Wenn man trotz entsprechender Fähigkeiten bei Stellenangeboten altersbedingt abgelehnt wird, nennt man das Altersdiskriminierung. Bisher konnte man sich dann selbstständig machen, künftig bestraft einen der Staat im Rentenalter zusätzlich steuerlich.
Die mehr als 75.000 Mitzeichner/innen unserer Petition für eine faire Aktivrente, die auch Selbstständige einschließt, haben mehr als 28.000 Kommentare geschrieben. Wir haben nicht alle, aber sehr, sehr viele davon gelesen. Zu den Fragen, die am häufigsten gestellt werden, gehört diese: „Wer will mich im Rentenalter noch anstellen? Falls ich keine Anstellung finde, bin ich gezwungen, mich selbstständig zu machen, um weiter arbeiten zu können. Ich bekomme keine Anstellung und werde dafür, dass ich stattdessen selbstständig arbeite, zusätzlich steuerlich bestraft – und das massiv.“ Das zeigt: Altersdiskriminierung bei der Suche nach einer Anstellung führt zu einer steuerlichen Diskriminierung durch den Staat, diese verstärkt die Effekte der Altersdiskriminierung.
Vorurteile über Fähigkeiten und Fertigkeiten
Ein weit verbreitetes Stereotyp geht davon aus, dass die körperlichen, geistigen und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen mit steigendem Alter nachlassen. Ältere Personen gelten als weniger kompetent, motiviert, kreativ und flexibel. Aus wissenschaftlicher Sicht ist dies längst überholt: "Studien aus der Soziologie, Gerontologie, Ökonomie und Arbeitsmedizin zeigen, dass zwar manche Eigenschaften wie geistige Wendigkeit und Schnelligkeit mit dem Alter abnehmen, andere aber – z. B. Erfahrungswissen – zunehmen, sodass die Leistungsfähigkeit nicht generell über das Lebensalter bestimmt werden kann", heißt es in der Analyse "Altersdiskriminierung trotz Arbeitskräftemangel".
Besonders betroffen: Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen
Dennoch erfahren viele Ältere Altersdiskriminierung im Arbeitsleben. In besonderem Maß betroffen sind ältere Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen: Manch Arbeitgeber fragt sich, ob sie in gleichem Maße wie jüngere belastbar sind, mit welchen Fehlzeiten zu rechnen ist und ob es zu längeren Krankheitsausfällen kommen kann. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall übernimmt zwar zum Teil die Krankenkasse, zu einem großen Teil trägt aber in den ersten sechs Wochen der Arbeitgeber die Kosten – zusätzlich zu den Problemen, die durch den längeren Ausfall des/der Mitarbeiter/in entstehen.
Auch ohne bekannte gesundheitliche Einschränkungen ist das Risiko einer längeren Erkrankung bei älteren Arbeitnehmer/innen höher als bei jüngeren. Tatsächlich verhält es sich so, dass ältere Beschäftigte seltener krankgeschrieben werden als jüngere, ihre Erkrankungen jedoch oft gravierender und länger anhaltend sind (Quelle).Deshalb sind viele Arbeitgeber bei der Anstellung älterer Mitarbeitender zurückhaltender und beauftragen diese lieber im Rahmen einer Selbstständigkeit, auch wenn das pro Stunde etwas mehr kostet. Dann müssen sie nur für die erbrachten Leistungen bezahlen. Das Krankheitsrisiko tragen die Selbstständigen und bei einem längeren Ausfall ist es organisatorisch deutlich einfacher, Ersatz zu organisieren.
Künftig droht die Dreifach-Diskriminierung
Als Selbstständige können wir diese wirtschaftliche Denkweise einerseits nachvollziehen. Für die Betroffenen führt sie allerdings künftig zu einer Dreifach-Diskriminierung: wegen ihrer Vorerkrankungen, ihres Alters und – durch den geplanten Ausschluss aus der Aktivrente – künftig auch wegen ihrer Selbstständigkeit. Solche Häufungen von Benachteiligungen sind nicht ungewöhnlich, man spricht von Mehrfach-Diskriminierung.
