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Unter der Lupe Was bringt der Koalitionsvertrag uns Selbstständigen?

Das Deckblatt des 179 Seiten umfassenden Koalitionsvertrags, den wir für euch genau untersucht haben

Am Mittwoch haben SPD, Grüne und FDP den Koalitionsvertrag "Mehr Fortschritt wagen" vorgestellt, also ihren Fahrplan für die nächsten vier Regierungsjahre. Doch was bringt er für uns Selbstständige und Gründer?

In Bezug auf das für uns so wichtige Statusfeststellungsverfahren sind wir unsicher. Wurde eine "schnelle Reform des Statusfeststellungsverfahrens unter Einbindung der Betroffenen fest verankert", wie MdB Claudia Müller von den Grünen uns schreibt (siehe unten, wir haben sie und Johannes Vogel von der FDP dazu auch in einem Talk befragt) oder hält sich Hubertus Heil fünf Hintertürchen offen (wie wir es fürchten)?

Zwar will auch die Ampel-Koalition eine Altersvorsorgepflicht einführen, wird dabei aber möglicherweise auf eine unserer zentralen Forderungen eingehen, nämlich die bereits Selbstständigen ganz auszunehmen statt eine Altersgrenze einzuführen. Wenn das wirklich so wäre, würde uns das enorm viel Bürokratie und Rechtsunsicherheit ersparen.

Ganz zweifellos ein Riesenerfolg für uns ist die ...

  • geplante nochmalige Senkung der Mindestbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, für die wir so lange gekämpft haben.
  • Mit der Fortführung der Neustarthilfe und vor allem der Festschreibung von Hilfen zur Lebenshaltung für betroffene Selbstständige im Infektionsschutzgesetz werden zentrale VGSD-Forderungen erfüllt und die SPD gesteht ein, dass die Coronahilfen der Großen Koalition an den Bedürfnissen der Soloselbstständigen vorbei ausgestaltet waren.
  • Sehr erfreulich ist die angekündigte (von einem Arbeitslosengeldanspruch unabhängige) neue Gründungsförderung.
  • Gleich an zwei Stellen (Statusfeststellungsverfahren, Bürokratieabbau) ist zudem die Rede von einer verstärkten Beteiligung von uns Selbstständigen an den uns betreffenden Gesetzesprojekten: Das eröffnet uns die Chance, zu praxisnah gestalteten Gesetzen beizutragen.
  • Auch die Verbesserung des Zugangs zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung ist ein wichtiger Schritt nach vorn, dem aber (ebenso wie bei den GKV-Beiträgen) weitere folgen müssen.
  • Auch zu den von unserem Mitglied Vera Dietrich vertretenen Themen "Elterngeld für Selbstständige" sowie "Abmahnmissbrauch" sind weitere Verbesserungen angekündigt.
  • KSK-Versicherte profitieren bei "Brotjobs" auch nach der Corona-Krise von einer höheren Verdienstgrenze.

Erfolge ermutigen uns, jetzt erst recht weiter zu kämpfen - es gibt viel zu tun!

Die Fortschritte in diesen Bereichen zeigen, dass wir mit unserer Verbandsarbeit kombiniert mit großen Kampagnen, Petitionen und Befragungen in enger Zusammenarbeit mit anderen Verbänden wirklich etwas bewegen können, auch wenn dafür oft viel Geduld erforderlich ist. Das damit verbundene Erfolgsgefühl sollte uns beflügeln, die Erfolge nun auch wirklich ins Ziel zu bringen, bereits die nächsten, darauf aufbauenden Ziele anzugehen und in den Bereichen, in denen die Fortschritte noch zäh sind (wie beim Statusfeststellungsverfahren) mit aller Macht für eine Beschleunigung zu kämpfen. Insofern ermutigt uns der Koalitionsvertrag, jetzt noch härter für die berechtigten Anliegen der Gründer und Selbstständigen zu kämpfen – da ist noch viel zu tun!

Mithilfe unserer Inhaltsübersicht kannst du direkt zu den Themen springen, die dich am meisten betreffen:

Wertschätzender im Ton, aber wie ist der Vertrag wirklich zu interpretieren?

