/innen im Bundestag über Selbstständige sprechen, ist es etwas anderes als wenn sie direkt mit Selbstständigen und ihren Vertreter/innen diskutieren. Sie sprechen zu allen Wähler/innen und können ihre Aussagen nicht auf eine bestimmte Gruppe maßschneidern. "Die Stunde der Wahrheit" nannten wir dies bei anderer Gelegenheit und "eine gute Gelegenheit, die Haltung der Fachpolitiker/innen zur Selbstständigkeit herauszufinden".
Am 14. November 2025 von neun bis kurz nach zehn Uhr bestand diese Gelegenheit (Tagesordnung des Bundestags). Du kannst dir die Aufzeichnung der Reden selbst anschauen, wir haben das Video mit dem Mitschnitt der Sitzung unten eingebettet (die Aussprache beginnt nach kurzer Vorrede durch die Bundestagspräsidentin bei Minute 1:57).
Generell kann man alle Bundestagssitzungen sowie viele Ausschusssitzungen in der Mediathek des Bundestags live oder im Nachgang als Mitschnitt anschauen. Zudem werden die Bundestagsdebatten auch von Phoenix live übertragen, im Fernsehen und auch als Livestream im Internet.
Den Wortlaut der Reden kann man auch in Form eines stenographischen Berichts nachlesen. In ihm ist auch vermerkt, welche Fraktionen Beifall klatschen und welche Abgeordneten Zwischenrufen machten und teils auch was sie riefen, während das im Video oft nur schwer herauszuhören ist.
Beraten wurde über den Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers für die Aktivrente. Offizieller Titel: "Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern".
Zudem hatte die AfD-Fraktion einen Antrag gestellt, in dem sie eine modifizierte Aktivrente vorschlägt: 1.000 statt 2.000 Euro Steuerfreibetrag pro Monat zusätzlich zum Grundfreibetrag, dafür auch für selbstständige Arbeit (einschließlich freiberuflicher, gewerblicher, Land- und Forstwirtschaft).
Eröffnet wurde die Aussprache von Lars Klingbeil. Das von ihm geführte Bundesfinanzministerium (BMF) hatte die Federführung bei der Entwicklung des Gesetzentwurfs. Die Reihenfolge der Redner/innen ist und ihre Redezeit entspricht grob der Größe ihrer jeweiligen Partei bzw. Fraktion und ist so angelegt, dass sich Regierung und Opposition abwechseln. Die Abgeordneten einer Fraktion können die Redezeit untereinander aufteilen, sich also gegenseitig Redezeit "abtreten".
Hier die Reihenfolge, in der die Abgeordneten gesprochen haben:
- Lars Klingbeil (SPD)
- Gerrit Huy (AfD)
- Fritz Güntzler (CDU)
- Sascha Müller (Grüne)
- Sören Pellmann (Linke)
- Frauke Heiligenstadt (SPD)
- Diana Zimmer (AfD)
- Matthias Hiller (CDU)
- Armin Grau (Grüne)
- Sarah Vollert (Linke)
- Parsa Marvi (SPD)
- Christian Douglas (AfD)
- Oliver Pöpsel (CDU)
- Heiko Hain (CSU)
Auf der Seite des Bundestags über die Debatte findest du Fotos aller Redner/innen, mit einem Klick auf das Foto kannst du direkt an den Beginn ihrer jeweiligen Rede springen und sie abspielen.
Hier kannst du die Sitzung direkt ansehen:
Ähnlich wie viele andere Redner/innen der Regierungskoalition nach ihm lobt Lars Klingbeil die Arbeit der Koalition. Klingbeil geht nur vergleichsweise kurz auf das eigentliche Thema Aktivrente ein: "Wer in Zukunft freiwillig länger arbeiten wird, hat ein echtes Plus im Portemonnaie", sagt er und schränkt dies sogleich auf "Menschen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung" ein. Durch diese Zusatzbedingung entlaste man die Sozialversicherung.
