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„Die Wertschätzung für Selbstständige ist enorm“ – Ruth Fraundorfer zu den österreichischen Corona-Hilfen

Als unbürokratisch und wertschätzend empfindet Ruth Fraundorfer die österreichischen Staatshilfen zur Corona-Krise. Sie hat den direkten Vergleich, denn als selbstständige Unternehmensberaterin arbeitet sie sowohl in Deutschland als auch in der Alpenrepublik. In letzterer hat sie sich ein zweites berufliches Standbein aufgebaut: Sie vermietet in einem ehemaligen Alpengasthof in Tirol Zimmer an Urlaubsgruppen - wenn sie nicht gerade ein Seminar dort abhält. Im Interview mit dem VGSD berichtet Ruth von ihrem Umgang mit der Krise und der erfreulichen Finanzspritze durch den österreichischen Staat.

Ruth Fraundorfer freut sich über die Wertschätzung, die Solo-Selbstständigen in Österreich entgegengebracht wird

VGSD: Wie verdienst du dein Geld in Österreich?

Ruth: In Österreich habe ich einen Beherbergungsbetrieb mit 30 Betten. Diesen vermiete ich an Selbstversorger. Mit diesem Betrieb generiere ich pro Jahr 50.000 Euro Umsatz.

VGSD: Was hat sich für dich seit Beginn der Corona-Krise verändert?

Ruth: Im ersten Lockdown, der von März bis Juni ging, war der Betrieb aufgrund einer behördlichen Verordnung geschlossen. In diesem Zeitraum habe ich einen Umsatzeinbruch von 20.000 Euro erlitten. Dieser Lockdown war auch gerade deswegen so verheerend, da diese Zeit noch teils in der Skisaison liegt und wir eigentlich viele Zimmer an Skigäste vermieten würden. Der Skitourismus ist die Haupteinnahmequelle im Pitztal in Österreich. Problematisch waren auch die Reisewarnungen für deutsche Touristen und eine verpflichtende Quarantäne für Reiserückkehrer. Durch solche Regelungen sind uns viele Gäste und Reisegruppen weggefallen.

Rettung durch Netzwerk-Aktivierung

VGSD: Konntest du diesen Nachrichten irgendetwas entgegensetzen? Wie sah deine Krisenstrategie aus?

Ruth: Ich habe mein Netzwerk aktiviert und mich in jede Richtung umgehört. Da deutsche Reisegruppen aus eben genannten Gründen ihre Buchungen storniert haben, habe ich Jugendgruppen im Vorarlberg und in Tirol kontaktiert. Außerdem habe ich Buchungen für kleinere Gruppen unter 20 Personen angenommen. Das habe ich vor der Krise nicht gemacht.

Über einen guten Kontakt habe ich es sogar geschafft, dass im Sommer eine Fußballergruppe aus Frankfurt kam. Diese hat in Österreich einen Teil ihres Sommertrainings abgehalten. Solche Aktionen haben mich gerettet.

"Über 'FinanzOnline' nur ein paar Zahlen eingeben"

VGSD: Welche Krisenstrategie gab es seitens der österreichischen Regierung? Gab es eine finanzielle Unterstützung für Selbstständige?

Ruth: Im ersten Lockdown habe ich Unterstützung basierend auf dem Epidemie-Gesetz beantragt, das galt damals noch für zehn Tage. Dieses Gesetz wurde dann novelliert, da es wie in Deutschland auch, sehr veraltet ist und nie gebraucht wurde. Es wurde nun auf die aktuelle Corona-Situation angepasst. In der Folge wurden auch die Regelungen für Entschädigungszahlungen angepasst und die Anträge hierfür können jetzt, mit konkreten Informationen ergänzt, nochmal eingereicht werden.

In Österreich gab es dann den sogenannten Fixkostenzuschuss I. Im Zuge dieser Hilfe kann für einen beliebig gewählten Zeitraum von März bis Oktober 2020 für drei zusammenhängende Monate ein Zuschuss beantragt werden. Bei einem Umsatzausfall von 80 bis 100 Prozent bekommt man 75 Prozent Fixkostenersatz und es konnten auch Lebenshaltungskosten geltend gemacht werden.