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Generell ist der Ton Selbstständigen gegenüber deutlich freundlicher als in früheren Koalitionsverträgen (z.B. "Selbständige sind wesentlicher Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft"), aber die Formulierungen (etwa in Bezug auf Werkverträge und Plattformarbeit) lassen Raum für ganz unterschiedliche Interpretationen durch den (wahrscheinlich auch künftigen) Arbeitsminister Hubertus Heil und den uns deutlich wohlgesinnteren Vertretern von FDP und Grünen.

Deshalb haben wir nicht nur im Folgenden die entscheidenden Textpassagen für euch zusammengestellt und kommentiert (jeweils unter Angabe der im Koalitionsvertrag verwendeten Randziffern), sondern auch die für uns verantwortlichen Fachpolitiker der Ampelparteien eingeladen, uns zu erklären, wie sie die Passagen einordnen, also was quasi zwischen den Zeilen zu lesen ist.

Nicht verpassen: Verhandler erklären uns, wie der Vertrag wirklich zu verstehen ist

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Am 30.11. und 01.12.21 erklärten uns der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel und die Grünen-Politikerin Claudia Müller, wie der Koalitionsvertrag aus ihrer Sicht zu verstehen ist. (Bei der SPD warten wir noch auf eine Rückmeldung zu unserer Einladung.)

Wie lange dauert es bis zu einer echten Reform des Statusfeststellungsverfahrens?

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"Selbständige sind wesentlicher Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Nach der aktuellen Reform des Statusfeststellungverfahrens führen wir im Lichte der Erfahrungen einen Dialog mit Selbständigen und ihren Verbänden, um dieses zu beschleunigen und zu verbessern. Ziel ist, in der digitalen und agilen Arbeitswelt unbürokratisch Rechtssicherheit zu schaffen." (2261 ff.)

Der Vertrag nimmt hier Bezug auf die im Mai 2021 beschlossene kleine Reform des Statusfeststellungsverfahrens, die wir sehr kritisch sehen, weil sie keinerlei Änderungen an den Selbstständigkeits-Kriterien oder auch nur den resultierenden Sanktionen vorsieht und ohne ausreichende öffentliche Diskussion durchs Parlament gejagt wurde. Wir erwarten von der (von Union und SPD beschlossenen) Reform keine wesentliche Verbesserung der Rechtssicherheit unserer Auftraggeber.

Um so wichtiger ist es, dass schnell ein Dialog über eine wirksame Reform aufgenommen wird. Wir wollen nicht jahrelang warten, bis die Auswirkungen der aktuellen Reform auch dem Letzten klar sind und sie langwierig evaluiert wurden, sondern baldmöglichst in diesen Prozess einsteigen.

Dass dieser Dialog vorgesehen und wir qua Koalitionsvertrag in ihn eingebunden sind, ist positiv. Und auch die Zielsetzung einer rechtssicheren digitalen und agilen Arbeitswelt ist eine wichtige Weichenstellung.

Zum Vergleich der Koalitionsvertrag vor acht Jahren, indem die Zielsetzung die Arbeitsvereinfachung für die DRV war: "Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt"

MdB Claudia Müller von den Grünen hat uns in einer kurzen Einschätzung zum Koalitionsvertrag Folgendes geschrieben und macht damit Hoffnung auf eine baldige "echte" Reform: "Ich freue mich sehr, dass Selbstständige in unseren Koalitionsvertrag so gut vertreten sind. Eine schnelle Reform des Statusfeststellungsverfahrens unter Einbindung der Betroffenen wurde fest verankert, auch bei der generellen Gesetzgebungspraxis durch die sogenannten Praxis-Checks."

Zu den von Claudia Müller angesprochenen Praxis-Checks heißt es übrigens in der Passage zum Thema "Bürokratieabbau" (vgl. unten): "Die Bundesregierung wird ein systematisches Verfahren zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen und Regelungen entwickeln, das eine regelmäßige Einbeziehung der Stakeholder vorsieht (Praxischeck)." (968 ff.)

Passagen zu Werkverträgen und Plattformarbeit: Wachsam bleiben!

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Nicht ganz so freundlich wie die Passage zum Statusfeststellungsverfahren klingt der Absatz über Werkverträge (was unter Nahles und Heil ja ein Codewort für Scheinselbstständigkeit war):

"Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind notwendige Instrumente. Strukturelle und systematische Verstöße gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz verhindern wir durch effektivere Rechtsdurchsetzung. So sorgen wir auch für mehr Sicherheit bei Arbeit auf Abruf." (2330 ff.)

