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Heils "Klimageld" Echte Entlastung oder Schnellschuss als Wahl-PR?

Das "soziale Klimageld": Wie viel Entlastung bringt es und wer profitiert, ist offen

Was tun gegen dauerhaft hohe Preise bei Lebensmitteln und Energie? Geht es nach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), sollen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen unter 4.000 Euro im Monat (als Single) ab Januar 2023 entlastet werden. Nur: Selbstständige kommen in den Plänen nicht vor. Was wir wissen und was nicht.

Einfach mal vorpreschen – das mag Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wohl gedacht haben, als vergangenen Samstag in einem Zeitungsinterview das "soziale Klimageld" vorstellte. Abgestimmt war die neueste Idee zur Entlastung von Menschen mit "geringen und mittleren Einkommen" offenbar nicht.

Die ganze Woche über erntete Heil von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Contra für die jährliche Zahlung, die aktuell nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Studierenden und Auszubildende erhalten sollen – nicht aber Selbstständige, wie der "Spiegel" hervorhob.

"Sehr bürokratisch" wirke "das Instrument von Herrn Heil, darüber werden wir diskutieren müssen. Das passt nicht", äußerte sich zu Wochenbeginn der Finanzminister. Es sei ein "neuer Umverteilungstopf".

Schnell geschossen

Das soziale Klimageld: Was ist es denn nun? Eine ernst gemeinte Entlastung für alle, "wenn die Preise länger höher bleiben", wie der Arbeitsminister im Fernsehen argumentierte, wohlwissend, dass die jüngsten Entlastungen in Form von kurzfristigen Rabatten und Einmalzahlungen (für manche von uns erst im neuen Jahr) die Inflation nicht kompensieren können? Heil beruft sich auf den Koalitionsvertrag, wonach die Ampel-Regierung zum Ausgleich der Mehrkosten durch den ausgeweiteten CO₂-Zertifikatehandel "einen sozialen Kompensationsmechanismus über die Abschaffung der EEG-Umlage hinaus entwickeln (Klimageld) (wolle)", wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Oder ist das soziale Klimageld eine unausgegorene Idee, die man mal eben in den Raum wirft und schaut, was passiert?

Mehr Fragen als Antworten

Denn um recht mehr als eine Idee handelt es sich noch nicht. Auch eine Woche nach Bekanntwerden sind weder Höhe, Nutznießer noch das genaue Procedere bekannt.

Wer ein Konzeptpapier auf der Seite der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) sucht, wird enttäuscht. Einzig ein Interview mit der Berliner Morgenpost, in dem der Minister sein Vorhaben ankündigt, dient der Verlautbarung. Grund genug, die Berichterstattung der Woche genauer auszuwerten.

Was wir wissen

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  • Häufigkeit: Das soziale Klimageld soll einmal im Jahr ausgezahlt werden
  • Bezugsberechtigte: "Es soll Menschen zugutekommen, die als Alleinstehende weniger als 4.000 Euro brutto und als Verheiratete zusammen weniger als 8.000 Euro brutto im Monat verdienen – also denjenigen, die normale und geringe Einkommen haben. Über die genaue Staffelung und den Umfang müssen wir noch sprechen", sagte Hubertus Heil (SPD) im Interview. Laut "Spiegel" sollen es Arbeitnehmer/innen, Rentner/innen und Studierende sein. Selbstständige werden nicht erwähnt.
  • Zuständigkeit: Heil betont seine Verantwortung als Sozialminister, "auch wenn die Federführung eher beim Finanzminister und beim Klimaminister liegt", sagte Heil. Der Finanzminister lehnt Idee und Finanzierung bislang ab.
  • Einführung: Geplant ist der 1. Januar 2023. "Wenn es technisch möglich ist, sollten wir das soziale Klimageld zum 1. Januar 2023 umsetzen. Falls das nicht gelingt, müssen wir mit überbrückenden Einmalzahlungen arbeiten. Zum 1. Januar wollen wir außerdem das neue Bürgergeld einführen, mit dem wir das Hartz-IV-System überwinden und dem Sozialstaat ein neues Gesicht geben", sagte der Minister vergangenes Wochenende.
  • Auszahlung: Der Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung das Klimageld als Modell für die erste Direktzahlung an Bürger und Bürgerinnen via Steuer-ID einführt. In seiner Empfehlung für die Energiepreispauschale im Mai erinnerte er die Bundesregierung an ihr "Ziel, in Zukunft einen einfachen und unbürokratischen Weg für Direktzahlungen an die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen". Hierzu solle noch in diesem Jahr für das Klimageld ein Auszahlungsweg über die Steuer-ID entwickelt werden.