Noch schwieriger ist die Jobsuche für Rentner/innen mit einer sichtbaren Behinderung: Hier sorgen sich Arbeitgeber vor Schwierigkeiten, wenn sie sich von Mitarbeitenden wieder trennen wollen. Was zu deren Schutz gedacht ist, führt zum Gegenteil und macht es für Menschen mit sichtbaren Einschränkungen extrem schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden, zumal im Alter. Selbstständigkeit ist deshalb auch für Menschen mit einer Behinderung eine wichtige Alternative. Künftig werden sie im Rentenalter für die Wahl der Selbstständigkeit vom Staat bestraft.
OECD: Ältere brauchen Optionen wie Teilzeit oder Selbstständigkeit
Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) schreibt in ihrem Employment Outlook 2025 (aus dem Englischen übersetzt): „Bei älteren Erwachsenen kann Selbstständigkeit […] auch eine eingeschränkte Wahlmöglichkeit widerspiegeln, insbesondere wenn sie durch die Zurückhaltung der Arbeitgeber bei der Einstellung älterer Arbeitnehmer und einen Mangel an flexiblen Arbeitsmöglichkeiten bedingt ist. Die Politik sollte darauf ausgerichtet sein, älteren Arbeitnehmern so viele Wahlmöglichkeiten wie möglich in Bezug auf Teilzeitarbeit und Selbstständigkeit zu bieten, ohne eine der beiden Formen wirtschaftlich zu begünstigen oder zu benachteiligen.“ (Hervorhebung durch uns)
Auch die WirtschaftsWoche weist unter der Überschrift "Wie die Aktivrente an einem einfachen Problem scheitern könnte" auf das Thema hin: "Rentner können bald monatlich 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen. Doch es gibt kaum offene Stellen. Das sind die Gründe." Sie schreibt an anderer Stelle: "Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen schreckten vor dem Einstellen Älterer zurück. Grund sei die Rechtsunsicherheit bei befristeten Arbeitsverträgen und das Risiko, dass unbefristete Arbeitsverhältnisse entstünden."
Zahlen & Fakten
- Laut einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) berichtet 39 Prozent der Befragten ab 45 Jahren davon, schon einmal im Erwerbsleben Altersdiskriminierung erfahren zu haben.
- In einer experimentellen Studie zeigte sich: Ein Altersunterschied von plus 14 Jahren verringerte bei ansonsten gleichwertigen Bewerbungen die Einstellungswahrscheinlichkeit um 22 Prozentpunkte.
- Eine weitere Untersuchung auf Basis der Daten von 500.000 deutschen Firmen kam zum Ergebnis: Während der Anteil älterer Erwerbstätiger (im Alter von 50 bis 64 Jahren) an der Gesamtbevölkerung um 3,8 Prozentpunkte zunahm, stieg der Anteil von Neueinstellungen in dieser Altersgruppe nur um 1 Prozentpunkt – das Einstellungsverhalten hinkt also der Bevölkerungsentwicklung deutlich hinterher.
- Daten von Destatis zeigen, dass der Anteil der Erwerbstätigen unter den 55- bis 64-Jährigen im Jahr 2021 zwar auf knapp 72 Prozent stieg, aber weiter deutlich unter der Quote der jüngeren Altersgruppen liegt.
- Die monatliche Abgangs- bzw. Vermittlungsrate aus der Arbeitslosigkeit beträgt laut Bundesagentur für Arbeit bei 55- bis unter 65-Jährigen rund 3,1 Prozent. Sie ist damit halb so hoch wie der Durchschnitt aller Altersklassen. Er liegt bei 5,8 Prozent. Die geringere Vermittlungsquote führt zu einer längeren Dauer der Arbeitslosigkeit von durchschnittlich 51 Wochen bei dieser Altersgruppe (gegenüber 36 Wochen über alle Altersgruppen hinweg). Und wir sprechen hier noch über Menschen unterhalb des Renteneintrittsalters!