Zum Thema Plattformarbeit heißt es:

"Digitale Plattformen sind eine Bereicherung für die Arbeitswelt, deswegen sind gute und faire Arbeitsbedingungen wichtig. In diesem Sinne überprüfen wir bestehendes Recht und verbessern die Datengrundlagen. Dazu führen wir den Dialog mit Plattformanbietern, -arbeitern, Selbständigen sowie Sozialpartnern. Die Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Plattformen begleiten wir konstruktiv. (2369 ff)

Hier vermissen wir eine klare Definition, was Plattformen denn sind und nicht sind. In einer Ausarbeitung des BMAS von Ende letzten Jahres wurde zunächst über selbstständige Paketboten und Pizzaboten gesprochen, die oft scheinselbstständig seien und von einer Pflichtversicherung profitieren würden, um dann auf der nächsten Seite diese Argumentation auch auf gut bezahlte Selbstständige etwa in der IT auszuweiten, die längst für ihr Alter vorgesorgt haben.

Je nach Parteizugehörigkeit, können die verantwortlichen Politiker also ganz unterschiedliche Dinge aus dem Vertrag ableiten. Wir müssen deshalb äußerst wachsam bleiben!

Auch die Initiative der EU-Kommission ist mit Gefahren für freiwillig Selbstständige verbunden.

Auch die Ampel plant die Einführung einer Altersvorsorgepflicht – aber möglicherweise nur für Gründer

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"Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren. Die geförderte zusätzliche private Altersvorsorge steht allen Erwerbstätigen offen." (2471 ff.)

Mit der "geförderten zusätzlichen privaten Altersvorsorge" ist die ungeliebte Riester-Rente gemeint, die allerdings durch ein deutlich kostengünstigeres und damit attraktiveres Altersvorsorgeprodukt ersetzt werden soll (vgl. dazu Nebenziffer 2431 ff. im Vertrag). Dass die Zuschüsse, die man bei einem niedrigeren Einkommen hierzu erhält, künftig auch Selbstständige erhalten können, ist erfreulich.

Die Formulierung zur Altersvorsorgepflicht ähnelt auf den ersten Blick der des letzten Koalitionsvertrags, wird allerdings an einigen Stellen etwas konkreter.

So ist keine Rede von einer Altersgrenze, unter der auch bestehende Selbstständige versicherungspflichtig würden, sondern nur von "neuen Selbstständigen". Da bestehende Selbstständige zumeist bereits für ihr Alter vorgesorgt haben, hätten diese sonst in einem aufwändigen und bürokratischen Verfahren nachweisen müssen, dass sie bereits Vorsorge leisten, wobei vermutlich nicht jede in der Praxis übliche Form der Altersvorsorge anerkannt worden wäre.

Positiv ist auch die Karenzzeit von zwei Jahren, die auch bei einer zweiten oder dritten Gründung in Anspruch genommen werden kann. Erst nach dieser Anlaufphase beginnt die Vorsorgepflicht, was Gründern Zeit zum Aufbau ihres Geschäfts und die dabei nötigen Investitionen gibt.

Ob unser Optimismus in Bezug auf eine Ausnahme für Bestandsselbstständige angebracht ist und wie der Vertragstext genau zu verstehen ist, haben wir die Fachpolitiker im Rahmen der oben erwähnten VGSD-Talks fragen. Wir hoffen, dass sie unsere positive Interpretation bestätigen können.

Mindestbemessungsgrundlage für GKV wird auf Minijobgrenze (450 Euro) gesenkt

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"Wir entlasten Selbstständige dadurch, dass Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung oberhalb der Minijobgrenze nur noch strikt einkommensbezogen erhoben werden." (2470 ff.)

"Wir werden für Menschen mit ungeklärtem Versicherungsstatus, wie insbesondere Wohnungslose, den Zugang zur Krankenversicherung und zur Versorgung prüfen und im Sinne der Betroffenen klären." (2923 ff.)

