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Lesetipp Interview zur Lage in der Übersetzungsbranche "Man sollte mindestens einen Gewinn von 46.000 Euro haben"

Werden Übersetzer/innen bald durch KI ersetzt? Wie behaupten sich die Sprachprofis in einem schwierigen Markt? Wir haben mit Cornelia Rösel vom Berufsverband BDÜ über die Herausforderungen und die richtige Honorar-Kalkulation gesprochen.

Cornelia Rosel, Vizepräsidentin für das Ressort Übersetzen des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer, BDÜ

Ein paar Klicks im Internet-Tool, und schon hat man einen seitenlangen Text aus einer Fremdsprache übersetzt in die Muttersprache, oder umgekehrt. Für Privatpersonen hat sich bei Übersetzungen in den vergangenen Jahren eine wahre Revolution vollzogen. Dass an Übersetzungen für den Privatgebrauch andere Anforderungen gestellt werden als an solche im professionellen Bereich, ist klar. Doch auch in der Übersetzungsbranche hat die Digitalisierung Auswirkungen.

Der größte Berufsverband der Branche ist der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) mit mehr als 7.500 Mitgliedern. Der VGSD kooperiert mit dem BDÜ im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Selbstständigenverbände (BAGSV). Mit BDÜ-Vizepräsidentin Cornelia Rösel haben wir über die Lage in der Branche gesprochen. Auch die Frage einer realistischen Preis-Kalkulation spielte eine Rolle, nachdem gerade zwei sehr unterschiedliche Beiträge von Übersetzerinnen in unserer Reihe "Wie viel verdient eigentlich …?", darunter einer mit einem irritierend niedrigen Einkommen, erschienen sind.

Cornelia, wie geht es den Übersetzerinnen und Übersetzern?

Im Großen und Ganzen gut. Der Bedarf an Übersetzungen wächst wegen der Internationalisierung und Globalisierung seit Jahren stetig – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Natürlich haben die technischen Entwicklungen auch in unserer Branche Auswirkungen auf den Arbeits- und Auftragsmarkt. Maschinelle Übersetzung und künstliche Intelligenz sind hier hauptsächlich zu nennen. Da gilt es, sich ständig zu diesen Technologien auf dem Laufenden zu halten und weiterzubilden.

Damit erweitert sich aber auch das Leistungsangebot: Wir bringen unsere Expertise zum Einsatz von digitalen Arbeitswerkzeugen ein und beraten Auftraggeber, wie sie mehrsprachige Projekte am besten umsetzen können. Wir wissen, wie und wann Übersetzungssysteme, die für professionelle Anwendungen entwickelt wurden, sinnvoll und effizient eingesetzt werden können – aber auch, wo sich Fehlerquellen verstecken.

Welche Probleme gibt es in der Übersetzungsbranche?

Ein zunehmend erkennbares Problem ist das des qualifizierten Nachwuchses. Die Hochschulen, die im Bereich Übersetzen ausbilden, vermelden massiv sinkende Absolventenzahlen. Neben dem demographischen Wandel hat vermutlich die in der Gesellschaft vorherrschende Vorstellung, dass der Beruf aufgrund der technischen Entwicklungen bald überflüssig werden könnte, einen nicht geringen Anteil daran. Äußerungen von Politikern, die das noch befeuern, zum Teil sogar das Erlernen von Fremdsprachen für entbehrlich halten, sind da auch nicht gerade hilfreich. Wir brauchen aber dringend gut ausgebildeten Nachwuchs, nicht nur in der Wirtschaft und Industrie, sondern auch bei Behörden und Ämtern sowie bei internationalen Institutionen und Organisationen wie der EU oder den Vereinten Nationen.

Außerdem sind die meisten Übersetzerinnen und Übersetzer freiberuflich tätig; der Frauenanteil ist hoch. Das bringt Schwierigkeiten mit sich, die ihr beim VGSD ja gut kennt und gegen die wir in der BAGSV gemeinsam kämpfen: fehlender Mutterschutz, Ungerechtigkeiten bei der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung.

Welche Rolle spielt die KI für die Branche?

KI ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema. Aber: Der Einsatz technischer Werkzeuge wie zum Beispiel computerunterstütztes Übersetzen (Computer-Aided Translation, „CAT-Tools“) ist für professionelle Übersetzerinnen und Übersetzer schon seit Langem Standard. Wenn es um rechtlich oder gesundheitlich relevante, geschäftskritische oder kreative Texte geht, sind definitiv wir als qualifizierte Profis gefragt. Wir haben die Methodik und die Feinheiten des gesamten Übersetzungsprozesses in unserer mehrjährigen Ausbildung verinnerlicht und mit Berufserfahrung gefestigt. 

