Kommt zum 1. Januar2027 eine wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens? Die bis dahin befristete Übergangsregelung für Honorarlehrkräfte macht Hoffnung darauf. Ihre Auslegung durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) aber lässt Zweifel aufkommen.
Neben neuen Gesetzen und Entscheidungen des Bundessozialgerichts kommt für die Entwicklung des Scheinselbstständigkeits-Rechts auch Rundschreiben und Besprechungsergebnissen der Spitzenverbände der Sozialversicherung eine wichtige Rolle zu. Die Spitzenverbände der Sozialversicherung, das sind die Deutsche Rentenversicherung, die Bundesagentur für Arbeit und der GKV-Spitzenverband, also die Dachorganisation der gesetzlichen Krankenversicherungen. Diese drei Organisationen treffen sich jedes Jahr, diskutieren neue Gesetze, Urteile und sozialversicherungsrechtliche Streitfragen. Ihre gemeinsamen Ergebnisse halten sie in Form von Besprechungsergebnissen fest. Diese sind auf der Webseite der Deutschen Rentenversicherung zu finden. Im Folgenden geht es um die Besprechung vom 21. Mai 2025.
So kam es zur Übergangsregelung
Ausgangspunkt war dabei das Herrenberg-Urteil im Fall einer Musikschullehrerin vom Juni 2022 und das, was die Spitzenverbände bei ihrer Besprechung am 1. Juli 2023 daraus machten – nämlich sehr viel strengere Prüfkriterien für alle selbstständig Lehrenden. Ab dem Frühjahr 2024 hat die daraus resultierende Prüfpraxis "zu Verunsicherung und erheblicher Unruhe in der Bildungsbranche geführt" (Seite 1 der Besprechungsergebnisse). Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat daraufhin im Juni 2024 einen Fachdialog gestartet. "Auch der Bundesrat hat die Thematik aufgegriffen und die Bundesregierung in einer Entschließung zur Handlungs- und Rechtssicherheit für den Einsatz von selbstständigen Lehrkräften" aufgefordert.
Anfang 2025 beschlossen Bundestag und -rat auf Initiative des BMAS eine Übergangsregelung (§ 127 SGB IV), um die für viele Bildungseinrichtungen ansonsten absehbar existenzgefährdenden Nachzahlungen zu verhindern.
Die Übergangsregelung warf allerdings viele neue Fragen auf
Kaum war die Übergangsregelung beschlossen, tauchten auch schon viele Fragen zu ihrer Anwendung auf. Bereits im April berichteten wir darüber, dass die DRV die aus dem Herrenberg abgeleiteten neuen Kriterien auf Sachverhalte aus der Zeit vor dem Urteil anwendet und sich zugleich weigert, die gerade beschlossenen Übergangsregelung anzuwenden. In diesem Zusammenhang berichteten wir auch über einen Aufsatz der Sozialrichter Zieglmeier und Rittweger, die den neuen § 127 deutlich großzügiger im Sinne der Selbstständigen und ihrer Auftraggeber auslegten.
Unter dem Titel "Die DRV kämpft um jeden Zentimeter" berichteten wir dann im Mai über Antworten der Rentenversicherung auf häufig zur Übergangsregelung gestellte Fragen. Fazit: Die Latte für das Greifen der Übergangsregelung legt sie recht hoch, sie ist dadurch mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden.
Verletzt die Bevorzugung des Bildungssektors den Gleichheitsgrundsatz?
Zurecht wird zur Übergangsregelung immer wieder die Frage gestellt: Warum eine Übergangsregelung für den Bildungsbereich und nicht auch den Rest der Wirtschaft, der doch auch erheblich von den immer weiter ausgelegten Kriterien betroffen ist? Liegt es daran, dass viele der vom Herrenberg-Urteil betroffenen Bildungsträger öffentlich finanziert sind und ihr Zusammenbruch nicht "nur" wirtschaftliche, sondern auch weitreichende politische Auswirkungen hätte? Die Vermutung liegt in der Tat nahe.
Ist die Sonderbehandlung des Bildungssektors mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar? Von uns darauf angesprochen, sagten uns zwei erfahrene Bundesrichter, dass sie daran erhebliche Zweifel haben. Allerdings auch daran, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer solchen zeitlich begrenzten Vorschrift aktiv würde, es also auf dem Rechtsweg sehr begrenzte Erfolgsaussichten gäbe. Der Druck müsse vielmehr politisch erfolgen.
Die Rechtsunsicherheit hat die Bildungsbranche später als andere erreicht
Dass es sich um dieselbe Ursache von Rechtsunsicherheit handelt wie in anderen Branchen, die verspätet im Bildungsbereich angekommen ist, bestätigen die Spitzenverbände mit Bezug auf ihr Rundschreiben aus dem Jahr 2023: "Danach gelten die in dem Urteil fortentwickelten Kriterien der Statusbeurteilung, insbesondere zur Bedeutung der Eingliederung in die Arbeitsorganisation, die das BSG bereits zuvor für die Beurteilung anderer Personenkreise formuliert hat, nunmehr auch für die Beurteilung von Lehrern und Dozenten."
