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Corona-Soforthilfe Rückmeldeverfahren in Hessen sorgt für Ärger – Proteste bewirken vorläufigen Stopp

Einst waren sie als schnelle und unbürokratische Hilfe gedacht, heute jedoch zieht sich ihre Abwicklung wie Kaugummi. Mehr als fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie sorgt in Hessen das Rückmeldeverfahren zu den Corona-Soforthilfen für große Verärgerung. Nun zeigen die Proteste Wirkung: Es gibt ein Moratorium, die Prüfungen liegen auf Eis. 

Vorläufiger Stopp: Das Rückmeldeverfahren zu den Corona-Soforthilfen in Hessen liegt auf Eis.

Wir erinnern uns: Mit der Corona-Soforthilfe stellte der Bund zu Beginn der Pandemie Zuschüsse bereit, um Selbstständige und kleine Unternehmen in dieser kritischen Phase zu unterstützen. In Hessen konnten Solo-Selbstständige und Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitenden damals bis zu 10.000 Euro erhalten. Maximal waren 30.000 Euro möglich für Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden. Die Mittel sollten insbesondere laufende betriebliche Kosten decken und nicht zurückgezahlt werden müssen, sofern tatsächlich ein coronabedingter Liquiditätsengpass vorlag.

90.000 Mails an fünf Jahre alte E-Mail-Adressen

Ob bei den Empfängerinnen und Empfängern der Soforthilfe damals tatsächlich ein Liquiditätsengpass vorlag, das versucht das Regierungspräsidium Kassel herauszufinden. Laut Hessenschau wurden im Jahr 2020 rund 957 Millionen Euro an etwa 106.000 Antragsteller ausgezahlt. Gut 90.000 von ihnen bekamen Mitte August völlig unerwartet eine Mail vom Regierungspräsidium (RP) Kassel. Der Betreff: “Rückmeldeverfahren Corona-Soforthilfe: Aufforderung zur Rückmeldung”. 

In einem eigens eingerichteten Online-Portal sollten sie Angaben über ihre damaligen Einnahmen, Ausgaben, Eigenmittel etc. machen. Das Ziel, so heißt es in der Mail, sei zu überprüfen, “ob es zu einer Überkompensation gekommen ist. Eine Überkompensation liegt vor, wenn Ihnen mehr Soforthilfe bewilligt wurde, als zur Deckung des pandemiebedingten Liquiditätsengpasses notwendig war.”

Auch VGSD-Mitglied Klaus Weddig, freier Fotograf aus Frankfurt, fand diese Nachricht in seinem Postfach. Auf den ersten Blick hielt er sie für Spam, doch zum Glück schaute er genauer hin – und war schockiert. Nicht nur enthielt die Mail sensible Daten wie seinen damaligen Förderbetrag sowie Zugangsdaten zum Online-Portal inklusive PIN. Auch erreichte sie ihn völlig unerwartet und mit Bitte um Rückmeldung innerhalb von nur zwei Wochen. Eine extrem knappe Frist für ein Rückmeldeverfahren, das per Mail an 90.000 Personen ging – mit fünf Jahre alten E-Mail-Adressen und mitten in der Ferienzeit. Nicht nur Klaus Weddig fand das befremdlich.

Unklarheiten zu Personalkosten und Berechnungszeitraum

Denn die Rückmeldung ist verpflichtend – wer nicht reagiert, dem droht die Rückforderung seiner Soforthilfe in voller Höhe. “Sehr kurze Fristen sowie die rein elektronische Abwicklung ohne die Möglichkeit, individuelle Umstände darzustellen, stellen viele Unternehmen vor unnötige Herausforderungen”, heißt es etwa bei der Handwerkskammer Wiesbaden. “Dabei hatten sowohl die damalige als auch die aktuelle Bundesregierung eine bürokratiearme Abwicklung zugesagt. Für zusätzliche Verwirrung sorgt beispielsweise die Nichtberücksichtigung von Personalkosten – hier gibt es unterschiedliche Aussagen, da sich FAQs und Förderbedingungen insbesondere am Anfang noch geändert hatten.” 

Für große Irritation sorgte auch der vom RP Kassel genannte Berechnungs- und Förderzeitraum für die Soforthilfen. Zum Hintergrund: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Corona am 11. März 2020 offiziell zur Pandemie erklärt. Zur Frage, wann genau der Berechnungszeitraum für die Soforthilfe starten sollte, gab es schon damals Unsicherheiten und kommunikative Unterschiede seitens der offiziellen Stellen. Beim Hessischen Wirtschaftsministerium etwa hieß es 2020 etwa, die Höhe der anfallenden Kosten sei “ab 11. März 2020 anzugeben”, an anderer Stelle aber: “Der 3-monatige Berechnungszeitraum beginnt frühestens am 11. März 2020”. 

Klaus Weddig ergänzt: “Außerdem schrieb Hessen damals in seiner Richtlinie zur Durchführung eines Soforthilfsprogramms, dass diese sich an den Voraussetzungen des Bundesprogramms orientiere. In diesem ist vom 11. März keine Rede. Hessen verstößt an dieser Stelle also gegen seine eigene Richtlinie.”

Zahlungseingänge nach dem Stichtag

Wieso ist das wichtig? Viele Selbstständige hatten auch nach dem Stichtag noch Zahlungseingänge aus früheren Projekten. Ihr Liquiditätsengpass entstand zeitverzögert in den Folgewochen und -monaten. “Das digitale Rückmeldeverfahren in Hessen stellt nun aber präzise auf den Zeitraum vom 11. März bis 10. Juni 2020 ab”, sagt Fotograf Weddig. 

