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"Das Gefühl, verraten worden zu sein" Soloselbstständiger Lennart Peters über die Coronakrise

Die Corona-Krise hat Lennart Peters, wie viele andere Selbstständige auch, aus der Bahn geworfen. Der selbstständige Medienpädagoge aus Bamberg hat die Corona-Soforthilfen des Bundes und die später hinzugekommene Möglichkeit, Hartz IV zu beantragen, zwar wahrgenommen - beide Male aber vergebens. Im Interview schildert er uns seine Erfahrungen.

Lennart Peters ist selbstständiger Medienpädagoge aus Bamberg.

VGSD: Lennart, was machst du beruflich, wenn dir die Corona-Krise gerade keinen Strich durch die Rechnung macht?

Lennart: Seit 2017 bin ich selbstständiger Medienpädagoge in Bamberg. Ich leite Ping-Pong-Workshops und bin im Rahmen meiner Tätigkeit zum Beispiel an Schulen tätig. Dort drehe ich Filme mit den Schülern oder erstelle für Kunden Auftragsfilme.

VGSD: Wie lange bist du schon soloselbstständig?

Lennart: Bereits während meines Studiums war ich immer mal wieder selbstständig, um nebenher Geld zu verdienen. Nach dem Studium hatte ich mit zwei Freunden eine Firma gegründet. In dieser Zeit haben wir für einen Verlag eine App entwickelt. Leider kam das Ganze nicht so, wie wir gedacht hatten: der Verlag hat uns die App nicht abgekauft. Folglich sind wir auf unseren Kosten sitzengeblieben und haben die Firma circa Mitte 2016 aufgegeben. Um unsere Unkosten zu tilgen, habe ich danach eine Festanstellung angenommen, die mir wieder bestätigt hat, warum ich gerne selbstständig bin.

Wie eine Schatzjagd ohne Koordinaten

VGSD: Was schätzt du an der Selbstständigkeit?

Lennart: Die Selbstständigkeit bietet die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen und selbstbestimmt zu arbeiten. In der Zeit meiner Angestelltentätigkeit habe ich diese Punkte sehr vermisst und auch das Abenteuer, das die Freiberuflichkeit mit sich bringt: Das ist wie eine Schatzjagd mit unbekannter Schatzkarte.

VGSD: Was genau hat sich für dich durch die Corona-Krise verändert?

Lennart: Durch Corona ist mein Geschäft total eingebrochen. Da alle Schulen von heute auf morgen geschlossen haben, sind alle meine Workshops dort auf unbekannte Zeit auf Eis gelegt worden. Selbst wenn die Schulen relativ schnell wieder geöffnet hätten, hätte mir das nicht viel gebracht, da die Lehrer sich dann auf den Unterricht konzentrieren müssen und keine Zeit für Extraprojekte haben.

Von Frühjahr bis Sommer ist in der Regel auch die Kernphase für meine Arbeit: Das Wetter ist gut, die Leute sind viel unterwegs und in den Schulen ist mehr Zeit für anderweitige Projekte. Außerdem war ich vor der Corona-Krise ideal ausgelastet und hatte keinerlei Schwierigkeiten mit meinem Geschäft.

"Als ich das erste Mal davon gehört habe, war ich gleich beruhigt"

VGSD: Welche Erfahrungen hast du mit den Corona-Soforthilfen gemacht?

Lennart: Als ich das erste Mal davon gehört hat, war ich gleich beruhigt und hatte den Plan, die Soforthilfe jetzt als Überbrückung zu verwenden, während ich mein Geschäft coronatauglich mache und mir alternative Strategien überlege. Allerdings habe ich dann keine Soforthilfe erhalten, mit der Begründung, dass ich meinen Liquiditätsengpass nicht genau angegeben habe und die Soforthilfe auch nicht für meine Lebenshaltungskosten ist. Das hat mich sehr geärgert, da ich keine wirklichen Betriebsausgaben habe, aber trotzdem natürlich Kosten. Außerdem bin doch ich selbst der Betrieb. Aus dieser Sichtweise heraus kann ich selbst als Betriebskosten gesehen werden.

So wie die Corona-Hilfen ausgestaltet sind, ergeben sie auch keinen Sinn: Es würden ja gemäß der Regeln zum Beispiel die Monatsrate für ein Leasing-Auto übernommen werden – was fast kein Selbständiger hat –, aber die Miete und Kosten für Essen nicht.

VGSD: Wie ging es dann für dich weiter?