Was wir nicht wissen

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  • Begriff: Der Name "Klimageld" ist eigentlich irreführend. Laut "Spiegel" wäre dessen Ziel eigentlich, einen Anreiz zum klimaverträglichen Handeln zu schaffen: Wer wenig CO2 verbraucht, soll unter dem Strich mehr Geld haben als zuvor. Soziale Kriterien wie Lohn oder Bedürftigkeit spielten danach keine Rolle. Die Auszahlung sollte direkt an den Bürger erfolgen.
    Heils "soziales Klimageld" dagegen soll je nach Einkommenshöhe die hohen Preise abfedern, wozu Energiepreispauschale, 9 Euro-Ticket oder andere Maßnahmen in den Entlastungspaketen I und II nicht ausreichen.
  • Selbstständige als Bezugsberechtigte: Der Arbeitsminister sprach zu Wochenbeginn nur von Arbeitnehmer/innen, die entlastet werden sollen. Gegenüber Spiegel erwähnte er zudem noch "Rentnerinnen und Rentner, Studierenden und Auszubildenden". Nicht erwähnt wurden bislang Selbstständige. Auch Krankengeld- oder Grundsicherungsbeziehende scheinen außen vor.
  • Höhe: Aktuell gibt es noch keine Angaben zur Höhe des "Klimageldes". Die Medien spekulieren über den Betrag von 200 Euro. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hielt laut "Spiegel" ein Betrag von etwa 200 Euro für nicht ausreichend.
    Wäre das Klimageld eine reine CO2-Kompensation, wäre die Berechnung laut "Spiegel" indes einfach und rechnet vor: Spüle der CO₂-Preis in einem Jahr acht Milliarden Euro im Jahr in die Kasse – dann gäbe es bei einer Bevölkerung von rund 80 Millionen Menschen im nächsten Jahr rund 100 Euro pro Kopf; bei 40 Milliarden Euro wären es rund 500 Euro pro Kopf, bei Einnahmen von 80 Milliarden Euro rund 1.000 Euro. Wer das Geld bekäme, wäre ebenfalls klar: Jeder Mensch, der legal in Deutschland wohnt (und also CO₂ erzeugt).
  • Berechnung: Unklar ist auch die Berechnung der 4.000-Euro-Grenze bei Singles bzw. 8.000 Euro bei Ehepaaren. Was ist das Bruttomonatseinkommen? Zählt etwa bei Arbeitnehmern das vertraglich vereinbarte Monatsgehalt – mit oder ohne Zulagen, Weihnachtsgeld, Gewinnbeteiligungen oder anderes? Hängt die Klimapauschale vom zu versteuernden Einkommen ab, um auch Selbstständige zu erfassen, wie der "Spiegel" zu Recht hinterfragt? Zählen Kinder mit?
  • Kosten: "Wir sind noch in Modellrechnungen, aber wir reden schon von zweistelligen Milliardenbeträgen", so Heil im MoPo-Interview. Auch bekannt istk dass das Klimageld sich aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung finanzieren soll. Mehr Details gibt es noch nicht.

Gegenkonzept: Steuerreform

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Aufhorchen lässt indes die Meldung vom Wochenanfang, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) anders zu entlasten sucht. Heils Klimageld setzte er eine rasche Reform der Lohn- und Einkommensteuer entgegen – ab kommendem Jahr. Die Vorteile liegen auf der Hand: breitere Entlastung und weniger Bürokratie.

Nur: Erfolge im nächsten Jahr bringen der Landtagswahl-gebeutelten SPD wenig.

Wie dringend das Bedürfnis der SPD ist, sich als Wohltäter darzustellen, zeigt auch eine weitere Meldung vom vergangenen Samstag: Die amtierende Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) schlug einkommensabhängige Mieten in Berlin vor. Niemand solle mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete zahlen, sagte sie dem "Tagesspiegel". Eine neue Behörde solle die Angemessenheit der Miete überprüfen. Ein Vorschlag, den der Kultursenator Klaus Lederer von den Linken zu Wochenbeginn als "unrealistisch und nicht praktikabel" ablehnte.

Unsere Forderung: Konzepte für uns Selbstständige

Tragfähige Konzepte zur Entlastung sind dringend nötig. Vor allem realistische, die uns Selbstständige nicht von vorne herein ausschließen. Wer nur in Bruttoarbeitslöhnen denkt, vergisst, wen die Inflation trifft: Jede und Jeden von uns. Und die Preise werden weiter anziehen.

Wie schnell eine Entlastung als staatlicher Rabatt verpuffen kann, zeigte sich kurz nach dem 1. Juni. Als am Stichtag der Steueranteil auf Kraftstoffe als Teil des Entlastungspaketes der Bundesregierung wegfiel, sanken die Preise spürbar. Doch die Ersparnis war bereits eingepreist, die Preise waren vier Tage zuvor stetig gestiegen.

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