- Zwar ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 65-Jährigen zwischen 1991 und 2023 von 38 auf 75 Prozent gestiegen. Allerdings hauptsächlich dadurch, "dass mehr Ältere länger in Beschäftigung bleiben. Dagegen haben sich die Chancen, eine neue Stelle zu finden, für diese Altersgruppe kaum verbessert." (Analyse "Altersdiskriminierung trotz Arbeitskräftemangel").
Selbstständig, um einer Diskriminierung zu entgehen (und dann Opfer einer anderen zu werden)?
Laut Deutschem Zentrum für Altersfragen (DZA) hat im Jahr 2017 im jüngeren Rentenalter (65 bis 74 Jahre) etwa jede fünfte Person eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, davon ein Drittel selbstständig. Im höheren Rentenalter (75 bis 85 Jahre) waren nur noch 4 Prozent erwerbstätig, davon zwei Drittel selbstständig.
Inwieweit ist der hohe Anteil der Selbstständigkeit im Rentenalter die Folge von Altersdiskriminierung und inwieweit Folge einer freiwilligen Entscheidung? Ein Faktor ist sicherlich, dass es für Selbstständige keine Frühverrentungsprogramme gibt und auch kein festes Renteneintrittsalter. Statt von einem Tag auf den anderen in Rente zu gehen, arbeiten sie oft in verringertem Umfang weiter, so lange es Spaß macht und/oder finanziell hilfreich ist.
Zugleich gibt es viele Arbeitnehmer/innen, die sich im Alter erst selbstständig machen, weil sie endlich frei und selbstbestimmt arbeiten wollen. Hinzu kommt die Tatsache, dass Senior/innen gerne ihre Erfahrung und ihr Wissen weitergeben wollen mit Tätigkeiten wie Beratung, Coaching und Training, die typischerweise selbstständig erbracht werden.
Mehr Altersdiskriminierung, mehr Selbständige
Aber auch Altersstereotypen ("lohnt sich nicht mehr einzustellen") spielen eine wichtige Rolle: Laut einem Aufsatz über angestellte vs. selbstständige Arbeit bei Menschen ab 50 in der EU gibt es „nach wie vor viele Stereotypen und Vorurteile in Bezug auf die Beschäftigung älterer Menschen, die Arbeitgeber häufig an den Tag legen, um sie nicht einzustellen. In einer solchen Situation ist die Selbstständigkeit oft die Alternative zur Arbeitslosigkeit“.
Ein deutliches Indiz dafür ist, dass in Ländern mit stärker altersfreundlichen Arbeitsmärkten (zum Beispiel Skandinavien) ein höherer Anteil an abhängiger Beschäftigung bestehen bleibt, während Deutschland einen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteil selbstständiger Erwerbstätigkeit über 65 Jahre aufweist.
Fördern statt abstrafen: Aktivrente auch für Selbstständige!
Das alles zeigt: In einem Arbeitsmarkt, in dem ältere Menschen immer wieder diskriminierende Erfahrungen aufgrund ihres Alters machen, ist die Selbstständigkeit eine unbedingt nötige Alternative. Mit der geplanten Aktivrente will die Regierung dem Fachkräftemangel in Deutschland begegnen und mehr Menschen zum längeren Arbeiten motivieren. Das aber kann nur funktionieren, wenn sie selbstständige Arbeit im Alter nicht über einen Ausschluss aus der Aktivrente abstraft – sondern sie genauso behandelt wie eine Erwerbstätigkeit in Anstellung.
Wir fordern: Die Aktivrente muss für auch für Selbstständige gelten! Bereits mehr als 75.000 Menschen haben unsere Petition unterschrieben – unterzeichne auch du sie, teile sie in deinem Netzwerk, werde gemeinsam mit uns laut!
Jetzt Petition mitzeichnen: openpetition.de/aktivrente
Hast du bereits Erfahrungen mit Altersdiskriminierung gemacht? Hatte dein Alter Einfluss auf deine Entscheidung für die Selbstständigkeit? Wir sind gespannt auf deine Erfahrungen und freuen uns über einen Kommentar von dir.
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