Selbstständige erwähnt Klingbeil nicht – auch nicht die Tatsachen, dass viele von ihnen pflichtweise oder freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und noch viel mehr von ihnen freiwillig in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung einzahlen (nämlich 72 Prozent der Solo- und 66 Prozent aller Selbstständigen). Zur steuerlichen Ungleichbehandlung zwischen Jüngeren und Älteren sagt er: "Wir dürfen keinen Generationenkonflikt herbeireden."
"Natürlich differenzieren wir ... im Steuerrecht mit entsprechenden Begründungen!"
Auch seine Kollegin Frauke Heiligenstadt spricht zunächst über die vielen Entscheidungen, die die SPD für eine "bessere Rente" durchgesetzt habe.
Denen, "die nach Erreichen des Renteneintrittsalters einen Beitrag leisten möchten" sagt sie: "Das wird honoriert, wenn ihr eure Erfahrungen, wenn ihr eure Expertise, eure Erkenntnisse zusätzlich über die Regelaltersgrenze einsetzt."
In Hinblick auf die Selbstständigen und Jüngeren stelle sich sie die Frage: "Darf man an der Stelle differenzieren?" – Antwort: "Natürlich differenzieren wir ... im Steuerrecht mit entsprechenden Begründungen!" – Es handle sich um eine sehr überschaubare Gruppe von Menschen, die in den Genuss der Aktivrente kommen könne. Damit will Heiligenstadt nach meinem Verständnis zum Ausdruck bringen, dass die Aktivrente sehr zielgenau wirke.
Parsa Marvi als dritter Redner der SPD erklärt eine gute Rente zu einer Frage des Respekts vor der Lebensleistung der Menschen. In Hinblick auf den Ausschluss der Selbstständigen sagt er – ohne diese explizit zu nennen -, man müsse zielgenau mit den finanziellen Mitteln umgehen. Die Fokussierung auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sei absolut verantwortungsvoll und gerechtfertigt – "zielgenau statt Gießkanne", das sei der richtige Weg.
Bei Fritz Güntzler, dem finanzpolitischen Sprecher der CDU und ihrem ersten Redner, irritierten einige Ungenauigkeiten: Er spricht von einem Steuervorteil von "300 bis 400 Euro". Tatsächlich sind es nach unserer Berechnung 500 bis 920 Euro Steuervorteil pro Monat. Beim Renteneintrittsalter nennt er 66 Jahre und zwei Monate. Dies ist zutreffend für das Jahr 2025. Die Aktivrente gilt jedoch ab 1.1.2026 und damit für ein Renteneintrittsalter von 66 Jahren und vier Monaten.
Was die vom BMF berechneten Mindereinnahmen angeht, behauptet Güntzler, ohne Aktivrente würde es die zusätzliche Arbeitsleistung und damit den berechneten Steuerausfall gar nicht geben: "Das sind Steuereinnahmen, die wir gar nicht hätten, weil die Menschen ja gar nicht arbeiten (würden)." Er unterstellt also nach meinem Verständnis, die vom BMF kalkulierten Mindereinnahmen bezögen sich auf die steuerfrei gestellten Einkommen aus zusätzlicher erbrachter Arbeit. Tatsächlich beziehen sich die im Gesetzentwurf genannten 890 Millionen Euro jedoch ausschließlich auf die Mindereinnahmen bei Rentner/innen, die schon jetzt einer angestellten Tätigkeit nachgehen, Mindereinnahmen auf Einkommen aus zusätzlich erbrachter Arbeit sind darin gar nicht berücksichtigt.
"Fachlich nicht so schnell gegangen"
Die Selbstständigen vertröstet Güntzler auf die Evaluation, die in 2028/29 durchgeführt werden soll: "Wir werden schauen, ob wir auch die Selbstständigen einbeziehen." Eine sofortige Einbeziehung der Selbstständigen wäre "fachlich nicht so schnell gegangen". Gerne hätten wir als VGSD die Union bzw. Koalition hier fachlich unterstützt und haben dazu in den vergangenen Monaten immer wieder das Gespräch gesucht, das man jedoch verweigerte mit Hinweis auf den (damals) noch nicht vorliegenden Gesetzesentwurf.