Ich (Andreas Lutz) habe zwischen Juni und Dezember 2024 mehrfach an dem Fachdialog des BMAS teilgenommen, bei einem Großteil der Veranstaltungen waren Vertreter/innen der Rentenversicherung unsere Gesprächspartner. Beim Besprechen der neuen Kriterien und ihrer Anwendung durch die Rentenversicherung wurde immer wieder deutlich, dass die Bildungsträger bereit sind, auch unlogische und äußerst bürokratische organisatorische Änderungen vorzunehmen, um Rechtssicherheit zu erlangen, dass die Rentenversicherung ihnen aber auch in diesem Fall nicht wirklich Rechtssicherheit gewähren kann oder will. Gerade weil das Problem durch organisatorische Maßnahmen von Seiten der Anbieter nicht zu lösen ist, kam man überein, eine Übergangsregelung zu schaffen und eine wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens ins Auge zu fassen.
SV-Träger verweisen auf organisatorische Lösung, die es gar nicht gibt
Vor diesem Hintergrund finde ich bemerkenswert, dass die Sozialversicherungsträger gleich an drei Stellen im Besprechungsergebnis schreiben, dass die Übergangsregelung ausreichend Zeit für die Umstellung der Organisationsmodelle schaffen soll, nicht aber die im Koalitionsvertrag vorgesehene Neuregelung erwähnen.
Auf Seite 1 heißt es, das BMAS habe den "Fachdialog initiiert, in dem unter anderem Bildungsverbände und Sozialpartner gemeinsam mit den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in verschiedenen Arbeitsgruppen umfassend beleuchteten, inwieweit eine Umstellung auf Organisationsmodelle möglich ist, in denen der Einsatz selbstständiger Lehrkräfte rechtssicher beibehalten werden kann."
Weiter auf Seite 5: "Danach ist es ausnahmsweise gerechtfertigt, zum einen für einen begrenzten Zeitraum von einer ansonsten zwingenden Nachforderung von Sozialbeiträgen abzusehen und zum anderen Bildungseinrichtungen und Lehrkräften ausreichend Zeit zu geben, um die notwendigen Umstellungen der Organisations- und Geschäftsmodelle vorzunehmen, damit Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterhin sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbstständig ausgeübt werden können."
Wiegen sich Bildungsanbieter in falscher Sicherheit?
Auf Seite 16 des Besprechungsergebnis heißt es schließlich zur Absicht des Gesetzgebers: "sein Ziel besteht darin, Zeit zu geben, um notwendige Umstellungen der Organisations- und Geschäftsmodelle vorzunehmen, damit Lehrtätigkeiten auch unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterhin sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbstständig ausgeübt werden können". (Seite 6)
Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage, ob die Bildungsträger das auch so sehen und alle an der Umstellung ihrer Organisationsmodelle arbeiten oder ob sie nicht vielmehr hoffen, dass zum 1. Januar 2027 die im Koalitionsvertrag vorgesehene wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens in Kraft tritt.
DRV: Übergangsregelung gilt nur bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens
Was die Nachzahlungen in Höhe von über 300.000 Euro durch Anwendung der Herrenberg-Kriterien betrifft, über die wir im April berichtet hatten, bestätigt das Besprechungsergebnis die Position der DRV, dass die Übergangsregelung hier nicht greift. "Auf Bescheide und Feststellungen, die vor dem 01.03.2025 bestandskräftig geworden sind, ist § 127 (...) nicht anwendbar." Dieser könne nur "bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Anwendung finden. Nicht anwendbar ist § 127 (...) dagegen, wenn am 01.03.2025 ein Klageverfahren anhängig war." Genau dies war aber bei dem von uns berichteten Sachverhalt der Fall.
Auch der Rechtsmeinung aus dem Aufsatz von Ziegelmeier und Rittweger widersprechen die Spitzenverbände in einer ganzen Reihe von Punkten: Damit der Auftraggeber beitragsfrei ausgeht, muss nicht nur der Vertrag auf Selbstständigkeit angelegt sein, sondern für jeden Vertrag einzeln eine separate schriftliche Zustimmung der Lehrkraft eingeholt werden (Bei Rahmenverträgen besteht unter bestimmten Bedingungen eine Ausnahme). Die Lehrkraft verzichtet damit auf eine Anstellung und muss sich mit Wirkung ab 1. März 2025 als Selbstständiger und damit beitragspflichtiger Lehrer bei der Rentenversicherung melden, wenn die Einnahmen aus der Lehrtätigkeit mehr als geringfügig sind und er/sie keine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitenden beschäftigte. Ein späterer Widerruf der Zustimmung durch die Lehrkraft sei nicht möglich. Wenn Auftraggeber und -nehmer aufgrund der Unsicherheit zu einer Anstellung gewechselt sind, können sie die Beiträge nicht zurückerhalten: "Eine 'Erstattung' der Beiträge kommt nicht in Betracht."
Egal wie nun die Übergangsregelung im Detail auszulegen ist: Die entscheidende Frage ist, ob wir zum 1. Januar 2027 mit einer wirksamen Reform des SFV rechnen können oder nicht. Falls nein, käme viel Arbeit und Bürokratie auf den gesamten Bildungsbereich zu, ohne dass er dadurch Rechtssicherheit gewinnt.
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