Macht sich für Verbesserungen im Rückmeldeverfahren zu den Corona-Soforthilfen in Hessen stark: Fotograf und VGSD-Mitglied Klaus Weddig.

Hinzu kommt: Auf dem Portal sollen die Empfängerinnen und Empfänger der Soforthilfe Auskunft über Eigenmittel zum Zeitpunkt der Antragstellung machen – darunter auch über den Kontostand ihrer betrieblich genutzten Konten. Doch Selbstständige wissen: Ein positiver Kontostand ist nicht gleichbedeutend mit Liquidität. Manch einer hat sich damals zum Beispiel Geld vom privaten Konto überwiesen, um einen Engpass zu überbrücken. Viele Solo-Selbstständige haben zudem keine separaten Privat- und Geschäftskonten. 

Weddig weist zudem auf Fehler im automatisierten Verfahren zur Liquiditätsberechnung hin: “Nehmen wir mal an, jemand hat am 2. April den Zahlungseingang für ein großes Projekt auf seinem Konto. Am 5. April stellt er seinen Antrag. Und am 7. April bezahlt er Kosten, die in dem Projekt entstanden sind. Dann berücksichtigt das automatisierte Verfahren die Einnahme UND addiert dazu den Kontostand, der diese Einnahme bereits enthält. Und geht damit von einer viel höheren Liquidität aus, als sie tatsächlich da war.” 

Auch an anderer Stelle gab es Probleme mit der Berechnung: “Das Soforthilfeprogramm überschnitt sich im Juni 2020 mit der im Anschluss gezahlten Überbrückungshilfe. Unternehmern und Freiberuflern, die beides beantragten, wurde bei Bewilligung der Überbrückungshilfe der Juni-Anteil der Soforthilfe abgezogen. Entsprechend irritiert zeigten sich diese Geschäftsleute darüber, dass sich das Rückmeldeverfahren zu den Soforthilfen auf deren volle Höhe bezog”, schreibt zum Beispiel die FAZ

Wie sieht es in anderen Bundesländern aus? 

Seine Empörung über das Verfahren setzte VGSD-Mitglied Klaus Weddig in Aktion um, dokumentierte Unklarheiten und Widersprüche, ging in einen intensiven Austausch mit der Verwaltung und verschiedenen Organisationen und holte die Presse ins Boot. 

Dass es anders geht, zeigt nämlich zum Beispiel Blick in andere Bundesländer. Laut einem FAZ-Artikel zu den Soforthilfen, den Weddig initiiert hat und in dem er seine Erfahrungen schildert, war zum Beispiel in Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Thüringen schon zu Beginn transparent, dass alle Empfänger/innen der Soforthilfe nachträglich überprüft werden müssten. Hier gab es also diesbezüglich mehr Klarheit über das Prozedere. 

Klaus Weddig weist darauf hin, dass es anderswo zudem mehr Flexibilität beim Berechnungszeitraum für die Soforthilfen gibt: In Nordrhein-Westfalen hatte man bei Antragsstellung die Wahl, ob der Dreimonatszeitraum ab Antrag, ab Monatsanfang oder ab dem Folgemonat starten sollte. Und in Sachsen konnte der Liquiditätsengpass für drei aufeinanderfolgende Monate zwischen Mitte März und Ende Oktober 2020 berechnet werden. Diese Modelle entsprechen deutlich mehr der Arbeits- und Lebensrealität von Selbstständigen. 

Die vielfache Kritik zeigt Wirkung

Die hessische Vorgehensweise im Rückmeldeverfahren stieß auf breite Kritik – und diese blieb nicht ohne Wirkung. Das zeigte sich zunächst in Form von Ergänzungen und Anpassungen in den FAQs des Regierungspräsidiums Kassel zum Rückmeldeverfahren. Die Frist zur Abgabe der angeforderten Informationen wurde verlängert und die Bagatellgrenze von 500 auf 1.000 Euro angehoben. Im Fall von Rückforderungen räumte das RP Kassel zudem die Möglichkeit zur Ratenzahlung ein, in besonderen Ausnahmefällen auch Stundungen bis hin zur kompletten Streichung der Rückzahlungsschuld. Und über das Kontaktformular des RP Kassel kann sich melden, wessen Liquiditätsengpass nicht direkt am Pandemie-Stichtag startete. 

Vor Kurzem dann die Nachricht: Das Hessische Wirtschaftsministerium hat “ein sofortiges Moratorium für das Rückmeldeverfahren zu den Corona-Soforthilfen erlassen”, so die Steuerberaterkammer Hessen. “Die Bearbeitung der Rückmeldungen wird aktuell ruhend gestellt, bis das Ergebnis der zugesagten erneuten Prüfung der diskutierten Punkte durch das Wirtschaftsministerium feststeht.” Geprüft werden sollen demnach verschiedene Punkte – zum Beispiel die bisher fehlende Berücksichtigung des negativen Kontobestandes und auch die Tatsache, dass der Betrachtungszeitraum sich nicht mit den Schließzeiten deckt. Wichtig: Laut hessischem Wirtschaftsministerium sind im Rahmen des Moratoriums nur die Fristen im Rückmeldeverfahren ausgesetzt – die Frist zur Klageerhebung bleibt hingegen unverändert.

Wie viele andere Betroffene wünscht sich Klaus Weddig, dass das Rückmeldeverfahren so überarbeitet wird, dass es konsistent zu den Vorgaben des Bundes ist. Und praxisnahe Optimierungen mitbringt, die die Lebensrealität der Selbstständigen adäquat spiegeln.

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