Der Inhalt des Koalitionsvertrags als Wortwolke

Die Senkung der Mindestbeiträge zur GKV bzw. der ihnen zugrunde liegenden Bemessungsgrenze ist ein Riesenerfolg für uns. Gemeinsam mit dem BDD und dem BDÜ hatten wir bereits zum 01.01.2019 erreicht, dass die Mindestbeiträge um 56% gesenkt wurden. Nun folgt ein weiterer Senkungsschritt, der die Beiträge nochmals mehr als halbieren wird.

Dadurch werden kleine Gründungen und Teilzeit-Selbstständigkeit deutlich attraktiver, weil nicht gleich ein Großteil des Gewinns an Beiträgen abfließt, sobald man ein Einkommen von 450 Euro überschreitet. Diese Hürde hat bisher vor allem sehr viele Frauen von einer Ausweitung ihrer Selbstständigkeit abgehalten.

Die Senkung ist ein zweiter wichtiger Schritt, auf den aber unbedingt noch ein dritter folgen muss: Die faire Berechnung der Bemessungsgrundlage für die Krankenversicherungsbeiträge (und gleichermaßen auch die Beiträge zu den anderen Sozialversicherungszweigen).

Angestellte (und ihre Arbeitgeber) zahlen Beiträge nur auf das Bruttoeinkommen. Wir Selbstständigen zahlen sie auf unseren Gewinn, also auch auf die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Die Folge: Wir Selbstständigen zahlen bei vergleichbarem Einkommen 20 Prozent höhere Krankenversicherungs-Beiträge Arbeitgeber und Arbeitnehmer dies sonst gemeinsam tun.

Unsere über den Koalitionsvertrag hinausgehende Forderung ist deshalb: Wie andere Arbeitgeber müssen auch Einzelunternehmer künftig den rechnerischen Arbeitgeberanteil als Betriebsausgabe geltend machen können. Dadurch reduziert sich ihr Gewinn und die Beiträge auf das Niveau, das auch für Angestellte gilt.

Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung soll vereinfacht werden

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"Durch einen erleichterten Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung unterstützen wir auch Selbstständige sowie Gründerinnen und Gründer. Wir prüfen dabei, ob und wie ein Zugang ohne Vorversicherungszeit möglich ist. Wer als Geschäftsführerin oder Geschäftsführer in einer GmbH (etc.) tätig war und dafür Beiträge entrichtet hat, sollte Anspruch auf Arbeitslosengeld haben." (2269 ff.)

Bisher können sich (mit einer Frist von drei Monaten) nur solche Gründer/innen freiwillig arbeitslosenversichern, die aus dem Arbeitslosengeld 1-Bezug heraus gründen oder zum Zeitpunkt der Gründung Anspruch auf Arbeitslosengeld hätten. Voraussetzung sind Vorversicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung, sprich Zeiten, in denen man Beiträge in die Arbeitslosenversicherung bezahlt hat. Wer schon selbstständig ist, kann sich deshalb in der Regel nur versichern, wenn er oder sie für einen längeren Zeitraum eine Anstellung annimmt.

Die Ampel-Koalitionäre wollen den Zugang zur Arbeitslosenversicherung vereinfachen. Allerdings löst das noch nicht die zahlreichen anderen Probleme und Nachteile der freiwilligen Arbeitslosenversicherung, so dass hier noch viel zu tun bleibt. In der Corona-Krise hat die Arbeitslosenversicherung denen, die trotz vielfältiger Schlechterbehandlungen noch Mitglied waren, oft nur wenig geholfen oder war sogar nachteilig.

Neustarthilfe wird fortgesetzt, Infektionsschutzgesetz reformiert

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"Zur Unterstützung von Soloselbständigen in der andauernden Corona-Pandemie führen wir die Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus so lange wie benötigt fort.

Um auch bei zukünftigen schweren Krisen, die zu nicht selbst verantworteten Erwerbsausfällen führen, Selbstständige auch bei der Finanzierung ihrer Lebensunterhaltskosten schneller und besser helfen zu können, treffen wir Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen. Dabei werten wir die Erfahrungen mit der Neustarthilfe aus. Wir schaffen kein neues Regelsystem." (2276 ff.)

Das klare Commitment, Neustart- und Überbrückungshilfe so lange wie benötigt fortzuführen ist erfreulich, weil es Betroffenen mehr Sicherheit gibt.