Der Moderator auf Phoenix fasst Güntzlers Rede zusammen mit "Er kritisiert die Kritiker". Denn Güntzler hält nicht sonderlich viel von den in Bezug auf die Aktivrente eher zurückhaltenden Prognosen der Volkswirte von DIW, IW Köln und Co zur Aktivrente. Dieese würden sich häufig irren.
Im Gegensatz dazu zitiert Oliver Pöpsel, dritter Redner der CDU, eine Studie der Bertelsmann-Studie, die die Aktivrente positiv bewertet. "Da nimmt er natürlich gerne nur die positiven Studien", wird der Phoenix-Moderator dies später kommentieren.
"Da kann man jetzt mit der Lupe hinschauen, wem das jetzt nichts nutzt"
Pöpsel spricht davon, wertvolles Fachwissen im Arbeitsmarkt halten zu wollen. Das sei soziale Gerechtigkeit! Was die Selbstständigen betrifft, verweist er darauf, man werde ja beginnend in zwei Jahren evaluieren. Bezogen auf die Gegenwart sagt er: "Und da kann man jetzt mit der Lupe hinschauen, wem das jetzt nichts nutzt und wer noch besser besser berücksichtigt werden könnte."
Matthias Hiller, der zweite CDU-Redner, verzichtet auf das Zitieren von Studien, obwohl er Professor für Rechnungswesen und Steuerlehre ist.
In Hinblick auf die Selbstständigen sagt er (ohne diese explizit zu nennen), es handle sich um einen Gesetzesentwurf, der niemand etwas wegnehme, sondern vielen etwas gebe: "Alle, die nach dem Erreichen des Regeleintrittsalters weiterarbeiten wollen, können es und können in Zukunft zusammen mit dem Grundfreibetrag bis zu 36.000 Euro im Jahr steuerfrei hinzuverdienen."
Alle? – Das Gesetzesvorhaben sei noch nicht das Ende der Reise, es berücksichtige noch nicht alle, fährt Hiller fort. Die Union befürworte einen größeren Umfang. Man wolle aber dort beginnen, wo man schnell starten könne, mit geringem bürokratischem Aufwand: "Lieber gut starten als perfekt zögern."
"Wer im Alter noch etwas bewegen will, wird (...) durch dieses Gesetz bestärkt"
Die vielen Zuschriften, die sein Büro zur Aktivrente erhalten hat und die umfangreiche Berichterstattung über das Aktivrentengesetz interpretiert er so, dass es ein großes Interesse an der Aktivrente gibt.
Zusammenfassend sagt Professor Hiller: "Wer einen zusätzlichen steuerfreien Hinzuverdienst gut gebrauchen kann, wer Freude an der Arbeit hat, weil er gebraucht wird, wer seine Erfahrung an die junge Generation weitergeben will, der kann das tun, jetzt mit der Aktivrente. (...) Wer im Alter noch etwas bewegen will, wird nicht ausgebremst, sondern durch dieses Gesetz bestärkt."
Für die CSU spricht Heiko Hain. "Wer arbeiten will, wer gestalten will, soll dies auch können und zwar mit mehr netto vom brutto." In Zeiten des Fachkräftemangels könnten wir es uns nicht leisten, vorhandene wertvolle Erfahrung brachliegen zu lassen – Hain nennt hier das Handwerk als ein Beispiel, obwohl viele Handwerker ja selbstständig tätig sind. "Wer länger arbeitet, hat am Ende auch mehr. Dieses Prinzip der Leistungsgerechtigkeit ist uns als Union besonders wichtig. Arbeit soll sich lohnen."