Lennart: Nachdem ich mich anfangs dagegen gewehrt habe, Hartz IV zu beantragen, habe ich es doch getan und habe auch hier nichts erhalten. Die Ablehnung wurde damit begründet, dass meine angestellte Freundin genug für uns beide verdienen würde. Das fand ich unmöglich. Dass meine Freundin vom Arbeitsamt wie eine Ehefrau gesehen wurde. Ich hätte gerne die Lösung in Anspruch genommen, die der Staat mir geboten hätte, denn wenn der mich auf meine Freundin verweist, machen die Soforthilfen keinen Sinn. Dann kann jeder gleich die Familie abklappern und braucht keine Soforthilfe beantragen.

Hartz IV war mir auch deshalb zuwider, weil ich keine Leistung beanspruchen wollte, die grundsätzlich für Arbeitslose gedacht ist. Denn ich bin ja gar nicht arbeitslos und ich habe auch die ganze Coronazeit hindurch an meinem Geschäft weitergearbeitet. Außerdem wollte ich mich nicht so unmündig machen.

Aus der Krise durch die Privatwirtschaft

VGSD: Wann und wie ging es beruflich wieder bergauf für dich?

Lennart: Circa anderthalb Monate nach meinem Hartz-IV-Antrag ging es wieder bergauf. Nachdem ich ein Video in den sozialen Netzwerken geteilt habe, in dem ich meine Situation geschildert habe, haben sich viele Freunde und Bekannte von früher bei mir gemeldet und mir Aufträge gegeben. Letztlich habe ich also aus eigener Kraft und durch Privatwirtschaft das Steuer herumgerissen. Mit der Aufhebung von Corona-Beschränkungen war es dann auch möglich, einige unfertige Projekte fertig zu machen. Im Mai bin ich zum Beispiel von Kirchen gebucht worden und habe Gottesdienste aufgenommen. Mitte Juni waren auch wieder ein paar Workshops - und so hatte ich aus beiden Ressorts zwar weniger, aber dennoch wieder Jobs.

VGSD: Was hättest du dir von der Regierung in der Pandemie gewünscht?

Lennart: Ich hätte mir ein Geldgeschenk gewünscht, 60% wie beim Kurzarbeiterlohn. Das hätte mir gereicht, das wäre der einfachste Weg gewesen und auch am hilfreichsten.

Das Gefühl, verraten worden zu sein

VGSD: Was ziehst du für ein Fazit aus der Coronakrise?

Lennart: Die Krise hat mich einerseits emotional sehr mitgenommen, ich hatte große Existenzangst. Andererseits war ich in einer Situation, in der ich keine Handlungsmöglichkeiten mehr gesehen habe. Das war das Gefühl, verraten und verkauft worden zu sein von der eigenen Regierung, das hat mich schon getroffen.

Im Moment geht’s mir persönlich eigentlich sehr gut, auch geschäftlich. Letztlich habe ich ein Resilienz-Fazit daraus ziehen können: Selbst wenn alles wegbricht, habe ich es geschafft, mit den Mitteln, die einem als Mensch zustehen: mit der eigenen Energie, aber auch mit Freunden und dem Umfeld. Das sind die Ressourcen, die wir haben, und die mir so schnell auch keiner nehmen kann. Und wenn mein kleines Schiff selbst so eine krasse Pandemie überstehen konnte, dann brauche ich mich vielleicht nächstes Mal nicht gleich so aufregen.

An vielen anderen Stellen hat die Regierung das ganz gut gemacht in der Krise, aber gerade für Soloselbstständige und Freiberufler hat sie sich gar nicht bewiesen. Deshalb wollte ich auch irgendwann nichts mehr mit ihr zu tun haben und meine Energie lieber progressiv nutzen und mich mit Leuten vernetzen.

Warum die Selbstständigkeit so wichtig ist

VGSD: Möchtest du uns zum Ende noch etwas mit auf den Weg geben?

Lennart: Ich denke, was passiert ist, ist passiert. Aber lasst uns das für die Zukunft in Ordnung bringen. Wir werden, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen und wenn wir die Digitalisierung schaffen wollen, viele kleine Start Ups, Freelancer und so weiter brauchen. Das sind ja letztlich alles Dienstleister. Dafür braucht es eine Pluralität an Ideen. Egal ob die Leute das jetzt nebenberuflich, neben ihrem Angestelltenjob oder freiberuflich machen. Wir müssen einen Weg finden, damit das agil hin- und her wechseln kann. Andernfalls sind die Leute im Angestelltenverhältnis fest gebunden und machen eben das, was die große Maschine walzt: Aber wir wollen ja die große Maschine verändern.

Ich bin fest überzeugt davon, dass wir das brauchen. Abgesehen davon ist es für mich eine Sache von Solidarität, dass wir eine Lösung finden, von der wir sagen können, das ist jetzt fair: Das ist doch genauso wie für die anderen auch.

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