Insgesamt führt KI zu einer Vielzahl von Veränderungen für unseren Beruf. Wer am Markt bestehen will, muss sich gegebenenfalls noch stärker spezialisieren. Das Übersetzen „von Grund auf“ nimmt in vielen Bereichen ab; das Berufsbild verlagert sich in Richtung der Überprüfung und Überarbeitung von maschinell erstellten Rohübersetzungen. Gerade hier können und müssen wir stärker beratend tätig werden.

Was von Fachfremden meistens auch nicht richtig eingeschätzt wird: Das Nachbearbeiten maschinell vorübersetzter Texte ist oft eine mindestens ebenso anspruchsvolle und aufwendige Tätigkeit wie das Übersetzen selbst, da neben einer extrem hohen Konzentration auch viel Fachkenntnis sowie das Wissen über die Funktionsweise der KI-Systeme erforderlich ist.

Die Arbeit qualifizierter Sprachexperten wird KI in absehbarer Zeit nicht ersetzen. Im Gegenteil: Die kompetente Überprüfung der Ergebnisse wird immer wichtiger; ebenso wie vorbereitende Arbeiten zur Verbesserung der Ergebnisse der Tools, zum Beispiel durch die Aufbereitung der entsprechenden Trainingsdaten.

Zur Frage, was KI für die Berufe der Übersetzer und Dolmetscher bedeutet, hat der BDÜ ein ausführliches Positionspapier erstellt.

In unserer Reihe "Wie viel verdient eigentlich …?" hatten wir vor kurzem einen Beitrag, auf den wir viele, zum Teil sehr verärgerte Reaktionen erhalten haben. Die Übersetzerin gab an, zu einem Stundensatz von 25 Euro beziehungsweise vier Cent pro Wort zu arbeiten und damit einen Gewinn von 23.000 Euro zu erwirtschaften. Ist es realistisch, zu solchen Honorarsätzen zu arbeiten?

Kurz gesagt: Nein. Wenn man seinen Lebensunterhalt davon bestreiten will, ist es das nicht. Zumindest nicht, wenn man keine weiteren Einkommensquellen hat. Dass man mit diesen Honorarsätzen auf einen Jahresumsatz von lediglich etwa 28.000 Euro beziehungsweise 22.500 Euro für die 80 Prozent Übersetzungstätigkeit kommt, ist schon nachvollziehbar. Aber nicht, wie das für den Lebensunterhalt in Deutschland reichen soll. Selbst wenn nur Betriebskosten von etwa 5.000 Euro anfallen, was mir auch schon sehr wenig erscheint.

Der BDÜ gibt in regelmäßigen Abständen einen Honorarspiegel heraus, der in mehreren Kapiteln darauf eingeht, wie man Honorare realistisch kalkuliert. In einer der Beispielkalkulationen werden allein die auftragsunabhängigen Betriebskosten mit etwa 18.000 Euro als absolute Untergrenze angesetzt. Natürlich können diese individuell variieren, aber das ist schon eine deutliche Diskrepanz. Kommen dann noch die Kosten für Kranken- und sonstige persönliche Versicherungen, Altersvorsorge, Steuern, Lebenshaltung dazu, wird schnell klar, dass ein Gewinn von 23.000 Euro nicht ausreichen kann. Hier zeigen unsere Beispielkalkulationen, dass es mindestens das Doppelte sein sollte. Besser noch mehr, um ausreichend vorsorgen zu können.

Warum hat der Artikel unter Übersetzer/innen so viel Empörung hervorgerufen?

Wie man an zahlreichen Kommentaren zu dem Artikel sowohl auf eurer Website als auch in den Social Media ablesen kann, sind viele Kolleginnen und Kollegen mehr als verärgert darüber, dass das Beispiel von Tina F. unter der Überschrift „Wie viel verdient eigentlich eine Übersetzerin?“ den Eindruck erweckt, dass dies in der Branche übliche Honorare sind. Und damit auch den unternehmerisch erfolgreichen Übersetzerinnen und Übersetzern, die – wohlgemerkt: völlig zu Recht – ein Vielfaches für ihre hochwertigen Leistungen berechnen, die Preise verhagelt und deren Verhandlungsposition schwächt. Das Beispiel läuft allen Bestrebungen dieser Kolleginnen und Kollegen wie auch der Berufsverbände zuwider, das Image eines „prekären“ Berufs, der quasi vom Küchentisch aus erledigt werden kann, abzulegen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und in einem stark umkämpften Übersetzungsmarkt angemessene und auskömmliche Honorare durchzusetzen. Da ist das neue Beispiel schon um einiges realistischer.