Auf die Selbstständigen, warum sie von der Aktivrente ausgeschlossen sind und den Wert ihrer Erfahrung, geht Hain in seiner Rede nicht ein. Er zählt abschließend auf, was die Bundesregierung alles versprochen und gehalten hat. Sein Fazit: "Es gilt auch bei der Aktivrente: Versprochen und gehalten."
Für die Grünen spricht zunächst Sascha Müller. Der Obmann des Finanzausschusses wird am Mittwoch dieser Woche auch Gast bei unserer Onlinekonferenz zur Aktivrente sein.
Müller geht vergleichsweise ausführlich auf die Selbstständigen ein. Nachdem er die 30.000 von der Bundesregierung erhofften zusätzlichen Vollzeitäquivalente durch die Aktivrente den jährlich 400.000 aus dem Arbeitsmarkt ausscheidenden Arbeitnehmern gegenüberstellt hat, weist er auf die erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken des Gesetzes hin, wie sie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags auf Müllers Anfrage hin herausgearbeitet hat. Er nennt hier die Diskriminierung der Jüngeren und der selbstständig im Alter Tätigen. "Da müssten bei Ihnen doch alle Alarmglocken klingeln. Ich verstehe nicht, wie sie uns das hier vorlegen können", sagt er über den Gesetzesentwurf.
Wie Matthias Hiller (CDU) weist er auf die große Zahl von Schreiben hin, die in seinem Büro zur Aktivrente eingegangen sind – und dass auch bereits Klagen gegen das Gesetz angekündigt wurden. Statt die reichlich vorhandenen Gerechtigkeitslücken im Steuerrecht (er meint hier insbesondere Vorteile von Spitzenverdienern und Vermögenden) zu beseitigen, schaffe die Regierung mit den Aktivrenten-Gesetz neue Ungerechtigkeiten.
"Ich verstehe nicht, wie sie uns das hier vorlegen können"
Auch Müllers Kollege, der Medizin-Professor Armin Grau, geht, wenn auch kürzer, auf uns ein: Das Gesetz schließe Selbstständige aus und schaffe viele neue Ungerechtigkeiten und Verwerfungen. Es stelle sich die Frage, ob das Gesetz nicht gegen Artikel 3 Grundgesetz verstoße.
Grau teile zwar das Ziel der Aktivrente, dass mehr Rentner/innen im Alter freiwillig arbeiten, das vorliegende Gesetz sei aber ungerecht. Wer gesundheitliche Einschränkungen habe, bleibe ausgeschlossen (vgl. dazu unser Beitrag zur Altersdiskriminierung, die auf das Thema Vorerkrankungen und gesundheitliche Einschränkungen eingeht)
Ganz sicher sei die Aktivrente kein Mittel gegen hohe Altersarmut. Grau weist darauf hin, dass man zwar neben der Altersrente beliebig hinzuverdienen könne, wer aber seine Rente durch Grundsicherung aufbessern müsse, kann nur 30 Prozent des Hinzuverdienstes behalten. Eine Änderung dieses Satzes würde für eine deutliche Erhöhung der Mehrarbeit im Alter sorgen.
Gerrit Huy als erste AfD-Rednerin sagt, dass es einfacher sei, "ältere Menschen im Arbeitsprozess zu halten als ausländische Zuwanderer neu einzubinden". Diese landeten vielmehr schnell im Sozialsystem. Ein solcher Hinweis darf bei der AfD offenbar nicht fehlen.
Huy spricht weiter von "dem unfassbar hohen Freibetrag von 24.000 Euro". Sie geht dann auf die – auch von anderen Redner/innen geäußerte – Sorge ein, dass durch die sehr hohe Steuervergünstigung die Arbeit älterer Menschen die Arbeit Jüngerer verdrängen könnte.
