Der Bundestag hat heute Mittag mit den Stimmen von Union und SPD das Aktivrentengesetz beschlossen – Selbstständige bleiben ausgeschlossen. Stoppen kann dieses Gesetz nun nur noch der Bundesrat. Wann, warum, mit welchen Mehrheiten und welchen Folgen?
Der Bundestag hat heute das Aktivrentengesetz in unveränderter Form beschlossen: Bei Arbeitnehmer/innen im Rentenalter bleiben die ersten 2.000 Euro steuerfrei, Selbstständige dagegen sind von dieser Vergünstigung ausgeschlossen – und zahlen künftig 500 bis 920 Euro Steuern pro Monat mehr als Angestellte mit gleichem Einkommen.
Aufhalten kann das Gesetz nur noch der Bundesrat, der am am 19.12.2025 in seiner 1060. Sitzung darüber entscheiden wird. Die Abstimmung steht noch nicht auf der Tagesordnung des Bundesrats, wir gehen aber davon aus, dass es bei diesem Datum, also bei der letzten Bundesratssitzung in diesem Jahr, bleibt.
Ist das Aktivrentengesetz zustimmungspflichtig?
Hat der Bundesrat beim Thema Aktivrente überhaupt mitzuentscheiden? Das ist bei zustimmungspflichtigen Gesetzen der Fall. Dazu zählen Gesetze, die die Verfassung und die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder ändern. Vor allem aber Gesetze, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben. Hierunter gehören auf der Einnahmeseite alle Gesetze über Steuern, an deren Aufkommen die Länder und Gemeinden beteiligt sind (Artikel 105 Absatz 3 Grundgesetz).
Dies trifft für die Lohn- und Einkommensteuer zu, um die es bei der Aktivrente geht. Der Gesetzesentwurf zur Aktivrente geht von jährlichen Mindereinnahmen von 890 Millionen Euro aus (Sachverständige teilweise von bis zu 2,2 Milliarden Euro). 15 Prozent davon entfallen auf die Gemeinden, der Rest verteilt sich hälftig auf Bund und Länder (je 42,5 Prozent).
Der Bundesrat hat bereits konkrete Änderungsvorschläge gemacht
Es geht also um viel Geld für die Länder, die ja ohnehin über leere Kassen klagen. Deshalb ist von einer Zustimmungspflicht des Bundesrats auszugehen und deshalb hat der Finanzausschuss des Bundesrats bereits über das Gesetz beraten und konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht, unter anderem folgende:
- Wenigstens diejenigen Selbstständigen, die nach § 2 SGB VI rentenversicherungspflichtig sind, sowie die, die freiwillig Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, sollten laut Bundesrat von der Aktivrente profitieren.
- Der Progressionsvorbehalt sollte beibehalten werden, um nicht Rentner/innen mit hohem Einkommen stärker zu begünstigen als solche mit geringem Einkommen.
Bei der Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages wurden allerdings nur zum zweiten dieser beiden Punkte Fragen gestellt, die Experten stellten sich hierbei hinter die Vorschläge des Bundesrats.
In ihrer Erwiderung ging die Bundesregierung nicht auf Argumente des Bundesrats ein
Mit der Drucksache 21/2984 hat die Bundesregierung die Empfehlungen des Bundesrats selektiv wiedergeben und darauf geantwortet ("Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung").
Auf den kostspieligen Verzicht auf den Progressionsvorbehalt geht die Bundesregierung in ihrer Erwiderung mit keinem Wort ein.
Den Vorschlag, zumindest rentenversicherungspflichtige Selbstständige sowie freiwillige Beitragszahler mit aufzunehmen und die Bitte bei der Evaluation von vorn herein die Selbstständigen mitzudenken wird im Papier wiedergegeben, aber die Bundesregierung antwortet nicht darauf.
Aus unserer Sicht ist das eine Missachtung wichtiger Argumente und Vorschläge des Bundesrats.
Der Bundesrat könnte den Vermittlungsausschuss anrufen
Der Bundesrat kann zustimmungspflichtige Gesetze an den Vermittlungsausschuss verweisen. Das ist ein gemeinsamer Ausschuss von Bundestag und Bundesrat, in dem beide Verfassungsorgane gleich stark vertreten sind. Seine Aufgabe ergibt sich aus dem Grundgesetz: Es geht um die politische Kompromissfindung, darum die unterschiedlichen Vorstellungen von Bundestag und Bundesrat hinsichtlich eines umstrittenen Gesetzgebungsvorhabens zum Ausgleich zu bringen.
