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Lesetipp Statusfeststellung und Betriebsprüfung Die rechtlichen Folgen von Scheinselbstständigkeit für Auftraggeber und Auftragnehmer

Es ist das Schreckgespenst aller überzeugten Solo-Selbstständigen: Ein Bescheid über abhängige Beschäftigung von der Deutschen Rentenversicherung. Was passiert wirklich, wenn Scheinselbstständigkeit festgestellt wird?

Scheinselbstständigkeit zu vermeiden gleicht oft einem Drahtseilakt

"Selbstständigkeit" ist kein eindeutiger Begriff: Was als selbstständig gilt, wird je nach Rechtsgebiet unterschiedlich definiert. Es kommt darauf an, ob man sich im Arbeitsrecht, im Sozialrecht oder im Steuerrecht bewegt. Wenn Solo-Selbstständige von ihren Sorgen mit der Scheinselbstständigkeit sprechen, geht es meist um das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung, also um das Sozialrecht.

Scheinselbstständigkeit ist nicht Selbstständigkeit mit Rentenversicherungspflicht

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Dabei kommt es häufig zu einem Missverständnis: Scheinselbstständigkeit wird oft verwechselt mit der Selbstständigkeit mit Rentenversicherungspflicht. Im ersten Fall wird das Auftragsverhältnis als abhängige Beschäftigung eingestuft, im zweiten Fall ist die Person selbstständig, aber rentenversicherungspflichtig. Diese arbeitnehmerähnliche Selbstständigkeit ist im sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs geregelt (§ 2 SGB VI). Sie betrifft einerseits bestimmte Berufsgruppen wie Lehr-, Erziehungs- und Pflegepersonen, darunter auch Trainer, sowie Künstler und Publizisten. Außerdem gilt die Rentenversicherungspflicht für Solo-Selbstständige, die keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und "auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind". Sie sind arbeitnehmerähnliche Selbstständige und müssen sich in der Rentenversicherung pflichtversichern.

"Auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber" ist also die Formel im Gesetz, die es zu interpretieren gilt. Dafür hat sich die sogenannte 5/6-Regelung etabliert: "Im Wesentlichen nur ein Auftraggeber" gilt als erfüllt, wenn ein Auftraggeber mehr als fünf Sechstel des Umsatzes im Kalenderjahr ausmacht. Dann muss die Selbstständige Rentenbeiträge zahlen – und zwar den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberanteil.

Hartnäckiger Mythos

Eigentlich müssten Selbstständige deshalb die Selbstständigkeit mit Rentenversicherungspflicht und nicht die Scheinselbstständigkeit fürchten – vielen ist der Unterschied jedoch gar nicht klar. Da die beiden Fälle so oft verwechselt werden, hält sich auch hartnäckig der Mythos, mehrere Auftraggeber zu haben, sei ein Kriterium für Selbstständigkeit. "Aber ich bin doch nicht scheinselbstständig, ich habe mehrere Auftraggeber", lautet das Mantra. 

Dabei wird ein richtiges Kriterium in den falschen Zusammenhang gesetzt: Scheinselbstständigkeit ist vom Unternehmen her gedacht. Das Unternehmen soll sich nicht unrechtmäßig Sozialbeiträge sparen. Dabei geht allerdings unter, dass nicht immer große Unternehmen auf der Auftraggeberseite stehen: Auch Solo-Selbstständige arbeiten mit anderen Solo-Selbstständigen zusammen und können in der Rolle des Auftraggebers stecken.

Wegen dieser Logik aber wird das einzelne Auftragsverhältnis untersucht, nicht die Person, die als Selbstständige arbeitet: Selbstständigkeit ist danach kein Merkmal der Person, sondern des Auftragsverhältnisses. Für die Frage der Scheinselbstständigkeit spielt es keine Rolle, wie viele Aufträge die Auftragnehmerin hat. Für die Scheinselbstständigkeit gibt es andere Kriterien – sehr viele, leider keine verbindlichen, sondern schwammige, mal so und mal so ausgelegte. Wie du dich trotz aller Rechtsunsicherheit am besten vor Scheinselbstständigkeit schützt, haben wir vergangenes Jahr aufgeschrieben.

Es tut weh, wenn der Bescheid die Unabhängigkeit in Frage stellt

In diesem Beitrag soll es um die "echte" Scheinselbstständigkeit und ihre Folgen gehen. Die spärlichen Regelungen dazu finden sich in Paragraf 7 des vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs. Außerdem gehen wir von Selbstständigen aus, die ihren Auftraggebern auf Augenhöhe gegenübertreten und freiwillig und gerne selbstständig tätig sind – nicht solchen, die aus einer schlechten Verhandlungsposition heraus die Selbstständigkeit nur notgedrungen in Kauf genommen haben. Abgesehen von all den Folgen, die wir hier aufzählen, trifft es Menschen, die aus Überzeugung selbstständig sind, in ihrem Selbstverständnis, wenn ihre Unabhängigkeit per Bescheid in Frage gestellt wird.