"Wir machen es angemessener und gerechter als die Union"
Huy stellt den Antrag der AfD vor, mit dem diese – wie eingangs beschrieben – den von der Regierung vorgeschlagenen Steuerfreibetrag von 2.000 auf 1.000 Euro pro Monat reduzieren und dafür Selbstständige mit einbeziehen möchte. So könnten diese ihr Geschäft länger fortführen, zusätzlich fürs Alter vorsorgen und die Chance vergrößern, einen Nachfolger zu finden: "Wir machen es angemessener und gerechter als die Union."
Zweifel kommen auf, als sie über die Kosten spricht, diese betrügen bei dem AfD-Vorschlag nur gut die Hälfte dessen, was das BMF für "seine" Aktivrente an Mindereinnahmen schätzt. Tatsächlich ist der von der AfD vorgeschlagene Steuerfreibetrag nur halb so hoch, andererseits gibt es viele, die schon jetzt selbstständig im Alter arbeiten und dann ebenfalls von der Aktivrente profitieren würden, was die Kosten erhöhen würde. Aus dem AfD-Antrag ist nicht eindeutig herauszulesen, ob die AfD wie die Koalition in ihrem Gesetzesentwurf auf den Progressionsvorbehalt verzichten will oder nicht. Mit Progressionsvorbehalt wären die Kosten, allerdings auch der Steuervorteil pro Kopf deutlich niedriger.
Petition angeschaut
Diana Zimmer, die als zweite Abgeordnete für die AfD spricht, stellt Selbstständige in den Mittelpunkt ihrer Rede. Viele Selbstständige wären rentenversicherungspflichtig und sollten trotzdem leer ausgehen. "Wie will die Bundesregierung das begründen?" Selbstständige seien keine Erwerbstätigen zweiter Klasse. Mehrere ihrer Argumente kommen einem bekannt vor, wenn man unsere Petition zur Aktivrente gelesen hat. Das hat sie offenbar auch getan, erwähnt VGSD, BAGSV und die gemeinsame Petition sogar ausdrücklich in ihrer Rede. Sie hält damit sicherlich die selbstständigen-freundlichste Rede des Morgens. Wir wünschten uns, es wäre eine Abgeordnete der Union gewesen, die ihre Rede gehalten hätte...
Christian Douglas als dritter Redner der AfD-Fraktion geht nur kurz auf den Ausschluss der Selbstständigen ein, den er für verfassungsrechtlich bedenklich hält. Den Schwerpunkt seiner Rede legt er auf die Widersprüche der bestehenden Rentenpolitik, die einerseits mit der "Rente mit 63" und steuerlich geförderter Altersteilzeit Anreize setzt, die Anstellung deutlich vor dem Renteneintrittsalter zu beenden, um dann andererseits mit steuerlichen Anreizen wie der Aktivrente zu versuchen, dass die Erwerbstätigkeit nach dem Renteneintrittsalter wieder aufgenommen wird. Damit spricht er einen Punkt an, den DIHK und Arbeitgeberverbände in den Mittelpunkt ihrer Stellungnahmen zum Aktivrentengesetz gestellt haben.
In der ersten der beiden Reden der Linken-Fraktion geht Sören Pellmann überhaupt nicht auf die Aktivrente ein und damit auch nicht auf den Ausschluss der Selbstständigen. Die Bundestagsabgeordneten könnten sorgenfrei auf ihr Rentenalter schauen, sagt er, während für die gesetzlich Rentenversicherten durch die Hartz-Reformen das Rentenniveau von 53 Prozent auf 48 Prozent gesunken wäre, was zu weit verbreiteter Altersarmut geführt habe. "Das war Ihr Beitrag zur Stadtbilddebatte. Heute sehen wir Rentnerinnen und Rentner flaschensammelnd in unseren Innenstädten." Seine Lösung: Die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung.
"Upsi!"
Pellmanns Kollegin Sarah Vollert nutzt Einsprengsel aus der Jugendsprache zur Auflockerung ihrer Rede: Mega-nice, geil, Spitze, ui, hmm, schräg, puh, upsi. Sie verweist auf Studien von DIW und IW Köln, die kritisieren, dass die Aktivrente vor allem gut verdienenden und gesunden Rentner/innen zugute kommen und den hohen Kosten eine überschaubare Zahl zusätzlich geleisteter Arbeitsstunden gegenüberstehen: "Ich dachte es muss dringend gespart werden?"