Der Vermittlungsausschuss kann dabei selbst keine Änderungen eines Gesetzes verbindlich beschließen. Er kann aber Änderungsvorschläge unterbreiten, die anschließend von Bundestag und Bundesrat gebilligt werden müssen.
Wer sitzt im Vermittlungsausschuss und was kann dieser entscheiden?
Bei den Mitgliedern im Vermittlungsausschuss handelt es sich um Abgeordnete des Deutschen Bundestags und um Mitglieder des Bundesrats, die zugleich Mitglieder einer Landesregierung sind. Bundestag und Bundesrat entsenden jeweils 16 ihrer Mitglieder in den Vermittlungsausschuss. Insgesamt besteht er also aus 32 Mitgliedern. Daneben dürfen noch Mitglieder der Bundesregierung (in der Regel je ein Vertreter pro Ministerium und Kanzleramt) anwesend sein, sowie der Geschäftsführer, die Mitarbeiter/innen der Geschäftsstelle sowie zwei Personen des Stenografischen Dienstes. Für weitere Teilnehmende benötigt es einen Mehrheitsbeschluss.
Die Sitzungen des Vermittlungsausschusses sind nicht öffentlich, es gilt der Grundsatz der Vertraulichkeit seiner Beratungen. Dies erstreckt sich bis hin zu den Sitzungsprotokollen des Ausschusses, die nur mit erheblicher Verzögerung veröffentlicht werden. Jeweils zu Beginn einer neuen Wahlperiode beschließt der Vermittlungsausschuss die Freigabe der Sitzungsprotokolle aus der jeweils vorletzten Wahlperiode für die Öffentlichkeit.
Wer hat wie viele Stimmen im Bundesrat?
Der Bundesrat ist das "Parlament der Länderregierungen". Sitz und Stimme hat dabei nur, wer an einer Landesregierung beteiligt ist. Die Opposition in den einzelnen Ländern ist nicht im Bundesrat vertreten. Artikel 51 Absatz 2 des Grundgesetzes regelt, dass
- jedes Land mindestens drei Stimmen hat.
- Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier,
- Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf und
- Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen.
Das abgestufte Stimmengewicht ist ein Kompromiss zwischen der Forderung nach Gleichbehandlung der Länder und dem demokratischen Ideal der exakten Repräsentation der jeweiligen Einwohnerzahlen. Durch die Regelung sollen die großen Länder die kleinen nicht majorisieren, die kleinen aber auch nicht den großen auf der Nase herumtanzen können.
Wer bestimmt, wer für die Länder im Bundesrat sitzt?
Der Bundesrat wird nicht gewählt, sondern ist verfassungsrechtlich gesehen ein "ewiges Organ". Bei den Landtagswahlen entscheiden die Wähler/innen nicht nur über die Landesregierung, sondern legen zugleich fest, wer im Bundesrat Sitz und Stimme erhält. Sobald die neue Regierung im jeweiligen Landtag vereidigt wurde, kann sie ihre Mitglieder für den Bundestag neu benennen.
Insgesamt hat der Bundesrat 69 ordentliche Mitglieder mit je einer Stimme. In der Regel beschließen diese mit einfacher Mehrheit (34 Stimmen), für manche Entscheidungen ist eine Zweidrittelmehrheit (46 Stimmen) nötig.
Gut zwei Drittel der Stimmen entfallen auf Länder, in denen die Bundestags-Opposition mitregiert
Die folgende Grafik des Bundesrats zeigt jedes Bundesland mit seiner Anzahl von Stimmen und seiner Regierungskoalition. Die Grafik ist ein Jahr alt, allerdings hat sich an der Konstellation durch die beiden Landtagswahlen 2025 nichts verändert, so dass sie nach wie vor die Mehrheitsverhältnisse richtig beschreibt.