Insgesamt wurde der Fixkostenzuschuss I in zwei Teilen ausgezahlt. Bezüglich der Lebenshaltungskosten konnte man einen Betrag zwischen 666,66 Euro bis zu 2.200 Euro angeben. Als ich die erste Tranche des Fixkostenzuschusses I beantragt habe, musste ich über „FinanzOnline“ nur ein paar Zahlen eingeben und habe fünf Tage später bereits 2.000 Euro erhalten.

Um die zweite Tranche zu erhalten, brauchte man zwar einen Steuerberater, der den Umsatzausfall überprüft, aber die Kosten für diesen konnten auch komplett abgesetzt werden. Letztlich habe ich dabei wieder innerhalb kürzester Zeit das Geld bekommen.

„2.300 Euro ist der Mindestsatz im November“

VGSD: Du hast vorhin angesprochen, dass du den Sommer mittels einer Kraftanstrengung einigermaßen gut durchgestanden hast. Wie geht es dir nun im November-Lockdown?

Ruth: Gerade gibt es eine November-Hilfe. Diese kann wieder über „FinanzOnline“ beantragt werden. Das funktioniert genauso einfach und ohne Steuerberater wie beim Fixkostenzuschuss I. Ich musste wieder nur ein paar Zahlen eingeben und habe innerhalb von drei Tagen 2.300 Euro erhalten, das war der Mindestsatz. Ich hätte sogar noch mehr Geld beantragen können.

„Kein roter Faden mehr in Deutschland“

VGSD: Deine Schilderungen zeigen, dass die finanziellen Hilfen in Österreich viel großzügiger als in Deutschland sind.

Ruth: Ja, absolut. Es gibt einen eklatanten Unterschied. In Österreich haben alle Einzelunternehmer von der österreichischen Bundesregierung, dem Wirtschaftsministerium, Tourismusverbänden und -vereinen und von den jeweiligen lokalen Behörden E-Mails erhalten, welche finanziellen Hilfen es gibt und wie diese beantragt werden können.

In Österreich gibt es klare Regeln bezüglich der Hilfen, während es in Deutschland überhaupt keinen roten Faden mehr gibt. Im Gegenteil, in Deutschland wird der Kreis der Bedürftigen immer enger gezogen. Am Ende erhalten dann nur sehr wenige Antragsteller etwas, alles aufgrund der „Wenn, dann“-Ausnahmeregelungen bezüglich der Hilfen. Außerdem wird in Deutschland so getan, als ob wir Selbstständigen alle Betrüger wären.

Wertgeschätzt als erfolgreiche Unternehmerin

VGSD: Wie ist die Stimmung unter den Selbstständigen in Österreich, auch in Bezug auf die Politik?

In diesem und weiteren Videos erklärt die österreichische Bundesministerin für Tourismus, Elisabeth Köstinger, die Corona-Hilfen für Selbstständige.

Ruth: Ich kann für Tirol und Vorarlberg sprechen und würde sagen, dass die Stimmung unsicher ist, denn es hängt alles davon ab, ob wieder Reisewarnungen ausgesprochen werden. Dann fällt der Tourismus wieder aus. Trotz allem herrscht eine gewisse „Wir schaffen das!“-Mentalität. Die Unterstützung hier ist wirklich groß, man sieht das zum Beispiel daran, dass sich die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus selbst vor die Kamera stellt und die Hilfsprogramme erläutert. Die Wertschätzung für Selbstständige ist enorm, hier wird man als erfolgreicher Unternehmer bzw. erfolgreiche Unternehmerin gesehen.

VGSD: Welche Erfahrungen hast du mit den deutschen Hilfsprogrammen gemacht? Deine Tätigkeit als Gründungsberaterin und Coach ist in Deutschland als Unternehmen angemeldet.

Ruth: Die deutschen Hilfen zum Beispiel zur Grundsicherung brauche ich erst gar nicht beantragen. Ich habe mir das durchgelesen und wusste sofort, dass ich bei diesen Bedingungen keine Unterstützung erhalten werde. Ich empfinde das wirklich als eine Bösartigkeit, wie die Regelungen in Deutschland ausgestaltet sind.

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