Sie weist auch darauf hin, dass Selbstständige ausgeschlossen sind, obwohl sie doch oft besonders auf einen Hinzuverdienst im Alter angewiesen seien. Das sei sozialer Sprengstoff. Ebenso wie die Ungleichbehandlung von jungen und älteren Erwerbstätigen.
"Wertvolles Fachwissen im Arbeitsmarkt halten", "Arbeit soll sich lohnen", "Respekt vor der Lebensleistung der Menschen", "Leistung anerkennen", "Freude an der Arbeit", "nicht diejenigen ausbremsen, die etwas bewegen will" – diese Ziele teilen wir. Sie aber für die Aktivrente in Anspruch zu nehmen und zugleich Selbstständige auszuschließen, kann man so auffassen, dass deren Fachwissen, deren Arbeit, deren Lebensleistung von den Redner/innen nicht in gleichem Maße respektiert wird. Hier fehlte es einem Teil der Vortragenden deutlich an Empathie.
Unverständlich ist auch, dass die Vorschläge und Bedenken des Finanzausschusses des Bundesrats in der Debatte nicht diskutiert oder zumindest angesprochen wurden. Dieser hatte die Bundesregierung aufgefordert, rentenversicherungspflichtige Selbstständigen sowie freiwillig versicherte Selbstständige bei der Aktivrente zu berücksichtigen. Er hatte die Ungleichbehandlung kritisiert und zudem - wie ursprünglich im Gesetzesentwurf vorgesehen - die Anwendung des Progressionsvorbehalts gefordert.
Ausschluss Selbstständiger ist schwerer politischer Fehler
In Gesprächen mit Vertreter/innen von SPD, Union und Grünen über die Aktivrente haben wir diese in den vergangenen Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass der Ausschluss der Selbstständigen von der Aktivrente nicht nur extrem ungerecht und ein wirtschaftspolitischer Fehler ist (vgl. Argumente in unserer Petition), sondern auch ein schwerer politischer Fehler in Hinblick auf die AfD. Schon als die Tagesschau am 15.10. über den Kabinettsbeschluss für die Aktivrente berichtete, war es die AfD, die den Ausschluss der Selbstständigen am deutlichsten ansprach. Dies wiederholte sich in der hier beschriebenen Bundestagsdebatte.
Bisher haben die Selbstständigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überproportional FDP, Union und Grüne gewählt, eher unterproportional die AfD (Analyse Wahlverhalten bei Bundestagswahl 2025) Wir sehen die Gefahr, dass sich dies durch die offensichtlich ungerechte Behandlung der Selbstständigen bei der Aktivrente ändern könnte und appellieren insbesondere an die Union, die Anliegen der Solo- und Kleinstunternehmen wahrzunehmen, öffentlich zu diskutieren und ihnen bei Verhandlungen mit dem Koalitionspartner SPD höhere Priorität zu geben als dies offensichtlich bisher der Fall ist.
Es ist nicht zu spät für eine faire Aktivrente
Idealerweise nutzt die Union die anstehenden Beratungen im Finanzausschuss, um die Aktivrente mit der SPD neu zu verhandeln und ihr ursprüngliches Ziel einer Einbeziehung der Selbstständigen durchzusetzen. Die Einbeziehung der Selbstständigen darf nicht von einer Evaluation in drei bis vier Jahren abhängig gemacht werden, um dann erst in fünf Jahren eingeführt zu werden. Sie sollte spätestens mit Wirkung zum 1.1.2027 nachgeholt werden.
Bitte unterstütze unsere Forderung nach einer fair ausgestalteten Aktivrente, zeichne unsere Petition mit und empfehle sie weiter!
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