Sozialversicherungsrechtliche Folgen

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Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, wird der Auftragnehmer sozialversicherungspflichtig – zu Lasten der Auftraggeberin. Diese muss die vollen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen, für das laufende Jahr und bis zu vier Jahre rückwirkend, wenn der Auftrag schon damals bestand. (Präziser: Die Nachforderungsansprüche des Sozialversicherungsträgers verjähren erst vier Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. De facto sind also bis zu beinahe fünf Jahre Nachzahlungen möglich.) Wird Vorsatz festgestellt, kann sich die Rückzahlungspflicht auf bis zu 30 Jahre erstrecken. Dem Auftragnehmer drohen de facto keine Nachzahlungen. Nur wenn tatsächlich ein Arbeitsverhältnis (weiter-)besteht, kann die Auftraggeberin in der folgenden Gehaltszahlung die Arbeitnehmeranteile für die vergangenen drei Monate einbehalten.

Wenn der Auftragnehmer vorher schon in der gesetzlichen Krankenversicherung war, erwartet ihn quasi ein "Geldsegen", weil er seine Beiträge erstattet bekommt. Privat Versicherte erhalten keine Erstattung.

Ist die Scheinselbstständigkeit also ein gutes Geschäft für den Auftragnehmer? Das wäre natürlich zu kurz gegriffen. Wichtig ist festzuhalten: Das "Vergehen" liegt nach der Logik des Systems auf der Seite des Unternehmens, das sich die Sozialbeiträge gespart hat. Der oder die Scheinselbstständige hat keine Strafen und unmittelbar finanziell wenig zu fürchten. Die Scheinselbstständigkeit ist vor allem das Problem des Auftraggebers. Dennoch sind die Folgen für Auftragnehmer erheblich. Dazu gleich mehr.

Arbeitsrechtliche Folgen

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Ist der oder die Scheinselbstständige nun automatisch Arbeitnehmer/in des Auftraggebers? Nein, denn das Arbeitsrecht ist nicht an die sozialversicherungsrechtlichen Feststellungen gebunden. Wenn der Auftragnehmer eine Festanstellung anstrebt, hat er nun Chancen, sich in das Unternehmen einzuklagen. Eine Selbstständige, die freiwillig und gern selbstständig gearbeitet hat, wird dies nicht anstreben und muss auch nicht befürchten, sich ungewollt in einer Festanstellung wiederzufinden.

Anders sieht dies bei der geplanten EU-Richtlinie zur Plattformarbeit aus, die arbeitsrechtlich konzipiert ist. Diese soll bei Vorliegen der Voraussetzungen automatisch eine widerlegbare Vermutung eines Arbeitsverhältnisses auslösen. Sie hat allerdings auch keinen sozialrechtlichen Ansatz wie das Statusfeststellungsverfahren der DRV. Bei der Plattformrichtlinie geht es darum, die scheinselbstständigen Plattformbeschäftigten mit Arbeitnehmer-Rechten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsanspruch und Kündigungsschutz auszustatten.

Strafrechtliche Folgen

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Zunächst einmal hat eine Scheinselbstständigkeit keine strafrechtlichen Folgen für alle Beteiligten. Wenn jedoch Vorsatz nachgewiesen wird, kann sich der Auftraggeber strafbar machen, und nur er. Für ihn kommt § 266a StGB in Frage, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt. "Ein Vorsatz ist schnell da", sagte Kathi-Gesa Klafke im Experten-Talk zum Thema. Gerade diejenigen, die besonders findig sein wollen, stehen mit einem Bein im Strafgesetzbuch. Viele Verträge enthalten Klauseln, mit denen die Übernahme der Sozialversicherungskosten ausgeschlossen wird, oder der Selbstständige zusichern soll, dass er tatsächlich selbstständig ist. Solche Klauseln werden im Zweifel als Indiz dafür gewertet, dass der Auftraggeber Grund hatte, eine Scheinselbstständigkeit zu vermuten – also einen sogenannten bedingten Vorsatz. Die Strafe kann eine Geldstrafe, aber auch bis zu fünf Jahre Gefängnis sein.