15 der 16 Bundesländer werden von einer Koalition regiert, nur im Saarland regiert die SPD alleine. (Tatsächlich handelt es sich dort um eine von der SPD mitgetragene Minderheitsregierung.) Lediglich in drei weiteren Ländern (Berlin, Hessen und Sachsen) regiert wie im Bund eine schwarz-rote Landesregierung, von der man annehmen darf, dass sie Entscheidungen der Bundesregierung durchwinkt. In Bayern regiert die CSU mit den Freien Wählern, die bisher zumeist der CSU in ihren Entscheidungen gefolgt sind.
Bayern mitgerechnet kontrolliert schwarz-rot also 22 der 69 Stimmen im Bundesrat. Das ist nur ein knappes Drittel – für sich genommen auf den ersten Blick nicht ausreichend für eine Bestätigung von Gesetzen der schwarz-roten Koalition in Berlin.
Wie stimmen Regierungen ab, in denen andere Parteien als SPD und Union mitregieren?
In allen anderen Ländern regiert eine der "kleineren" Parteien mit, die allerdings auf Länderebene durchaus größer sein können als SPD oder gar CDU:
- Am meisten Einfluss haben die Grünen, die in vier Ländern mit der CDU und in drei mit der SPD zusammen regieren. Zusammengenommen vereinen diese sieben Länder 32 Stimmen im Bundesrat (46 Prozent).
- FDP, Linke und BSW regieren jeweils in zwei Bundesländern mit. Die Länder, in denen neben ihnen nur Union und/oder SPD (keine Grünen) regieren, bringen es zusammen auf 15 Stimmen (22 Prozent).
Doch wie stimmt ein Bundesland ab, das von einer Koalition regiert wird, die bezüglich eines Gesetzes nicht einig ist? Die Regierungskoalitionen vereinbaren üblicherweise nach ihrer Wahl, dass sie entweder geschlossen für oder gegen ein Gesetz stimmen und sich ansonsten im Bundesrat enthalten.
So lange sich alle anderen enthalten, reicht auch weniger als die Hälfte der Stimmen
Das bedeutet: Wenn in allen Landesregierungen Union und SPD für die Aktivrente wären und alle ihre Koalitionspartner dagegen, würden sich die Regierungen, die nicht allein von Union und/oder SPD zusammensetzen, im Bundesrat enthalten. Entscheidend ist aber die einfache Mehrheit. Wenn sich also alle anderen Landesregierungen enthalten, reichen auch 22 Stimmen, um ein Gesetz "durchzuwinken".
Hier stellt sich die Frage nach der Geschlossenheit zwischen Bundes- und Landesregierungen. Denn trotz der beschriebenen Regelungen gibt es immer wieder Gesetzesvorhaben, die an den Vermittlungsausschuss überwiesen werden. Teils stimmen sogar schwarz-rot regierte Bundesländer für eine Beratung im Vermittlungsausschuss.
Fazit: Chance, wenn auch kleine
Es besteht die Chance, das Aktivrentengesetz im Bundesrat aufzuhalten und im Vermittlungsausschuss zu verändern. Allerdings hat das Inkrafttreten des Aktivrentengesetzes zum Jahreswechsel für Bundeskanzler Merz und seine Handlungsfähigkeit hohe symbolische Bedeutung – zumal nach dem ausufernden Streit über die Haltelinie in den letzten Wochen.
Interessant ist hier die Frage, wer im Finanzausschuss des Bundesrats auf die Beibehaltung des Progressionsvorbehalts und die Berücksichtigung rentenversicherter Selbstständiger bei der Aktivrente gedrängt hat. Dies wären mögliche Kooperationspartner/innen für einen Verweis des Gesetzes an den Vermittlungsausschuss.
Wir werden die Zeit nutzen und auch sonst nicht nachlassen
Wir werden die beiden Wochen bis zum 19.12.25 nutzen, um die Mitglieder des Bundesrats, insbesondere auch die des Finanzausschusses auf unsere Petition und unsere Argumente aufmerksam zu machen.
Sollte der Bundesrat die Entscheidung des Bundestags bestätigen, heißt das nicht, dass wir uns mit einer solchen politischen Fehlentscheidung abfinden. Wir werden in diesem Fall im neuen Jahr rechtlich und politisch für eine faire Lösung kämpfen, die auch Selbstständige mit einbezieht.
Wie denkst du darüber? Welche Möglichkeiten siehst du, das Aktivrentengesetz im Bundesrat aufzuhalten?
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