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Entscheidung des Bundesgerichtshofs Gewerbemieten dürfen während Lockdowns gekürzt werden

Heute hat der für gewerbliches Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Grundsatzentscheidung getroffen, die insbesondere Einzelhändler freuen dürfte. Es wird im weiteren Verlauf spannend, welche Kürzungen die Vermieter genau hinnehmen müssen oder ob sie von der Ausgestaltung der Corona-Hilfen profitieren, die ja primär weiterlaufende betriebliche Kosten wie die Gewerbemieten ersetzten.

Zum Bundesgerichtshof gehöriges erbgroßherzogliches Palais mit Brunnen

Bei dem Verfahren ging es um eine Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz, die von 19. März bis 19. April 2020 aufgrund einer Allgemeinverfügung des Landes Sachsen geschlossen bleiben musste. Kik zahlte deshalb für den April keine Miete. Das vom Vermieter angerufene Landgericht verurteilte daraufhin den Einzelhändler zur Zahlung von 7.854 Euro.

In erster Instanz sollte volle, in zweiter Instanz halbe Miete bezahlt werden

Das Oberlandesgericht (OLG) entschied in zweiter Instanz, Kik müsse eine um gut die Hälfte auf 3.720 Euro gekürzte Miete bezahlen und begründete dies mit einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB).

Sowohl Mieter als auch Vermieter verlangten eine Revision. Der BGH hat nun das OLG-Urteil aufgehoben. Zwar sei die Kürzung rechtmäßig, die Höhe müsse aber abhängig vom Einzelfall genau begründet und festgelegt werden, eine pauschale Halbierung des Schadens sei nicht angemessen.

Wie vom OLG entschieden, käme aufgrund einer "hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie" tatsächlich ein Anspruch auf Mietanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage in Frage, auch wenn kein Mangel des Mietgegenstands vorgelegen habe. Im vorliegenden Fall sei die "große Geschäftsgrundlage" betroffen.

Mietkürzung aufgrund "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" zulässig

Darunter versteht man die Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die "Sozialexistenz" nicht erschüttert werde. Genau diese Erwartung der Parteien, sei aber durch die Allgemeinverfügung  schwerwiegend gestört worden. Dafür spreche auch die neu geschaffene Vorschrift Art. 240 § 7 EGBGB.

Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage hinzukommen müsse als weitere Voraussetzung für eine Vertragsanpassung auch, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zuzumuten sei. Dies sei bei den Corona-Schutzmaßnahmen der Fall, denn die Auswirkungen gingen über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus: die wirtschaftlichen Nachteile beruhten nicht auf unternehmerischen Fehlentscheidungen oder falschen Erwartungen, sondern seien die Folge staatlicher Eingriffe. Es habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das vertraglich nicht vorweggenommen werden konnte und das regelmäßig keiner Vertragspartei alleine zugewiesen werden dürfe.

Was bedeutet dies nun für die Praxis?

Der Mieter könne aber nicht stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum einer Schließung verlangen, dies erfordere vielmehr einer umfassenden Abwägung im Einzelfall. Deshalb komme eine pauschale Kürzung um 50 Prozent nicht in Betracht. Vielmehr müsste festgestellt werden, welche finanziellen Nachteile dem Mieter entstanden sei, also insbesondere die Höhe des erlittenen Umsatzrückgangs. Dabei sei auf das konkrete Mietobjekt und nicht etwa den Konzernumsatz abzustellen. 

Dagegen zu rechnen sei, welche Maßnahmen der Mieter zur Schadensminimierung unternommen habe, insbesondere welche staatlichen Hilfen er erhalten und welche Leistungen er von Betriebsunterbrechungs-Versicherungen erhalten habe. Dabei seien rückzahlbare Hilfen wie Darlehen nicht zu berücksichtigen. Durch die Mietkürzungen dürfe es nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste kommen. Die Details habe nun das OLG zu entscheiden.

Wichtige Fragen bleiben offen und sind durch das OLG zu klären

Spannend ist, wie der Schaden in solchen Fällen berechnet wird: Aus Sicht des Vermieters besteht der Schaden in der ausgebliebenen Miete, aus Sicht des Einzelhändlers ist der Schaden viel größer, besteht nämlich in Höhe des Umsatzausfalls bzw. Gewinnrückgangs. Der BGH bezieht sich in seiner Begründung ausdrücklich auf die Höhe des Umsatzrückgangs als Ausgangspunkt.

Ebenso spannend ist, ob und wie die Hilfen bei diesem und künftigen Fällen zugeordnet werden. Vermieter könnten sich auf den Standpunkt stellen, Sofort- bzw. Überbrückungshilfe sei zweckgebunden mit dem Ziel der Weiterzahlung der Gewerbemiete bewilligt worden, der Mieter wird sie dagegen anteilig als Kompensation des erlittenen Einnahmeausfalls betrachten. Ansonsten hätte ein Bezieher von Überbrückungshilfe keinen oder kaum Anspruch auf eine Kürzung der Miete, ein Bezieher von November-, Dezember- oder Neustarthilfe (die auch oder nur zur Deckung der privaten Lebenshaltungskosten, Miete usw. verwendet werden darf) dagegen einen sehr hohen Minderungsanspruch. Leider hat sich der BGH-Senat zu diesen Fragen nicht geäußert.

Spannend wird schließlich auch, zu welchem Ergebnis der Bundesgerichtshof in Bezug auf Entschädigungsforderungen gegen die Bundesländern kommt, darüber wird der BGH im März verhandeln.

Was denkst du über das Urteil?

Wir sind gespannt auf die weitere rechtliche Entwicklung und natürlich auf eure Meinung zum Urteil sowie zu den von uns aufgeworfenen Fragen. Spannend wäre sicher auch zu wissen, ob es Wege gibt, Mietkürzungen auch noch rückwirkend für Zeiten des Lockdowns vorzunehmen.

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