Ein wichtiger Erfolg ist das Commitment der Koalitionäre, dass es im Fall künftiger schwerer Krisen, in denen Selbstständige unverschuldet mit hohen Einkommensausfällen konfrontiert sind, Förderungen geben wird, die auch für den Lebensunterhalt verwendet werden dürfen. Dies soll nicht – wie von der SPD geplant – in Form eines von den Selbstständigen selbst zu finanzierenden Sicherungsgelds geschehen, sondern steuerfinanziert (weil es sich um Folgekosten von Maßnahmen zum Schutz der Gesamtbevölkerung handelt).

Letztlich gesteht die SPD damit ein, dass der Verweis der von Corona-Einschränkungen betroffenen Selbstständigen auf Hartz IV ein Fehler war und erst mit Einführung der Neustarthilfe eine wirksame Unterstützung gegeben wurde.

Das ist deshalb wichtig, weil die SPD ja bisher behauptet hat, die Probleme der Selbstständigen in der Corona-Krise seien selbst verschuldet, nämlich verursacht durch eine mangelhafte Vorsorge. Sicherlich werden wir dieses Narrativ von ihr noch häufig zu hören bekommen, in diesem Fall können wir sie künftig auf die obige Passage des Koalitionsvertrags verweisen.

Bürokratieabbau (inkl. "Praxis-Check")

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"Wir wollen Abläufe und Regeln vereinfachen und der Wirtschaft, insbesondere den Selbstständigen, Unternehmerinnen und Unternehmern mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben schaffen. Wir werden ein neues Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg bringen, welches die Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger sowie Verwaltung gegenüber dem bisherigen Bürokratieaufwand entlastet, ohne auf notwendige Schutzstandards zu verzichten.

Überflüssige Bürokratie werden wir abbauen. Die ressortübergreifende „One-in-one-out“-Regelung setzen wir konsequent fort. Die Bundesregierung wird ein systematisches Verfahren zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen und Regelungen entwickeln, das eine regelmäßige Einbeziehung der Stakeholder vorsieht (Praxischeck).

Wir werden bei der Umsetzung von EU-Recht dafür Sorge tragen, dass sie effektiv, bürokratiearm und im Sinne des einheitlichen Europäischen Binnenmarktes erfolgt. Wir werden das „Once-only“-Prinzip schnellstmöglich einführen. Das bereits beschlossene Unternehmens-Basisdatenregister soll schnell umgesetzt und dessen Finanzierung gesichert werden. Wir werden prüfen, inwiefern wir den Aufwand für und durch die rein elektronische Aufbewahrung von Belegen und Geschäftsunterlagen verringern können. Unnötige Erfordernisse bei A1 Bescheinigungen bei grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung müssen rasch abgeschafft werden, indem ein europäisches elektronisches Echtzeitregister eingeführt wird." (969 ff.)

Vieles zum Thema Bürokratieabbau Geschriebene ähnelt mindestens auf den ersten Blick Aussagen, die man auch früher schon gelesen hat. Ein systematisches Verfahren zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands gibt es bereits, neu ist in dieser Form aber die offenbar beabsichtigte stärkere Einbeziehung der Betroffenen – der oben schon erwähnte "Praxischeck". Wir werden hier natürlich gerne mitwirken und Input aus der Praxis (also von dir und anderen Mitgliedern!) geben, um besser und mit weniger Aufwand von uns erfüllbare Gesetze zu erreichen!

Erfreulicherweise werden auch ganz konkrete Vorhaben wie die Reform der A1-Bescheinigung genannt, die vor der Corona-Krise (als man noch mehr Geschäftsreisen machte…) für viel Verärgerung gesorgt hatte und nach der Überwindung der Krise als Hemmnis wieder an Bedeutung gewinnen wird.

Freuen würden wir uns auch über die in Aussicht gestellten Vereinfachungen bei der papierlosen Buchhaltung (auch beim VGSD haben wir unsere Buchhaltung entsprechend umgestellt).

Neue Gründungsförderung, die keinen ALG-1-Anspruch voraussetzt

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"Wir stärken die Start-up- und Gründerförderung. Wir werden Gründungen aus allen Lebenslagen und eine Kultur der zweiten Chance unterstützen und dafür ein neues Förderinstrument schaffen, das auch für Unternehmensnachfolgen offensteht. Wir verabschieden eine umfassende Start-up-Strategie.