Steuerrechtliche Folgen

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Hier ist wieder zu beachten, dass man das Rechtsgebiet wechselt: Auch wer sozialrechtlich als scheinselbstständig und damit als abhängig beschäftigt angesehen wird, kann steuerrechtlich weiterhin als selbstständig gelten. Wenn man aber die sozialrechtliche Einordnung überträgt, heißt dies vor allem: die Umsatzsteuer ist rückabzuwickeln. Das Unternehmen, das nun Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss, wird auch ein Interesse daran haben, sich zumindest die an den Scheinselbstständigen gezahlte Umsatzsteuer zurückzuholen. Es entfällt auch sein Vorsteuerabzug. Der oder die Selbstständige muss dann auch die Umsatzsteuer-Erklärungen und -Voranmeldungen korrigieren. Wenn generell der Unternehmerstatus in Gefahr ist, könnte sich das auch auf weitere Auftragsverhältnisse auswirken.

Andererseits könnte der Auftragnehmer steuerrechtlich seinen Unternehmerstatus behalten. Der Scheinselbstständigkeits-Experte Michael Felser empfiehlt deshalb, mit dem zuständigen Finanzamt zu klären, ob der steuerliche Status geändert werden muss.

Praktische Folgen

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Rein theoretisch könnte der Auftrag als selbstständiges Vertragsverhältnis mit Pflichtsozialversicherung weitergeführt werden. Das Unternehmen würde dann vom Honorar den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung einbehalten und den Arbeitgeberanteil dazuzahlen. Damit wäre den unterschiedlichen Rechtsgebieten Rechnung getragen: Der Auftragnehmer wäre sozialversicherungsrechtlich ein Arbeitnehmer, arbeits- und steuerrechtlich aber weiter selbstständig. Das ist juristische Theorie, denn praktisch wird sich kein Unternehmen darauf einlassen. Es würde für dieselbe Arbeit plötzlich 20 Prozent mehr zahlen – zusätzlich zu den ohnehin schon nachzuzahlenden Beiträgen. 

In der Praxis wird die Folge anders aussehen: "Der Selbstständige verliert seinen Auftrag", sagt Hartmut Paul, ehemaliger Betriebsprüfer und Scheinselbstständigkeits-Experte, deshalb trocken. Und auch weitere Aufträge sind in Gefahr: Wenn der Selbstständige seine Aufträge generell nach dem gleichen oder ähnlichen Muster gestaltet hat, hängt auch über diesen das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit. Gleiches gilt für die Auftraggeberin: Wenn sie mehrere Aufträge vergeben hat, die ähnlich gestrickt sind, stehen auch diese unter dem Verdacht der Scheinselbstständigkeit. Eine einzelne Feststellung der Scheinselbstständigkeit kann deshalb eine Kettenreaktion auslösen und ein Berufsleben auf den Kopf stellen.

Juristische Schritte

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Gegen den Statusfeststellungsbescheid der DRV kann Widerspruch eingelegt und geklagt werden. Damit beginnt in der Regel ein mühsamer und langer Weg mit ungewissem Ausgang. Das, was die Betroffenen bräuchten, ist nicht zu erwarten: schnelle Klarheit. Und auch die Tatsache, dass Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung haben, also dafür sorgen, dass die Sozialversicherungspflicht nicht eintritt, solange der Fall nicht entschieden ist, hilft kaum weiter: Das Auftragsverhältnis steht unter dem Verdacht der Scheinselbstständigkeit – es unter den gleichen Bedingungen fortzuführen, würde bedeuten, mit bedingtem Vorsatz Sozialbeiträge zu hinterziehen, wenn das Gericht die Statusfeststellung bestätigt. Dann käme sogar eine Strafbarkeit in Betracht.

Ein Rechtsstreit kann viele Jahre dauern – und der Ausgang davon abhängen, wo man wohnt oder vor welchen Senat eines Gerichts man gerät. Viele Urteile fallen im Sinne der Rentenversicherung aus. Vereinzelte bieten aus Selbstständigen-Perspektive dann wieder einen Lichtblick. Die höchste Instanz, das Bundessozialgericht, urteilt in der Regel allerdings wenig Selbstständigen-freundlich.

Oft droht ein jahrelanger Rechtsstreit

Selbstständigkeits-Experte Felser rät deshalb von einer Klage ab, sogar wenn der Bescheid offensichtlich fehlerhaft sei. Damit würde man allerdings auf rechtsstaatliche Mittel verzichten, die einem zustehen – und auf die Möglichkeit, einen juristischen Erfolg zu erzielen. Ein jahrelanger Rechtsstreit ist sicher nicht jedermanns Sache. Unrecht hinzunehmen allerdings auch nicht. Betroffene sollten deshalb die Optionen sorgsam abwägen.

Hast du selbst schon Erfahrungen mit dem Statusfeststellungsverfahren und/oder Betriebsprüfungen gemacht? Wie ist es bei dir ausgegangen?

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