Wie sollten Übersetzer/-innen ihren Stundensatz berechnen?

In eine ordentliche und realistische Kalkulation müssen auch Faktoren einfließen, die manchen vielleicht nicht auf Anhieb einfallen: eine ausreichende Risikoabsicherung für Alter, Krankheit, Berufsunfähigkeit, aber auch Rücklagen, damit man auch weniger produktive Zeiten überbrücken kann. Eine detaillierte Beschreibung einer nachhaltigen Honorarkalkulation mit Berechnung von Umsatz, Betriebskosten, erforderlichem Gewinn zur Deckung der Lebenshaltung etc. würde hier den Rahmen sprengen.

Da dieses betriebswirtschaftliche Wissen in der Ausbildung meist zu kurz kommt, sollte man sich weiterbilden und die entsprechenden Seminar- und Informationsangebote der Berufsverbände nutzen, oder auch den erwähnten Honorarspiegel des BDÜ. In unserem Beruf werden neben Stundensätzen üblicherweise auch sogenannte Zeilen- oder auch Wortpreise angesetzt, die aber auch wieder auf Zeiteinheiten hochgerechnet werden müssen, um die Leistungen entsprechend abrechnen zu können. 

Warum gibt es Übersetzer/-innen, die einen sehr geringen Stundensatz nehmen?

Wie gesagt fehlt in der einschlägigen Ausbildung von Übersetzerinnen und Übersetzern meistens die unternehmerische Komponente. Wenn das betriebswirtschaftliche Wissen nicht auf anderem Weg erworben wurde, berechnen diese Übersetzerinnen und Übersetzer ihre Honorare relativ willkürlich, vor allem nach „Hörensagen“. Beziehungsweise lassen sie sich die Preise quasi von den Auftraggebern diktieren, die häufig damit argumentieren, dass die Leistungen von anderen – angeblich – billiger zu haben seien.

Diese Art von „Preisdumping“ ist vor allem bei großen Übersetzungsagenturen mit zum Teil bedeutender internationaler Marktmacht zu beobachten, die beim Einkauf der eigentlichen Übersetzungsleistung Niedrigstpreise bezahlen, die Übersetzung den Endkunden aber teuer weiterverkaufen. So maximieren die Agenturen ihren Gewinn, insbesondere wenn sie die eigenen Vermittlungsleistungen wie Akquise, Werbung, Projektmanagement, Qualitätssicherung möglichst gering halten.

Um aber auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Außer im Bereich der Justiz kann jede und jeder Übersetzungen anbieten. Deshalb gibt es neben den Kolleginnen und Kollegen, die ihre Profession unternehmerisch fundiert ausüben, auch solche, die sich – meist ohne einschlägige Berufsqualifikation – „nebenher etwas dazuverdienen“. Es dürften vor allem diese sein, die sich nicht die Mühe eines Businessplans oder einer vernünftigen Honorarkalkulation machen. Und dann, um es mal salopp auszudrücken, nehmen, was sie eben kriegen können, nur um überhaupt Aufträge zu bekommen. Ohne Rücksicht auf Verluste – weder finanzielle noch gesundheitliche. Das grenzt in manchen Fällen schon an Selbstausbeutung.

Welche Tipps hast du für Übersetzer/-innen, die sich in Verhandlungen bisher nicht durchsetzen konnten?

Da freiberufliche Übersetzerinnen und Übersetzer in der Regel Solo-Selbstständige, also Einzelkämpfer, sind, empfiehlt es sich, sich mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und sich Tipps für Verhandlungsstrategien zu holen. Das allein kann einem schon den Rücken stärken, um selbstbewusster in Auftragsverhandlungen zu gehen. Gerade in den Berufsverbänden gibt es sowohl Foren und lokale Treffen für einen solchen Austausch als auch entsprechende Weiterbildungs- und Informationsangebote. Eine Verbesserung der eigenen Position ist sicherlich nicht über Nacht mit nur einer Stellschraube zu erreichen, sondern erfordert ein kontinuierliches Arbeiten am eigenen Profil, Flexibilität und Durchhaltevermögen. Dabei hilft einem nach meinen Erfahrungen der Rückhalt in einer möglichst großen und auch vielfältigen Gemeinschaft von Kolleginnen und Kollegen.

Die nächste Ausgabe des BDÜ-Honorarspiegels erscheint im Februar 2024. Er kann im Online-Shop des Fachverlags des BDÜ bestellt werden. Hier geht es zur Homepage des BDÜ.

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