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Lesetipp "Risiko von Scheinselbstständigkeit" DHL beendet Zusammenarbeit mit Freelancern mitten in laufenden Projekten

Ende vor Projektende: Bei der DHL Group geht es wohl für viele Freelancer nicht weiter. Ein betroffenes VGSD-Mitglied schilderte uns seinen Fall. Der Konzern fürchtet Scheinselbstständigkeit – und gibt sich zugeknöpft.

DHL ist ein weltweit operierender Konzern – dieses Bild stammt vom Flughafen Warschau

Eigentlich soll das Projekt noch zwei Jahre laufen, doch nach jetzigem Stand ist für Ingo P. im August Schluss. Im Februar eröffnete ihm sein Projektleiter bei der DHL Group, dass die Rechtsabteilung des Konzerns "alle Freelancer aus allen Projekten entfernen möchte". Grund seien Bedenken über den rechtssicheren Einsatz von Solo-Selbstständigen. Ingo erzählt uns, dass außer ihm in dem IT-Projekt, in dem er als technischer Product-Owner arbeitet, auch die anderen Freelancer betroffen seien. Sein Projektleiter habe ihm auch berichtet, dass genau das Gleiche auch in anderen Projekten geschehe, für die er zuvor verantwortlich war.

"Ich bin nicht schutzbedürftig"

Seit dreieinhalb Jahren arbeitete Ingo in diesem Projekt, und den Planungen zufolge wären es am Ende fünfeinhalb geworden. Nach der Ankündigung im Februar wurde Ingos Vertrag doch noch verlängert bis Mitte August, der seiner zwei Kollegen nur bis Mitte Mai – angeblich, weil sein Arbeitsumfang geringer sei. Diese Begründung leuchtet Ingo nicht ein. Soll er etwa "ein bisschen weniger scheinselbstständig" sein und dafür ein bisschen länger mitarbeiten dürfen?

Abhängig von der DHL Group ist Ingo nicht. "Ich werde kein Problem haben, etwas Neues zu finden", sagt er. Doch er hätte seine Expertise gerne weiter eingebracht und das Projekt zum erfolgreichen Abschluss geführt. Er fühlt sich auch verantwortlich für das Projekt, das nun wichtige Wissensträger verliert. Ingo ärgert sich über die ständige Rechtsunsicherheit, mit der Selbstständige wegen der unklaren Kriterien für Scheinselbstständigkeit leben müssen. "Ich bin nicht schutzbedürftig, und ich werde nicht ausgenutzt. Ich bin ein echter Selbstständiger", sagt Ingo. Mit dem Vorgehen schneidet sich der Konzern letztlich ins eigene Fleisch. "Ich erlebe ein extremes Bedauern der Verantwortlichen, mit denen ich zusammenarbeite", berichtet er.

"So pauschal nicht zutreffend"

Stimmt es, dass DHL alle Freelancer aus allen Projekten entfernen möchte? Diese Frage haben wir dem Konzern gestellt. Die Aussage sei "so pauschal nicht zutreffend", schreibt man uns. "Grundsätzlich kommen im Rahmen des rechtlich Zulässigen auch weiterhin Freelancer bei DHL Group zum Einsatz." 

Auf die Frage, ob teilweise Freelancer aus Gründen der Rechtsunsicherheit aus Projekten entfernt wurden, heißt die Antwort: "DHL Group hält ein Rahmenwerk vor, das strikte Anforderungen an den regelkonformen Einsatz von Fremdpersonal stellt. Auch die Einsätze von Freelancern werden regelmäßig einer Compliance-Prüfung unterzogen. Diese Prüfung kann im Einzelfall dazu führen, dass Beauftragungen von Werk- und Dienstleistungen nicht oder nicht unverändert fortgeführt werden." Wie viele Freelancer betroffen seien, gab der Konzern nicht preis.

"Allgemein bekannte rechtliche Kriterien"

Weiter fragten wir: 

Wie werden die Freelancer ersetzt?

"Freelancer erbringen eine eigenverantwortliche und abgegrenzte Dienst-/Werkleistung für DHL Group, sie können daher nicht eins zu eins „ersetzt“ werden. In Einzelfällen kann ein Wechsel des Dienstleisters oder ein Insourcing erfolgen."

Warum genau findet der Verzicht auf Freelancer statt?

"Die konzerninternen Compliance-Prozesse bzgl. des regelkonformen Einsatzes von Fremdpersonal aufgrund von Dienst-/Werkverträgen sollen insbesondere das Risiko einer Scheinselbstständigkeit und der damit verbundenen Rechtsfolgen vermeiden. Die Gesamtbeurteilung einer dienst- oder werkvertraglichen Beauftragung kann im Einzelfall dazu führen, dass keine (Folge-)Beauftragung erfolgt."

Gibt es Bedingungen, die Solo-Selbstständige erfüllen können, um weiterhin von der Deutschen Post/DHL als Freelancer eingesetzt zu werden?

"Hier richten wir uns nach den allgemein bekannten rechtlichen Kriterien."

Die Auskunft von DHL: Verweis auf die DRV-Webseite

Die letzten beiden Antworten finden sich fast wortgleich in einer Antwort der Rechtsabteilung von DHL, die Ingo auf die Nachfrage erhielt, warum er nicht mehr rechtssicher beschäftigt werden könne – zusammen mit einem Link auf die Webseite der DRV, die die einschlägig bekannten "Kriterien" auflistet: Weisungsgebundenheit, Eingliederung in den Betrieb, keine eigene Betriebsstätte und so weiter. Diese Kriterien mögen zwar allgemein bekannt sein – für Rechtssicherheit sorgen sie allerdings nicht.

Ingo sieht sich von den Kriterien nicht betroffen. Er sei vollkommen frei in der Wahl seiner Arbeitszeit und seines Arbeitsortes, arbeite überwiegend an seiner eigenen Betriebsstätte, dem Homeoffice, und erhalte keine Vorgaben zu seinen Arbeitsmitteln oder ähnlichem. Warum der Konzern dennoch Sorge hat, in den Verdacht der Beschäftigung von Scheinselbstständigen zu geraten, erklärt dieser ihm nicht.

Erinnerungen an den Fall Vodafone

Der Fall erinnert an ein Vorgehen des Kommunikationsriesen Vodafone vor viereinhalb Jahren. Damals untersagte das Unternehmen per E-Mail allen seinen Geschäftspartnern den Einsatz von Freelancern. Von Vermittlern wissen wir, dass es eine ganze Reihe solcher Fälle gab.

So führt die Rechtsunsicherheit dazu, dass Selbstständigen das Leben immer schwerer gemacht wird. Ihnen brechen Aufträge weg oder sie werden in Leiharbeit gedrängt – dabei handelt es sich hier um hochqualifizierte Expert/innen, nicht um Lieferfahrer oder Paketboten, deren Schutzbedürftigkeit als Begründung für die immer strengere Verwaltungspraxis zur Scheinselbstständigkeit herangezogen wird.

Wir suchen weitere Betroffene

Hast du ähnliche Erfahrungen mit DHL oder anderen großen Unternehmen gemacht? Lass es uns gerne in den Kommentaren wissen – oder wende dich per Mail an uns. Denn im Rahmen einer anstehenden Kampagne suchen wir Selbstständige, die von der Rechtsunsicherheit betroffen und bereit sind, mit Journalisten über die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen auf sie zu sprechen.

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