Hürden für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund beim Zugang zu Finanzierungen und Förderungen bauen wir ab; besseren Zugang zu Wagniskapital für Gründerinnen stellen wir sicher. Wir ermöglichen einen vereinfachten, rechtssicheren Zugang für Startups und junge Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen. Wir schaffen die Voraussetzungen für flächendeckende „One Stop Shops“, also Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung. Ziel ist es, Unternehmensgründungen innerhalb von 24 Stunden zu ermöglichen." (904 ff.)

Vielversprechend ist hier die Ankündigung eines neuen Förderinstruments für Gründer/innen, das offenbar nicht wie der Gründungszuschuss einen vorherigen Bezug und damit Anspruch auf Arbeitslosengeld voraussetzt. Es könnte also auch Menschen zugute kommen, die direkt nach einer Ausbildung oder einem Studium gründen oder die vor der Gründung bereits selbstständig waren. Das Commitment zu einer "Kultur der zweiten Chance" dürfte sich explizit auf Selbständige beziehen, die aufgrund der Corona-Krise aufgeben mussten. Sie sollen Unterstützung erhalten, wenn sie sich erneut selbstständig machen.

Modernisierung des Elterngeld-Anspruchs für Selbstständige

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Auch beim Elterngeld haben wir ein Commitment erreicht, dass die Berechnung des Anspruchs modernisiert werden soll, ein weiterer Erfolg für unser Mitglied (und inzwischen unsere Mitarbeiterin) Vera Dietrich:

"Die Partnermonate beim Basis-Elterngeld werden wir um einen Monat erweitern, entsprechend auch für Alleinerziehende. Wir werden einen Elterngeldanspruch für Pflegeeltern einführen und den Anspruch für Selbstständige modernisieren. Für die Eltern, deren Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, erweitern wir den Anspruch auf Elterngeld. Wir werden den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren." (3371 ff.)

Weitere Schritte zur Bekämpfung des Abmahnmissbrauchs

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Ebenfalls ein Verdienst von Vera Dietrich sind die in der letzten Legislaturperiode erreichten Fortschritte bei der Bekämpfung des Abmahnmissbrauchs, die nun offenbar weiter entwickelt werden sollen:

"Wir untersuchen weitere Vorkehrungen gegen den Missbrauch von Kostenerstattungen für Abmahnungen nach dem Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb (UWG)." (3749 ff.)

Künstler und Publizisten: Höhere Zuverdienstgrenze bei "Brotjob" bleibt erhalten

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"Während der Corona-Pandemie hat sich die besondere Bedeutung der Künstlersozialkasse für die soziale Absicherung von Kreativen und Kulturschaffenden bewährt. Diese wollen wir auch künftig sicherstellen.

Wir wollen statistische Berichterstattung zur sozialen Lage von Künstlerinnen und Künstlern. Zur besseren sozialen Sicherung freischaffender Künstlerinnen, Künstler und Kreativer werden wir Mindesthonorierungen in Förderrichtlinien des Bundes aufnehmen. Wir werden soloselbstständige und hybrid beschäftigte Kreative besser absichern und Bürokratie abbauen, die KSK finanziell stabilisieren und die erhöhte Zuverdienstgrenze aus selbstständiger nicht-künstlerischer Tätigkeit erhalten." (2281 ff.)

"Die Sonderregelung für unständig Beschäftigte in der Arbeitslosenversicherung, insbesondere für Kulturschaffende, entfristen wir und prüfen Vereinfachung und Weiterentwicklung." (2272 ff.)

Die Künstlersozialkasse erhält also – wenig überraschend - eine Bestandgarantie. Damit die Einkommen steigen, sollen Mindesthonorare mindestens bei solchen Selbstständigen durchgesetzt werden, deren Auftraggeber vom Bund Förderungen erhalten.

Die in der Coronakrise u.a. auf Initiative von VGSD-Mitglied Fabian Rabe erhöhte Zuverdienstgrenze (also die Einnahmen aus einem "Brotjob") soll fortbestehen, ebenso eine ähnliche Sonderregelung für unständig Beschäftigte.

Was ist deine Meinung?

Jetzt bist du gefragt: Wie interpretierst du die obigen Passagen des Koalitionsvertrags? Top oder Flop? Haben wir womöglich eine wichtige Passage übersehen? Wir freuen uns auf deinen Kommentar!

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